1. Das Urteil des Obergerichts Zürich
1.1 Sachverhalt
Am 23. Dezember 2022 gelangten ein Arzt und dessen Praxis-AG – in einfacher Streitgenossenschaft – an das Bezirksgericht Zürich und stellten das Begehren, unter Androhung der Ungehorsamsstrafe die Google Ireland Limited zu verpflichten, eine negative Google-Bewertung über ihre Arztpraxis zu löschen.1 Beantragt wurde auch, die vorsorglichen Massnahmen bereits superprovisorisch zu erlassen.
Die beanstandete Ein-Sterne-Bewertung lautete: «Der leitende Arzt war sehr unfreundlich, ich war mit meinem Sohn da. Ebenfalls war er sehr herablassend zu den Mitarbeitern. Mein Mann und ich wurden 50 Minuten warten gelassen und danach diskriminierend behandelt, weil mein Mann kein Deutsch versteht. Haltet euch fern. Ich würde diesen Arzt nicht weiterempfehlen!!!» Gleichentags wies das Bezirksgericht Zürich das Gesuch vollständig ab, wogegen der Arzt und die Praxis-AG berufungsweise ans Obergericht gelangten und ihre Anträge erneuerten.2
1.2 Wesentliche Erwägungen
Zunächst legt das Obergericht die prozessrechtlichen Rahmenbedingungen des Berufungsverfahrens dar.3 In diesem Zusammenhang wird bereits auf das Begehren um Androhung der Ungehorsamsstrafe nach Artikel 292 StGB nicht eingetreten, da die Beklagte ihren Sitz in Irland habe und folglich im Unterlassungsfall keine Strafe nach schweizerischem Recht ausgesprochen werden könne.4
Sodann stellt das Obergericht fest, dass das Bezirksgericht sich weder zur internationalen Zuständigkeit noch dem anwendbaren Recht geäussert habe, obwohl ein internationales Verhältnis vorliege und eine entsprechende Prüfung von Amtes wegen zu erfolgen habe.5 Bezüglich der Zuständigkeit stellt das Obergericht auf den Deliktsgerichtsstand nach Artikel 5 Ziffer 3 LugÜ ab und hält fest, der Erfolg der negativen Rezension sei am Sitz der Arztpraxis in Zürich eingetreten, was eine örtliche Zuständigkeit begründe.
Im Übrigen würden auch die Google-Nutzungsbedingungen auf die lokalen Gerichte am (Wohn-)Sitz des Nutzers verweisen, was – sollte man deren Anwendbarkeit bejahen – zum selben Resultat führte.6 In Bezug auf das anwendbare Recht bestimmt das Obergericht dieses in Anwendung von Artikel 33 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 133 Absatz 2 IPRG, wobei es wiederum eine unerlaubte Handlung annimmt und auf den Erfolgsort in Zürich abstellt. Überdies ergänzt es, dass auch gemäss Google-Nutzungsbedingungen das Recht am (Wohn-)Sitz des Nutzers anwendbar sei.7
Danach äussert sich das Gericht zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des Persönlichkeitsschutzes nach Artikel 28 ZGB.8 In Bezug auf Google-Rezensionen weist es darauf hin, dass nicht jede geringfügige Beeinträchtigung der Persönlichkeit eine Persönlichkeitsverletzung darstelle. Vielmehr sei eine Mindestintensität erforderlich, die sich nach einem objektiven Massstab eines Durchschnittsadressaten bemesse – wobei «die konkreten Umstände, wie etwa der Rahmen der Äusserung, zu berücksichtigen» seien.
Betreffend Google-Rezensionen sei zu beachten, «dass der Durchschnittsleser bei den Bewertungen (samt Vergabe von Sternen) mit Übertreibungen (sowohl in negativer wie auch positiver Hinsicht) und scharfen Formulierungen rechnet und diese entsprechend einzuordnen weiss».9 Sodann verweist das Obergericht darauf, dass der zivilrechtliche Ehrbegriff weiter gehe als der strafrechtliche, womit entgegen der Vorinstanz der sittlich-menschliche und der beruflich-gesellschaftliche Bereich zu berücksichtigen seien.10
In der Sache erteilt das Obergericht der Argumentation des Arztes eine Absage. Erstens sei die Unterstellung, der behandelnde Arzt habe sich gegenüber der Familie des Patienten (Kindes) diskriminierend verhalten, nicht dasselbe wie ein Rassismusvorwurf, zumal der Begriff der Diskriminierung gemäss Duden viel weiter gehe als Rassismus und auch generell in einer sonstigen Benachteiligung erblickt werden könne.
