Die Schweiz wird wegen ihren günstigen rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen oft als Stiftungsparadies bezeichnet. Mit 13 293 gemeinnützigen Stiftungen hält die Schweiz laut dem Stiftungsreport eine internationale Spitzenposition. Sie weist im Verhältnis zur Bevölkerung sechsmal mehr Stiftungen auf als etwa die USA oder Deutschland.
Dominique Jakob, Leiter des Zentrums für Stiftungsrecht an der Uni Zürich, sieht aber dunkle Wolken am Horizont aufziehen: «Das Misstrauen gegenüber Stiftungen ist gestiegen.» Der Druck komme von der OECD, vom hiesigen Bundesgericht und den Aufsichtsbehörden.
Die Stiftungsaufsicht hat sicherzustellen, dass die Organe nur den Stifterwillen vollziehen und nicht ihre eigenen Interessen verfolgen. Die zur Aufsicht beauftragte Behörde muss nach Artikel 84 Absatz 2 ZGB dafür sorgen, dass das «Stiftungsvermögen seinen Zwecken gemäss verwendet wird». Sie kann eine Stiftung zu Korrekturen zwingen, wenn ein Stiftungsrat Handlungen vornimmt, die nicht mit dem Stiftungszweck konform sind. Namentlich hat die Aufsichtsbehörde darüber zu wachen, dass der Stiftungsrat das Gesetz, die Stiftungsurkunde und allfällige Reglemente beachtet sowie sein Ermessen nicht fehlerhaft ausübt.
Rechtsanwalt Roman Baumann Lorant aus Dornach SO ist auch Lehrbeauftragter für Stiftungs- und Vereinsrecht an der Uni Basel. Er verweist auf eine zusätzliche Aufgabe der Aufsicht: «Sie kann nicht nur eine nachträgliche Korrektur bestimmter rechts- und statutenwidriger Handlungen des Stiftungsrats verlangen, sondern auch präventiv derartige Pflichtverletzungen verhindern.» Die Aufsichtsbehörde dürfe aber nicht anstelle des Stiftungsrats handeln. Sie habe ihren Eingriff auf das Notwendigste zu beschränken und dabei dem Stiftungsrat «den nötigen Entscheidungsspielraum zu belassen». Daran halte sich die Aufsicht aber nicht immer, kritisiert Jakob. «Die Behörden greifen immer stärker ein. Gleichzeitig stehen sie vor einer steigenden Komplexität – bei abnehmenden Ressourcen.» Das führe bei der Aufsicht zu einem typischen Verhaltensmechanismus: «Wenn unsicher, im Zweifel restriktiv!»
Fragmentierte Aufsicht über die Stiftungen
Die Aufsicht über die Stiftungen ist fragmentiert: Die Aufsicht über die Pensionskassen wird heute von öffentlich-rechtlichen Anstalten kantonsübergreifend wahrgenommen (siehe Kasten). Für die übrigen Stiftungen gilt: Eine kantonale Aufsichtsbehörde beaufsichtigt sämtliche Stiftungen, die ihren Sitz im Kanton haben. Stiftungen, die ihren Zweck kommunal oder in einem Bezirk erfüllen, können auch vom zuständigen Gemeinde- oder Bezirksrat beaufsichtigt werden. Stiftungen, die landesweit oder im Ausland tätig sind, unterstehen der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht, die dem Eidgenössischen Departement des Innern angegliedert ist.
Ein interkantonaler Vergleich über die Aufsicht der klassischen Stiftungen zeigt: 16 Kantone haben diese in öffentlich-rechtliche Anstalten ausgelagert. Zehn Kantone behielten die Aufsicht in der eigenen Verwaltung. Die kommunalen Stiftungsaufsichten wurden nicht in das kantonale Aufsichtssystem integriert.
Beispiel Zürich: Die zwölf Bezirke beaufsichtigen rund 240 Stiftungen, die 166 Gemeinden rund 180. «Ein krasser Wildwuchs an Zuständigkeiten und Kompetenzen», kritisiert Jakob. «Das liegt nicht zuletzt an den Gemeinden, die zum Teil sehr wenige Stiftungen beaufsichtigen.» Diese Zersplitterung kritisiert auch Anwalt Baumann Lorant: Sie sei enorm störend und verhindere eine Professionalisierung. Auch die Eidgenössische Finanzkontrolle sieht in ihrem Evaluationsbericht von 2017 das Problem: Mit der Aufsicht auf Gemeindestufe über eine oder zwei Stiftungen könne die Fachkompetenz nicht sichergestellt werden. Zudem sei bei vielen Stiftungen unter lokaler Aufsicht eine enge Verbindung der Organe unumgänglich, was zu Interessenkonflikten führen könne.
