Der Titel der Lehrveranstaltung an der Uni Zürich zeigt: Es ist keine typische Jus-Vorlesung: «Masculinities» (Männlichkeiten). Rund 30 Studentinnen und Studenten setzten sich an einem Freitag im November im Rahmen dieser Vorlesung vier Stunden unter anderem mit der Berichterstattung rund um den Fall George Floyd auseinander – einem der bekanntesten Fälle von Polizeigewalt in den USA.
Alice Margaria, Assistenzprofessorin für Rechtsfragen der Reproduktion und Humangenetik, stellt Fragen wie: «Wurde es bei der Berichterstattung zu George Floyd verpasst, auch das Geschlecht der Beteiligten in die Analyse einzubeziehen?» Oder: «Auf welche Weise ist das Recht für die Konstruktion von Männlichkeit verantwortlich?» Die Fragen werden zuerst in Kleingruppen, dann im Plenum diskutiert. So will es die Lehrveranstaltung. Ihr Motto lautet: Lernen ist eine kollektive Erfahrung und Verantwortung.
In den Stunden davor stellte die Professorin Margaria Denkerinnen wie Nancy Levit, Angela Harris oder Nancy Dowd vor. Deren Thesen: Die feministische Theorie müsse auch die Rolle der Männer einbeziehen – namentlich deren Privilegien, aber auch den Preis, den sie hierfür bezahlen.
Damit solle nicht der Fokus von den Frauen weggeleitet, sondern vielmehr ein realistischeres Bild der Rolle der Männer innerhalb von Unterdrückungsdynamiken gezeichnet werden – inklusive der Unterschiede innerhalb des männlichen Geschlechts aufgrund von Rasse, Klasse oder Sexualität.
In Zürich fest in den Lehrplan aufgenommen
Diese Veranstaltung ist Teil der Vorlesung «Legal Gender Studies», deren Ziel es ist, aufzuzeigen, wie das Recht die Geschlechterverhältnisse prägt – etwa im Arbeits-, Familien- oder Migrationsrecht. Laut Dekan Thomas Gächter werden schon länger Vorlesungen zu «Legal Gender Studies» angeboten. Vor drei Jahren habe man sich dann dafür entschieden, diese Veranstaltung fest ins Lehrprogramm aufzunehmen.
Die Premiere fand im letzten Herbst statt. Die juristische Fakultät sei bei diesem Thema im steten Austausch mit dem Verein F.Ius. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Studentinnen und Doktorandinnen der Rechtswissenschaft, entstanden im Nachgang zu feministischen Streiks von 2019. Ihr Anliegen: Die Sichtbarkeit feministischer Perspektiven zu stärken – inklusive der Verknüpfungen mit anderen Diskriminierungsformen.
Auch andere Universitäten kennen solche Veranstaltungen. Die Universität Bern zum Beispiel bietet dieses Semester im Masterstudium einen Blockkurs mit dem Titel «Rechtsmobilisierung im Kontext der Legal Gender Studies» an. Hier geht es darum, wie sich durch Gerichtsprozesse gesellschaftliche Fortschritte im Bereich der Geschlechtergleichheit erzielen lassen. Auch in der Vorlesung «Grundrechte» werden an der Uni Bern Gleichstellungsthematiken beleuchtet.
Soziologische Rezepte auf das Recht angewendet
In Basel wiederum wird in jedem Frühjahrssemester die Vorlesung «Gender Law» angeboten, die sich kritisch mit dem Verhältnis zwischen Recht und Geschlecht auseinandersetzt. Diese Vorlesung wurde bereits 2003 von der Anwältin und Akademikerin Elisabeth Freivogel ins Leben gerufen. Für dieses Engagement erhielt sie im Jahr 2016 den Ehrendoktortitel.
Ein Vergleich zwischen den Universitäten zeigt, dass im Rahmen dieser Veranstaltungen nicht nur soziologische Konzepte besprochen, sondern diese jeweils direkt auf die Rechtsprechung angewendet werden.
Margaria beendet ihre Vorlesung zum Thema «Männlichkeiten» denn auch mit einer Besprechung des Falles Beeler gegen die Schweiz von 2022, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (EGMR) feststellte, dass die Besserstellung verwitweter Frauen bei der AHV gegenüber verwitweten Männern diskriminierend sei. Tage zuvor hielt Ivana Jelic, die montenegrinische Richterin am Gerichtshof, einen Gastvortrag zum Thema «Leihmutterschaft und Abtreibung in der Rechtsprechung des EGMR».