Zudem wird an das objektive Verständnis erinnert: «Unter Berücksichtigung der vorangehenden Kritik dürfte die Passage von einem Durchschnittsleser vielmehr so verstanden werden, dass die Rezensentin sich sehr über das von ihr als herablassend wahrgenommene Benehmen des Arztes geärgert hat und diesen daher mit scharfen Worten verurteilt.» Es handle sich in den Augen des Durchschnittslesers jedoch nur um eine provokante und subjektive Bewertung des Verhaltens des Arztes, ohne dass das Ausmass einer ehrverletzenden Herabsetzung erreicht werde. Die Persönlichkeitsrechte der Berufungskläger würden nicht verletzt.11
Schliesslich geht das Zürcher Obergericht noch auf die abschliessende Bemerkung der Rezensentin ein, man solle sich von der Arztpraxis fernhalten. Die Rezensentin äussere hier «ihre Ansicht zwar in einem scharfen, aber nicht unangemessenen Ton». Und: Dieser Aufruf samt Bewertung mit einem Stern stehe «im Einklang mit der zuvor geäusserten Kritik, was in diesem Sinne auch vom Durchschnittsleser so verstanden werden dürfte».12
Schliesslich behandelt das Obergericht das Argument des Arztes, es gebe gar keine Person mit dem Namen der Rezensentin, die Elternteil eines Patienten sein könne, weshalb ein Nichtpatient zu Unrecht ein Patientenverhältnis behauptet habe, was für sich alleinstehend rechtswidrig sei.
Dieser Behauptung setzt das Obergericht entgegen, dass grundsätzlich auch eine negative Tatsache durch die nach Artikel 8 ZGB beweisbelastete Partei zu beweisen sei, wobei Google naturgemäss ohnehin nicht wissen könne, wer zu einer Arztpraxis in einem Patientenverhältnis stehe, weshalb das Unternehmen sich diesbezüglich in einem Beweisnotstand befinde und folglich auch keiner Mitwirkungspflicht unterliegen könne.
Zudem sei im Sinne einer natürlichen Vermutung davon auszugehen, dass grundsätzlich nur Personen, die zu einer Arztpraxis in einer Patientenbeziehung gestanden haben, diese auf Google bewerten. Jedenfalls würden keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen, weshalb die behauptete Veröffentlichung einer unwahren Tatsache nicht glaubhaft gemacht sei.13 Dies führte zur Abweisung der Berufung.14
2. Prozessuale Aspekte
2.1 Internationale Zuständigkeit
Erstaunlich ist, mit welcher Selbstverständlichkeit das Obergericht den Deliktsgerichtsstand nach Artikel 5 Ziffer 3 LugÜ zur Anwendung bringt, während es zugleich die Google-Nutzungsbedingungen erwähnt und dabei deren
Anwendbarkeit offenlässt. Bei Anwendbarkeit der Google-Nutzungsbedingungen müsste ein irgendwie geartetes Vertragsverhältnis zwischen Arztpraxis und Google Ireland Limited vorliegen. In der Tat kann denn nur ein Unternehmen auf Google bewertet werden, das auch über einen entsprechenden Account verfügt.
Dieser Google-Account schwebt nicht im rechtsfreien Raum. Vielmehr setzt dessen Eröffnung einen Vertragsschluss zwischen Nutzer und Google voraus, konkret einen Nutzungsvertrag, der einen Innominatvertrag mit Elementen von Werkvertrag, Auftrag und in der Regel wohl auch Lizenzvertrag darstellt. Auf die genaue rechtliche Qualifikation des digitalen Nutzungsvertrags kommt es indes nicht an.
Liegt ein Vertrag vor, entfällt per definitionem der Deliktsgerichtsstand, und es gelangt der Vertragsgerichtsstand nach Artikel 5 Ziffer 1 LugÜ zur Anwendung, bei Verbrauchersachen zudem Artikel 16 Ziffer 1 LugÜ mit einem zwingenden Gerichtsstand am Wohnsitz des Konsumenten. Bei einem Google-Unternehmensaccount liegt – im Gegensatz zu Accounts von Privatpersonen – indes keine Verbrauchersache vor, womit ein klägerischer Wohnsitzgerichtsstand nicht zwingend ist.
