Die frühere Tätigkeit als erstinstanzlicher Strafrichter hinterliess bei mir überaus ernüchternde Erfahrungen im Umgang mit ausländischen Beschuldigten. Immer wieder gewann ich den Eindruck, dass diese Personengruppe in mancher Hinsicht stark benachteiligt wird. Derartige Fälle lassen rasch einmal Zweifel an einer gerechten Justiz aufkommen.
Das ist nicht allein eine Folge der wenig menschenfreundlichen Ausländergesetzgebung mit ihren massiven Sanktionen. Die Ungerechtigkeiten beginnen nämlich auf der prozessualen Ebene bereits zu Beginn der Verfahren – etwa bei der Frage, wer auf der Strasse polizeilich kontrolliert wird (Stichwort: Racial Profiling).
Auch ist hier der sehr lockere behördliche Umgang mit der Zwangsmassnahme der Untersuchungshaft kritisch zu erwähnen (etwa bei illegalem Aufenthalt). Erschwerend kommt eine zuweilen ausgeprägte fremdenfeindliche Stimmung in den Strafbehörden hinzu, nicht zuletzt während der geheimen Urteilsberatungen (wo man ja unter sich ist und die eigene Haltung ungehemmt ausleben kann).
Zentral sind hier jene Strafbestimmungen, die ausschliesslich oder in erster Linie Ausländerinnen und Ausländer betreffen. Eine hohe praktische Relevanz weisen im vorliegenden Zusammenhang die Artikel 115 ff. des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) auf, die sich primär gegen eine unerwünschte Migration richten.
Den Kernbereich bilden dabei die rechtswidrige Anwesenheit und die rechtswidrige Einreise, die Ausübung einer nicht bewilligten Erwerbstätigkeit, die Förderung der rechtswidrigen Anwesenheit, die Beschäftigung ausländischer Personen ohne Bewilligung sowie die Missachtung der Ein- oder Ausgrenzung.
Tendenz zu masslosen Sanktionen
Das AIG bezweckt zu einem wesentlichen Teil eine Steuerung der Migration durch verwaltungs- und polizeirechtliche Vorschriften, also etwa mittels Vorschriften über Ein- und Ausreise, über Aufenthalt, über Arbeitsbewilligungen und so weiter. Der Durchsetzung dieses Ziels dienen die genannten Strafbestimmungen (und strafähnliche Massnahmen des Verwaltungsrechts, Artikel 61 ff. und 75 ff.).
Dahinter verbirgt sich die gesetzgeberische Vorstellung der Migration als potenzieller Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die man frühzeitig eindämmen will. In unserer Gesellschaft herrscht offenkundig ein tief verankerter Hang, namentlich straffälligen Menschen ohne Schweizer Pass den Aufenthalt im Land zu verwehren.
Insgesamt statuiert das Gesetz eine sehr strenge Regelung: Es besteht die Tendenz zu masslosen kriminalrechtlichen Sanktionen und zu harten Eingriffen in die persönliche Freiheit. Stark präventive Komponenten dominieren, während gleichzeitig die elementaren Prinzipien von Schuldangemessenheit und Verhältnismässigkeit verkümmern.
Ferner sind auch rechtspolitische Bedenken hervorzuheben, vor allem angesichts des ökonomisch-sozialen Hintergrunds der weltweiten Migrationsbewegungen. Denn die massenhafte illegale Einwanderung ist als «hausgemachte» Folge einer inhumanen Migrationspolitik zu betrachten.
Zwischen dem allgemeinen Strafrecht und dem Ausländerstrafrecht sind Diskrepanzen unübersehbar, dies sowohl hinsichtlich der gesetzlichen Strafrahmen wie auch der richterlichen Praxis. Viele ausländische Verurteilte werden gemäss dem AIG mit übermässigen und nicht schuldangemessenen Strafen belegt.
Generell lässt sich in der Rechtsprechung eine Neigung zu überhöhten Strafen gegenüber ausländischen Staatsangehörigen beobachten. Ich meine damit den verbreiteten «Ausländerzuschlag» in der Strafzumessung, der den Grundsätzen des Artikels 47 StGB widerspricht. Diese Benachteiligung betrifft vorab Beschuldigte aus uns fremden Kulturen.
Die dargelegten kritischen Anmerkungen zum Ausländerstrafrecht leiten nunmehr über zur fundamentalen Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von gesetzlichen Differenzierungen aufgrund des Merkmals der Staatsangehörigkeit. Diesbezüglich gilt nach vorherrschender Ansicht das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 8 Absatz 1 der Bundesverfassung. Dementsprechend ist eine unterschiedliche Behandlung eigener und fremder Bürgerinnen und Bürger zulässig, falls vernünftige Gründe vorliegen. Das wird beispielsweise für den Bereich der politischen Rechte wie Stimm- und Wahlrecht akzeptiert.
Ebenfalls sind normative Regelungen der Migration nicht prinzipiell zu beanstanden. Sie bringen vielmehr einen Aspekt der staatlichen Souveränität zum Ausdruck.
Im Anschluss daran fragt sich allerdings, ob auch für eine unterschiedliche strafrechtliche Beurteilung von Leuten mit oder ohne Schweizer Pass sachliche Gründe vorliegen. Erweisen sich zur an sich legitimen rechtlichen Steuerung der Migration besondere Strafnormen wirklich als unerlässlich? Inwieweit sind die auf ausländische Personen zugeschnittenen Straftatbestände und -sanktionen des AIG notwendig und angemessen? Wie lässt sich im Übrigen die richterliche Landesverweisung (Artikel 66a ff. Strafgesetzbuch) als drastische Doppel- oder Zusatzsanktionierung von Verfassungswegen legitimieren?
Oder nochmals anders gefragt: Darf der Zufall der fremden Staatsangehörigkeit oder Kultur zu einer markanten Benachteiligung der betroffenen Personen führen? Schlüssige Antworten darauf fehlen bislang weitgehend.
Aus der Formulierung dieser Fragestellungen ist meine erhebliche Skepsis erkennbar. Ich bin nämlich der Ansicht, dass der Staat mit seinen strafrechtlichen Interventionen gegenüber fremden Staatsangehörigen insgesamt den Bereich einer legitimen Sanktionierung überschreitet.
U-Haft wird «regelmässig unbekümmert» verfügt
Neben dem extensiven Kriminalisierungskonzept im AIG empfinde ich ebenfalls die regelmässig unbekümmert verfügte Untersuchungshaft sowie die übermässig oft ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafen (zumeist mittels Strafbefehl einer Staatsanwaltschaft, ohne Mitwirkung eines Gerichts) als sehr stossend.
Als kurzes Fazit bleibt: Mich enttäuscht in hohem Masse, dass die Problematik der fehlenden Rechtsgleichheit bisher weder in der Kriminalpolitik noch in der Strafrechtswissenschaft ernsthaft zur Kenntnis genommen – geschweige denn einer vertieften Analyse unterzogen worden ist.