Die Stadt Zürich erkannte dies und strebt seit Anfang 2020 an, ihre Aufsicht der BVG- und Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich (BVS Zürich) zu übertragen. Die dem Finanzdepartement angegliederte Abteilung kontrolliert zurzeit 83 privatrechtliche Stiftungen. Das erledigt eine einzige Person in einem 50-Prozent-Pensum. «Unter solchen Rahmenbedingungen ist es schwierig, eine professionelle Aufsichtstätigkeit sicherzustellen», sagt Roger Tischhauser, Chef der BVS Zürich und seit letztem Jahr Präsident der Konferenz der kantonalen BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden.
Die BVS Zürich gilt in Fachkreisen und unter Praktikern neben der Basler BVG- und Stiftungsaufsicht als Vorzeigemodell punkto Professionalität und Organisation. Tischhauser: «2019 nahmen wir 2559 Prüfungshandlungen vor.» Zusätzlich hätte die BVS im Rahmen der Aufsicht 108 Risikodialoge mit Stiftungen geführt. Der Zeitaufwand für die Aufsichtstätigkeit in beiden Bereichen verteilt sich laut Tischhauser einseitig: 86 Prozent gehen aufs Konto der beruflichen Vorsorge, 14 Prozent entfallen auf klassische Stiftungen. Die Aufsicht und Betreuung der rund 700 Personalvorsorgestiftungen mit einem Vermögen von rund 400 Milliarden Franken sei «viel komplexer und aufwendiger». 40 Prozent aller Schweizer Vorsorgestiftungen stehen unter Zürcher Aufsicht. Das sind 2 Millionen Versicherte.
Laut Tischhauser prüfen über 30 Mitarbeiter die Jahresberichte und -rechnungen der beaufsichtigten Stiftungen. Geprüft werde die Organisation, die Vermögensverwendung und die Anlage des Stiftungsvermögens. «Dabei nehmen wir Einsicht in die Berichte der Revisionsstellen sowie die versicherungstechnischen Berichte der Experten der beruflichen Vorsorge. Werden im Prüfverfahren wesentliche Mängel festgestellt, wird deren Behebung angeordnet und der Vollzug überwacht.» Insgesamt erliess die BVS Zürich im vergangenen Jahr 157 beschwerdefähige Verfügungen.
Bei der BVG- und Stiftungsaufsicht beider Basel sind laut Chefin Christina Ruggli-Wüest 17 Personen angestellt. Sie betont: «Es ist wichtig, dass die Aufsicht über die Pensionskassen und die über die klassischen Stiftungen nicht vermischt wird. Denn die Aufsichtstätigkeiten beruhen auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen.» Müsse die Aufsicht einschreiten, stünden ihr «scharfe Massnahmen und Instrumente zur Verfügung», so Ruggli-Wüest. «Das Spektrum reicht von einer Ermahnung bis zur Abberufung des Stiftungsrates.» Im vergangenen Jahr seien drei Stiftungsräte abgesetzt worden.
Dominique Jakob kritisiert die auch präventiv eingesetzten Aufsichtsmittel. Jede Änderung von Urkunden und Statuten laufe über die Aufsichtsbehörde, das sei in Artikel 85 ff. ZGB so geregelt. Aber Reglemente würden nicht darunter fallen. «Trotzdem verlangen kantonale Aufsichtsverordnungen die unverzügliche Einreichung zur Prüfung.» Dies sei verbunden mit relativ hohen Gebühren zwischen 250 und 10 000 Franken. «Die Behörden sind bisweilen daran zu erinnern, dass es sich lediglich um eine deklaratorische Kenntnisnahme und nicht um eine konstitutive Genehmigung handeln kann», so der Zürcher Stiftungsrechtler.