Die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte ergibt sich also nur aus einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Artikel 23 Ziffer 1 LugÜ, die bereits dann zulässig ist, wenn nur eine der beiden Parteien ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat. Mangels ausdrücklich abweichender Regelung sind dabei die prorogierten Gerichte ausschliesslich zuständig.
In Bezug auf den Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung ist sodann Artikel 23 Ziffer 2 LugÜ zu beachten, demgemäss elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, der Schriftform gleichgestellt sind. Der EuGH folgerte daraus, dass jedenfalls bei Geschäftskunden die Clickwrapping-Praxis zulässig ist.15 Das ist ein Einbezug der AGB durch einen Klick, wobei der Vertragstext erst bei einem weiteren Klick lesbar wird. Die Schweiz hat die – innerhalb der EU zumindest für Privatkunden entgegenstehende – EG-Richtlinie nicht übernommen, sodass im Umkehrschluss das Clickwrapping in der Schweiz auch bei Privatkunden zulässig sein muss.
Vorliegend ging es um einen Google-Unternehmensaccount von Geschäftskunden, dem ein innominatvertragliches Nutzungsverhältnis zugrunde liegt. Das Obergericht hätte damit die eurointernationale gerichtliche Zuständigkeit richtigerweise nach dem vereinbarten Gerichtsstand gemäss Artikel 23 Ziffer 1 LugÜ ermitteln müssen. Im Verhältnis Nutzer zu Google liegt nämlich ein Vertrag vor, der den Deliktsgerichtsstand verdrängt. Anzumerken ist, dass im Verhältnis Nutzer zu Rezensenten de facto kein Vertrag besteht und damit zumindest in diesem Fall Artikel 5 Ziffer 3 LugÜ zur Anwendung gelangt, nach dem der Deliktsgerichtsstand auch bei ausservertraglichen Persönlichkeitsverletzungen greift.16
2.2 Anwendbares Recht
Dasselbe gilt auch für das anwendbare Recht. Liegt zwischen dem User eines Unternehmensaccounts und Google ein Nutzungsvertrag vor, ist Artikel 133 Absatz 2 IPRG nicht einschlägig. Richtigerweise hätte das Obergericht damit die persönlichkeitsrechtliche Verweisung in Artikel 33 Absatz 2 IPRG als Verweis auf Artikel 133 Absatz 3 IPRG (vorbestehendes Rechtsverhältnis) auffassen und in der Folge eine Rechtswahl nach Artikel 116 Absatz 1 IPRG bejahen müssen. Denn die Google-Nutzungsbedingungen sehen das Recht am (Wohn-)Sitz des Google-Nutzers als anwendbares Recht vor. Dies ist zulässig, da die Parteien sich auf jede staatliche Rechtsordnung einigen können.17
Bei Geschäftskunden besteht – im Gegensatz zum Konsumentenvertragsrecht (Artikel 120 Absatz 2 IPRG) – kein Rechtswahlverbot. Das Recht am Sitz des kommerziellen Google-Nutzers ist mithin nicht in Stein gemeisselt.
Zuzustimmen ist dem Obergericht hingegen grundsätzlich darin, dass das anwendbare Recht auf Persönlichkeitsverletzungen im ausservertraglichen Kontext nach Artikel 33 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 133 Absatz 2 IPRG anzuknüpfen ist.
Zwar subsumiert ein Teil der Lehre das Internet auch unter den Medienbegriff nach Artikel 139 IPRG, indem es den offenen und unbestimmten Empfängerkreis zum einzig massgebenden Kriterium erhebt.18 Das überzeugt allerdings nicht, zumal der Wortlaut des Artikels 139 Absatz 1 IPRG explizit nur Presse, Radio und Fernsehen nennt und trotz des Wortes «insbesondere» kaum eine Ausdehnung auf alle möglichen digitalen Informationsquellen ohne vergleichbaren Mediencharakter beabsichtigt. Da eine Anknüpfung nach Artikel 139 und 133 IPRG jedoch in sehr vielen Fällen zum selben Resultat führt, wurde die Frage vom Bundesgericht bislang offengelassen.19
Aus praxisorientierter Sicht wichtig ist dagegen, dass im Verhältnis Google-Nutzer zu Rezensent de facto kein Vertrag vorliegt (zumindest kein Vertrag in Bezug auf öffentliche Bewertungen) und diesfalls das anwendbare Recht ausservertraglich anknüpft.
2.3 Sachliche Zuständigkeit
Im vorliegenden Fall haben ein Arzt (natürliche Person) und eine Praxis-AG (juristische Person) eine aktive einfache Streitgenossenschaft gebildet, die gegen Google Ireland Limited klagte. Sowohl das Bezirksgericht Zürich als auch das Obergericht haben sich ohne Weiteres mit der Sache befasst.
Auch dies wirft Fragen auf, denn unstreitig ist bei Google-Rezensionen über ein Unternehmen die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen. Ebenso handelt es sich bei Ansprüchen aus Persönlichkeitsverletzung um nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten,20 soweit es nicht im Einzelfall um vermögensrechtliche Sekundäransprüche wie Schadenersatz oder Genugtuung geht.21 Der Weiterzug ans Bundesgericht steht damit uneingeschränkt offen.
Ebenso sind sowohl die Arztpraxis wie auch Google Ireland im schweizerischen und einem ausländischen Handelsregister eingetragen. Damit sind zumindest in Bezug auf eine der beiden klagenden Parteien alle Voraussetzungen einer handelsgerichtlichen Streitigkeit gemäss Artikel 6 Absatz 2 ZPO erfüllt. Es erstaunt daher, dass das Bezirksgericht Zürich auf das Begehren der Arztpraxis-AG eingetreten ist. In ähnlich gelagerten Fällen fällte es teilweise Nichteintretensentscheide.22
Das Bundesgericht hält zur einfachen passiven Streitgenossenschaft fest, das Erfordernis der selben sachlichen Zuständigkeit sei, auch wenn es im Wortlaut von Artikel 71 ZPO nicht erwähnt sei, zwecks Vermeidung widersprüchlicher Urteile zwingend, womit eine Klage vor dem Handelsgericht nur möglich sei, wenn alle beklagten Streitgenossen im Handelsregister eingetragen seien.23
Führt man diesen Gedanken weiter, müsste bei einer einfachen aktiven Streitgenossenschaft dasselbe gelten, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Konkret: Ist das Handelsgericht für einen aktiven Streitgenossen zwingend zuständig, wird für die übrigen einfachen Streitgenossen aus dem Wahlrecht nach Artikel 6 Absatz 3 ZPO eine (zumindest faktische) Pflicht, soweit man an der einfachen Streitgenossenschaft festhalten sowie die Persönlichkeitsverletzung mehrerer Rechtssubjekte geltend machen will. Aus dem Gesagten folgt, dass allermindestens in Bezug auf die Arzt-AG in casu richtigerweise ein Nichteintretensentscheid hätte ergehen müssen.
2.4 Internationale Rechtshilfe
Fragezeichen löst auch das Vorgehen des Obergerichts aus, angesichts des für Google günstigen Verfahrensausgangs auf eine rechtshilfeweise Urteilszustellung nach Irland zu verzichten. 24 Dies bedeutet nichts anderes, als dass es der Auffassung der II. Zivilkammer des Obergerichts zu entsprechen scheint, eine Partei, die ohne Durchführung eines Schriftenwechsels in einem Zivilverfahren obsiegt, müsse gar nicht darüber informiert werden, dass gegen sie ein Verfahren eingeleitet wurde.
Diese Haltung ist rechtsstaatlich bedenklich, denn das Recht auf Akteneinsicht hat Verfassungsrang (Artikel 29 Absatz 2 BV).25 Wie aber soll eine Partei dieses geltend machen, wenn sie nicht einmal weiss, dass gegen sie ein Verfahren eingeleitet worden ist?
Ende September entschied das Aargauer Verwaltungsgericht, dass es unzulässig ist, eine Person nicht nachträglich darüber zu informieren, dass gegen sie präventiv verdeckt gefahndet wurde. Gegenteilige Normen des kantonalen Po-
lizeirechts wurden aufgehoben.26
Auch für die I. Zivilkammer des Zürcher Obergerichts steht ausser Frage, dass bereits die Schwärzung der Adresse einer Partei im Eheschutzverfahren eine Einschränkung des Akteneinsichtsrechts darstellt.27 Auch Nichtanhandnahmeverfügungen sind der betroffenen Person mitzuteilen (Artikel 310 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 321 Absatz 1 litera a StPO), hat diese doch ein Recht darauf zu erfahren, dass hinter ihrem Rücken eine Anzeige gegen sie eingereicht wurde.