Aufsichtsbeschwerde wurde geschwächt
Von besonderer Bedeutung für ein funktionierendes Stiftungswesen ist der Rechtsschutz. Die Gerichte leiteten vor Jahrzehnten aus Artikel 84 Absatz 2 ZGB die «Stiftungsaufsichtsbeschwerde» ab. Damit können auch Destinatäre die Behörden zu einem Tun oder Unterlassen anhalten – und den Fall notfalls bis vor Bundesgericht weiterziehen. Doch das oberste Gericht verminderte in seiner jüngsten Rechtsprechung den Rechtsschutz ohne nachvollziehbare Gründe enorm und schwächte die Beschwerdebefugnis radikal, kritisiert Jakob. Der Professor spricht von strukturellen Fehlern in der Rechtsprechung und zielt damit auf den Fall der Biedermann-Stiftung (5A_97/2018): Das Bundesverwaltungs- und das Bundesgericht hatten der abgesetzten Stiftungsrätin das Beschwerderecht abgesprochen, weil sie «keine persönlichen Vorteile» von der Stiftung zu erwarten hätte. Jakob: «Die Gerichte untergraben so den Schutz der Stiftung.»
Ein weiteres Problem ortet der Professor bei der Entwicklung, auf die Stiftungsaufsichtsbeschwerde neuerdings die 30-tägige Frist desVerwaltungsverfahrensrechts anwenden zu wollen (B-5449/2016). «Das Bundesverwaltungsgericht tut das ohne eine plausible Begründung oder auch nur den Ansatz einer dogmatisch nachvollziehbaren Diskussion», so Jakob. Mit einem neuen Urteil stieg die Rechtsunsicherheit nochmals an (9C_15/ 2019).
Die Zürcher Anwältin Susanne Friedauer kritisiert, dass das Bundesgericht in diesem Urteil gleich mehrere Analogien anwandte, um die Frist für die im Gesetz nicht erwähnte Stiftungsaufsichtsbeschwerde zu bestimmen. Es erwähnte das Vereinsrecht, das Verwaltungsrecht, das Sozialversicherungsrecht – und kam so auf unterschiedlichen Wegen auf eine Frist von möglicherweise 30 Tagen. «Das Gericht legte sich schliesslich auf keine der dargelegten Varianten fest und liess die Frage offen, wie nun die Frist zu bestimmen sei», so Jakob. Eine solch unübersichtliche Situation sei für Praktiker und Destinatäre unhaltbar, nicht nachvollziehbar und verhindere Rechtssicherheit.
Laut Jakob ist eine Befristung der Beschwerde nicht hinnehmbar, wenn es darum gehe, einer allgemeinen Gefahrenlage für die Stiftung zu begegnen. «Weder der Schutz des Stifterwillens noch der Schutzauftrag der Aufsichtsbehörden kann ablaufen.» Er verlangt deshalb, einen Artikel 84 Absatz 3 ZGB einzuführen, der festhalte, dass es eine Stiftungsaufsichtsbeschwerde gibt und alle zur Beschwerde legitimiert sind, die ein «berechtigtes Kontrollinteresse» daran haben, dass die Verwaltung der Stiftung mit dem Recht und den Statuten im Einklang steht.
Der Gesetzgeber hat diesen Vorschlag aufgegriffen. Aktuell ist eine Revision im Gange: Ende November 2019 präsentierte die Rechtskommission des Ständerats den «Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die Stärkung des Stiftungsstandorts Schweiz». Darin ist unter anderem die Aufsichtsbeschwerde enthalten, eine Haftungsbeschränkung für unentgeltlich tätige Organe sowie eine neue Transparenzvorschrift für gemeinnützige Stiftungen.
So ist die Stiftungsaufsicht organisiert
Die kantonale Stiftungsaufsicht wird von verschiedenen Konkordaten wahrgenommen. So etwa der «Zentralschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht» (Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug) und der «Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht» (Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Graubünden, St. Gallen und Thurgau). Daneben entstanden weitere Konkordate wie die «BVG- und Stiftungsaufsicht beider Basel» sowie die «Westschweizer BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörde» für Waadt, Wallis, Neuenburg und Jura.
Der Kanton Schaffhausen hat sich in einer Vereinbarung der BVG- und Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich und der Kanton Freiburg in einem Vertrag der Bernischen BVG- und Stiftungsaufsicht angeschlossen.
Das Tessin hat sich an das Ostschweizer Konkordat angehängt, verfügt aber über eine italienischsprachige Niederlassung im Tessin.
Der Kanton Solothurn übertrug einzig seine Aufsicht über die beruflichen Vorsorgestiftungen der BVG- und Stiftungsaufsicht Aargau. Die klassischen Stiftungen beaufsichtigt er selbst.
Genf hat eine eigene Anstalt für beide Aufsichten (Autorité cantonale de surveillance des fondations et des institutions de prévoyance) und schloss sich keiner Körperschaft an.