Die Pflicht zur Zustellung von Entscheiden an die Betroffenen, allenfalls an ein inländisches Zustelldomizil (Artikel 140 ZPO), ergibt sich auch direkt aus dem Zivilprozessrecht (Artikel 136 litera b ZPO). Das gegenteilige Rechtsverständnis, das dem in casu relevanten Obergerichtsurteil zugrunde liegt, überrascht und ist wohl justizökonomischen Gründen geschuldet.
Anzumerken ist, dass eine rechtshilfeweise Zustellung nach Irland nicht sehr aufwendig wäre. So ist, gestützt auf Artikel 8 und 10 litera a HZÜ65 in Zivil- und Handelssachen, die Postzustellung in einen anderen Vertragsstaat zulässig, wenn der ersuchte Staat seinerseits im Gegensatz zur Schweiz keinen Vorbehalt zu Artikel 10 litera a HZÜ65 angebracht hat und er zudem auf die Anwendung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit – aufgrund des Vorbehalts der Schweiz – verzichtet hat.28 Dies ist gemäss dem Rechtshilfeführer des EJPD bei Irland der Fall. Deshalb darf die schweizerische Botschaft in Irland Gerichtsurkunden an irische Empfänger mit eingeschriebener Post gegen Rückschein zustellen.
3. Materielle Aspekte
3.1 Hohe Anforderungen an Persönlichkeitsverletzung
Das Bezirksgericht und das Obergericht bejahten die Aktivlegitimation nicht nur des betroffenen Arztes, sondern auch von dessen AG, können doch auch juristische Personen in ihren Persönlichkeitsrechten nach Artikel 28 ff. ZGB verletzt sein,29 wobei die Aktivlegitimation nur in Bezug auf Verletzungshandlungen besteht, von denen jemand persönlich und direkt betroffen ist,30 was eine aktive einfache Streitgenossenschaft nahelegt, wenn eine Google-Rezension einen einzelnen Arzt wie auch die dahinterstehende Praxis kritisiert.
In seiner inhaltlichen Beurteilung der Google-Rezension unterscheidet das Gericht zwischen «diskriminierend» (Wortwahl Rezensentin) und «rassistisch» (Verständnis betroffener Arzt), und hält fest, dass eine Person, die über einen Google-Unternehmensaccount verfügt, sich auch (pointierte) Kritik gefallen lassen muss. Zugleich ist ein scharfer Ton in den Augen des Obergerichts nicht notwendigerweise unangemessen, was eine grundrechtskonforme (Artikel 16 Absatz 2 BV) Auslegung von Artikel 28 ZGB darstellt.
Schliesslich geht das Obergericht auf den konkreten Rahmen der beanstandeten Äusserungen ein und hält fest, Google-Rezensionen hätten ja gerade den Zweck, Firmen zu bewerten, womit Übertreibungen zu antizipieren sind, was auch einem Durchschnittsleser, der dies einzuordnen weiss, bewusst sei.
Grundsätzlich muss dies – gerade bei zeichen- oder platzbeschränkten Kommunikationskanälen – auch für diverse weitere Formen von Social Media gelten, ist es doch etwa geradezu notorisch, dass auf X (vormals Twitter) die Nutzer pointierte Äusserungen tätigen, die sie allenfalls in einem apolitischen Umfeld unterliessen. Und genauso wie Google-Rezensionen zum Zweck haben, die Meinungsbildung über Unternehmen zu fördern, dienen diverse Social-Media-Kanäle der ideellen Meinungsbildung. Die Massstäbe an den Durchschnittsleser sind dabei relativ ähnlich.
Einen Google-rezensionsspezifischen Unterschied hat das Obergericht, weil es eine Persönlichkeitsverletzung ohnehin verneint hat, im betreffenden Urteil hingegen gar nicht thematisiert – nämlich den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung (Artikel 28 Absatz 2 ZGB). Dies, obwohl zwischen einem (unaufgeforderten) Medienartikel, der beispielsweise einen Gastronomen im Zürcher Seefeld der Abzocke bezichtigt, weil dieser einen Liter Wasser für zehn Franken anpreist,31 und einer Google-Rezension ein wesentlicher Unterschied besteht.
Während der Gastrounternehmer den Journalisten, der solch einen Artikel über ihn veröffentlicht, weder direkt noch indirekt hierzu aufgefordert hat, entscheidet demgegenüber jedes Unternehmen selbst, ob es überhaupt einen Auftritt auf Google haben und sich damit den Rezensionen des Publikums aussetzen will. Damit stellt sich unvermeidlich die Frage nach der Einwilligung. Massgebend ist dabei primär der konkrete vertragliche Rahmen.
Zu berücksichtigen sind zunächst die Google-Nutzungsbedingungen, da auch jede Rezensentin und jeder Rezensent über einen Google-Account verfügen müssen, um eine Unternehmensbewertung abgeben zu können. In der (aktuellen) Fassung vom 5. Januar 2022 hält die Länderversion Schweiz fest: «Sie respektieren die Rechte anderer, darunter Persönlichkeitsrechte und geistige Eigentumsrechte.» Und: «Sie missbrauchen oder schädigen weder andere noch sich selbst (und drohen ein solches Verhalten auch nicht an oder fördern dieses), beispielsweise durch Irreführung, Betrug, Identitätsdiebstahl, Verleumdung, Mobbing, Belästigung oder Stalking.»
Für den hier interessierenden Kontext ergibt sich, dass die Nutzungsbedingungen von Google sowohl zivilrechtliche Persönlichkeitsverletzungen als auch strafrechtliche Verleumdungen untersagen. In Bezug auf den heutigen vertraglichen Rechtsrahmen von Google kann somit nicht von einer impliziten Einwilligung in Persönlichkeitsverletzungen gesprochen werden.
Zu beachten ist allerdings auch hier wieder, dass sich Nutzungsbedingungen eines Unternehmens mit der Zeit ändern können. Zudem ist denkbar, dass auf anderen Bewertungsplattformen andere Massstäbe gelten – womit sich die Frage nach der Einwilligung wieder stellt, zumal eine solche selbst in strafbare Handlungen möglich ist, soweit diese Individualrechtsgüter betreffen.32 Kann jemand also beispielsweise selbst in risikosportbedingte Körperverletzungen einwilligen, muss dies erst recht für Google-Rezensionen – mit einer offensichtlich geringeren Eingriffsintensität – gelten.
Denkt man sich Nutzungsbedingungen oder irgendwie geartete Netiquetten weg, so ist zumindest grundsätzlich von einer Einwilligung auch in negative Rezensionen auszugehen. Danach ist einzig noch zu prüfen, wie weit sich die Einwilligung konkret erstreckt. Wer freiwillig einen Google-Account eröffnet, in der Hoffnung, gute Bewertungen zu erhalten, muss im Grundsatz auch mit negativen Bewertungen umgehen können. Reine Werturteile oder Wenig-Stern-Bewertungen ohne vertiefte Begründung müssen damit grundsätzlich Gegenstand der Einwilligung sein.
Auf unwahre Tatsachenbehauptungen, deren Verbreitung praxisgemäss mit gutem Grund per se widerrechtlich ist,33 dürfte sich eine Einwilligung hingegen nicht erstrecken. Mit Verleumdungen oder Bewertungen durch beliebige Dritte (wie Nicht-Kunden) muss ein Unternehmen nämlich nicht rechnen.
Ein Streitpunkt dürften gemischte Werturteile sein. Diesbezüglich ist eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, wobei im Kontext von (Google-)Firmenrezensionen das Vorliegen einer Einwilligung vorfrageweise zu prüfen ist. Dabei liegt zumindest in Bezug auf leichte und mittlere Kritik, die im Rahmen gemischter Werturteile geäussert wird, vermutungsweise eine Einwilligung vor.
3.2 Passivlegitimation und Prozesstaktik
Zu Recht hat das Obergericht die Passivlegitimation bejaht und eine Klage gegen Google Ireland Limited zugelassen, stellt diese doch die Infrastruktur zur Verbreitung von Google-Rezensionen zur Verfügung. Für die Passivlegitimation ist ausreichend, dass jemand – im Gegensatz zum Rezensenten als Haupttäter – auch nur in untergeordneter Weise an einer Persönlichkeitsverletzung mitwirkt.34
Ebenso richtig ist, dass vorliegend Google Ireland Limited eingeklagt wurde und nicht etwa der hiesige Ableger Google Switzerland GmbH. Der Vertragspartner im Rahmen der Nutzungsbedingungen, die auf Google-Unternehmensaccounts und Bewertungen anwendbar sind, ist klarerweise Google Ireland Limited, womit in Bezug auf Google-Dienste nichts an einem internationalen Sachverhalt vorbeiführt. Demgegenüber kann betreffend Löschung persönlichkeitsverletzender Medienartikel im ausservertraglichen Verhältnis ein Unternehmen sehr wohl auch verpflichtet werden, bei Google Switzerland GmbH eine entsprechende, auf Artikel 344 ZPO gestützte Willenserklärung abzugeben.35
Sodann geht das Obergericht zu Recht davon aus, dass Google Ireland Limited über keine detaillierten Kenntnisse in Bezug auf die konkrete Beziehung zwischen Arzt und Patient verfügt. Kennt Google Ireland Limited die Geschehnisse nicht aufgrund eigener Handlung oder Wahrnehmung, kann das beklagte Unternehmen dazu auch keine sachdienlichen Ausführungen tätigen, womit ein Bestreiten mit Nichtwissen zulässig ist.36 Dies, während bei einer Klage gegen den Urheber und Verfasser der Rezension diesen die ganz gewöhnliche Pflicht zur substanziierten Bestreitung nach Artikel 222 Absatz 2 ZPO trifft.37
Daraus folgt der prozesstaktische Hinweis, dass – wenn immer möglich – bei Klagen im Zusammenhang mit Google-Bewertungen der Urheber und Rezensent ins Recht zu fassen ist. Diesen trifft eine Pflicht zur substanziierten Bestreitung. Kann er als Partei befragt werden, ist die Parteibefragung ein taugliches Beweismittel, wenn der Betroffene «in Konfrontation mit der Gegenpartei eindringlich verhört wird und auf unerwartete Fragen Antwort geben muss».38 Damit hat der Rezensent, auch wenn die Beweislast für die Persönlichkeitsverletzung bei der klagenden Partei verbleibt, eine Mitwirkungspflicht – wobei das Parteiverhalten ebenso Gegenstand der Beweiswürdigung bilden kann.
Folglich sind rein faktisch betrachtet die Chancen höher, mit einer Klage gegen den Rezensenten zu obsiegen, denn Google Ireland Limited kann sich mangels Sachverhaltskenntnis mit Recht darauf beschränken, pauschal mit Nichtwissen zu bestreiten, ohne dass sich dies auf die Beweiswürdigung auswirkte.
Unklar ist, ob im vorliegenden Fall die Arztpraxis von einer Person mit Pseudonym bewertet wurde. Google-Rezensionen werden zumindest statistisch auffällig oft namentlich verfasst. Auf X oder in den Kommentarspalten von Medien scheinen anonyme Profile weitaus öfter vorzukommen.
Wichtig ist auf jeden Fall: Will ein Berufsgeheimnisträger – wie ein Arzt oder Anwalt – gegen einen namentlich bekannten Rezensenten klagen, benötigt er dafür eine Entbindung vom Berufsgeheimnis durch die Gegenpartei oder die Aufsichtsbehörde (Artikel 321 Ziffer 2 StGB). Mit Blick auf die Rechtsweggarantie (Artikel 29a BV) dürfte bei potenziell persönlichkeitsverletzenden Rezensionen eine solche Entbindung in aller Regel zu erteilen sein.
4. Fazit
Gerichtsurteile in der Schweiz in Social-Media-Fragen sind noch immer selten. Anhand eines Urteils des Zürcher Obergerichts betreffend eine Google-Rezension konnte jedoch aufgezeigt werden, dass ein Beseitigungsbegehren infolge einer behaupteten Persönlichkeitsverletzung nicht leichthin gutgeheissen wird. Vielmehr wird zu Recht angenommen, dass der Durchschnittsleser die oft subjektive Komponente von User-Bewertungen einordnen kann. Neben einer grundrechtskonformen Auslegung von Artikel 28 ZGB sind die rezensionsspezifischen Aspekte zentral für die Rechtsanwendung. Weniger überzeugend ist demgegenüber die internationalrechtliche Methodik jenes Urteils.
Diesbezüglich besteht Verbesserungsbedarf, denn solche Fehler können die Qualität inhaltlich an sich überzeugender Urteile unnötig schwächen.
1 Im publizierten Urteil LF230003 vom 17.5.2023 sind die Parteien anonymisiert. Allerdings ist die Gesuchsgegnerin eine «Limited», auf deren Nutzungsbedingungen vom 5.1.2022 (Länderversion Schweiz) im Urteil explizit Bezug genommen wird. Streitgegenstand ist zudem eine negative 1-SterneUnternehmensbewertung. Angesichts dieser Indizien besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass es sich bei der Gegenpartei um Google Ireland Limited gehandelt hat.
2 Obergericht Zürich, Urteil LF230003 vom 17.5.2023., E. I. Rechtschreibfehler im Zitat wurden von der Redaktion korrigiert.
3 Ebd., E. II.
4 Ebd., E. II.3.
5 Ebd., E. III.1.
6 Ebd., E. III.2.
7 Ebd., E. III.3.
8 Ebd., E. IV.1-4.2.3.
9 Ebd., E. IV.4.2.4.
10 Ebd., E. IV.3.
11 Ebd., E. IV.4.4.
12 Ebd., E. IV.4.7.
13 Ebd., E. IV.5.
14 Ebd., E. V.
15 EuGH, Urteil C-322/14 vom 21.5.2015, ECLI:EU:C:2015:334, Rz. 40.
16 Dieter A. Hofmann/Oliver M. Kunz, in: Christiana Fountoulakis/ Christian Oetiker/Thomas Weibel (Hrsg.), Basler Kommentar, Luganer Übereinkommen, 3. Aufl., Basel 2023, Art. 5, N 475.
17 Zur Beschränkung des Rechtswahlrechts auf staatliche Rechtsordnungen: BGE 132 III 285, E. 1.3.
18 Felix Dasser/Luca Dal Molin, in: Pascal Grolimund/Leander Loacker/Anton K. Schnyder (Hrsg.), Basler Kommentar, IPRG, 4. Aufl., Basel 2021, Artikel 139 N 9.
19 BGer 4C.141/2002 vom 7.11.2002, E. 2.
20 BGE 127 III 481, E. 1a.
21 Michael Frey, Grundsätze der Streitwertbestimmung, Bern 2017, Rz. 18, S. 13 f.
22 Handelsgericht Zürich, Urteil HG200241 vom 13.6.2023, Sachverhalt B: Daraus geht hervor, dass das Bezirksgericht Zürich in Bezug auf die Klägerinnen 1 und 5, die in der Rechtsform einer AG organisiert sind und gegen ein Medienunternehmen geklagt haben, nicht auf das Massnahmengesuch eingetreten ist – woraufhin sämtliche neun Klägerinnen und Kläger den Prozess in der Hauptsache beim Handelsgericht anhängig gemacht haben.
23 BGE 138 III 471, E. 5.
24 Obergericht Zürich, Urteil LF230003 vom 17.5.2023, E. IV.7.
25 Statt vieler: Giovanni Biaggini, Kommentar BV, 2. Aufl., Zürich 2017, Artikel 29, N 21.
26 Verwaltungsgericht Aargau, Urteil WNO.2023.1 vom 28.9.2023, E. 6. Aus Gründen der Transparenz sei angemerkt, dass der Autor einer von zwei Beschwerdeführenden in jenem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle war.
27 Obergericht Zürich, Urteil LE220042 vom 8.5.2023, E. D.4.4.
28 BGer 4A_141/2015 vom 25.6.2015, E. 5.1.1.
29 BGE 121 III 168, E. 3a.
30 BGer 5A_641/2011 vom 23.2.2012, E. 5.1.
31 Daniel Krähenbühl/Marino Walser, «Gast zahlt 20 Franken für zwei Liter Wasser – und ist verärgert», in: «20 Minuten», aktualisiert am 2.11.2023.
32 Andreas Donatsch, in: Andreas Donatsch (Hrsg.), Kommentar, StGB, 21. Aufl., Zürich 2022, Artikel 14, N 4.
33 BGer 5A_658/2014 vom 6.5.2015, E. 8.2 in fine.
34 Statt vieler: Regina E. Aebi-Müller, in: Ruth Arnet/Peter Breitschmid/ Alexandra Jungo (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Band 1, Personen- und Familienrecht, 4. Aufl., Zürich 2023, Artikel 28a, N 3.
35 Exemplarisch hierzu: Handelsgericht Zürich, Urteil HG200241 vom 13.6.2023, Dispositiv-Ziffer 2.
36 BGer 4A_443/2017 vom 30.4.2018, E. 4.3.
37 Obergericht Zürich, Urteil LA210032 vom 17. 8.2022, E. III.2.2.
38 BGE 143 III 297, E. 9.3.2.