Das Stimmvolk stimmte 2013 einer Verschärfung des Asylgesetzes zu. Das Asylwesen soll reorganisiert werden. Der Bundesrat hat die Gesetzesvorlage dazu im September 2014 ans Parlament weitergeleitet.
Die vorgeschlagenen neuen Verfahren werden seit Anfang 2014 in einem Zentrum an der Förrlibuckstrasse in Zürich getestet. Hier befinden sich die wichtigsten Akteure des Asylverfahrens unter einem Dach: die Asylbewerber, das Personal vom Staatssekretariat für Migration, die Rechtsvertretung sowie die Rückkehrberatung. Den Kantonen sollen in Zukunft nur noch jene Asylbewerber zugeteilt werden, deren Verfahren länger dauern wird.
Mitte Februar hat das Staatssekretariat für Migration vier extern in Auftrag gegebene Evaluationen der ersten zehn Monate im Testzentrum veröffentlicht. Resultat: Die in dieser Zeit durchgeführten 1256 Asylverfahren konnten deutlich verkürzt werden. Das neu eingeführte beschleunigte Verfahren für einfachere Fälle dauerte im Durchschnitt 51 Tage – 17 Tage weniger als in einem regulären Zentrum. Die erweiterten Verfahren konnten im Durchschnitt um 76 Tage verkürzt werden.
Laut dem Staatssekretariat hatte diese Verfahrensbeschleunigung keine negativen Auswirkungen auf die Qualität der Entscheide: «Die Beschwerdequote ist mit 15 Prozent tiefer als üblich (21 Prozent); von 88 Beschwerden in der Betrachtungsperiode hat das Bundesverwaltungsgericht 64 behandelt und davon 3 gutgeheissen.»
Um trotz rascherer Verfahren rechtsstaatlich korrekte Entscheide zu gewährleisten, wird den Asylbewerbern ab Beginn des Verfahrens ein Anspruch auf kostenlose Beratung über das Asylverfahren sowie eine kostenlose Rechtsvertretung gewährt.
Pauschale Entschädigung von Fr. 1361.06 pro Fall
Gestellt werden diese Juristen von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) im Verbund mit drei Hilfswerken – dem Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorge (VSJF), der Berner Rechtsberatung für Menschen in Not (RBS BE) sowie dem Netzwerk Schweizerisches Arbeiterhilfswerk (SAH).
Gemäss Vertrag zwischen dem Staatssekretariat und dieser Hilfswerksgemeinschaft erhält die SFH für die Behandlung eines Falles Fr. 1361.06 exklusive MwSt. Die SFH hatte diese Summe bei der Auftragsausschreibung des Bundes veranschlagt und sich damit gegen die Hilfswerke Caritas und Heks durchgesetzt.
Bei der Konkurrenz stösst die Offerte der SFH auf Skepsis: Die Ausrichtung einer blossen Fallpauschale sei sowohl aus ökonomischer Sicht als auch aus Gründen der Unabhängigkeit der Rechtsvertretung ungünstig, sagt Hanspeter Bigler, Kommunikationsleiter von Heks. Bei tiefen Gesuchszahlen sowie bei generell tief bemessener Pauschale könne die Unabhängigkeit der Rechtsvertretung im Verfahren beeinträchtigt sein. «In dieser Konstellation kann ein finanzieller Anreiz beziehungsweise Druck bestehen, die Beratung und rechtliche Unterstützung zu beschränken, um Finanzierungsprobleme zu verhindern.»
Dabei entsteht gemäss Bigler ein Spannungsverhältnis zwischen dem Eigeninteresse des Leistungserbringers und dem anwaltsrechtlichen Grundsatz, wonach Rechtsvertreter ihr Mandat frei von Eigen- oder Drittinteressen ausüben können müssen. Biglers Vorschlag: «Eine solide Sockelfinanzierung könnte diesen potenziellen Druck vermindern und sicherstellen, dass Schwankungen bei den Asylgesuchszahlen keinen Einfluss auf den Umfang der angebotenen Beratung und rechtlichen Unterstützung haben.»
Viele Menschen mit schrecklichen Schicksalen
Dominique Wetli ist Geschäftsleiter der Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not und Leiter der zwölf Juristinnen und Juristen im Testzentrum. Für ihn ist klar, dass ihnen die Arbeit einiges abverlangt. Er ist aber überzeugt, dass sich die Herausforderungen des Testzentrums nicht auf eine Ressourcenfrage reduzieren lassen.
Wetli erhielt bei der Stellenausschreibung mehr als 150 Bewerbungen. Auch heute noch werden ihm immer wieder Blindbewerbungen zugestellt. «Wir hoffen, in Zukunft auch Praktikumsstellen anbieten zu können.» Man prüfe die Zusammenarbeit mit rechtswissenschaftlichen Fakultäten. Denn sollte im zukünftigen Asylgesetz eine Rechtsvertretung wie in der Testphase vorgesehen sein, müssten für die Besetzung der Stellen fortlaufend engagierte Juristen rekrutiert und ausgebildet werden. Allein aufgrund des Salärs mache kaum jemand diesen Job, sagt Wetli. «Unser Engagement gründet in den unterschiedlichen, oft schrecklichen menschlichen Schicksalen.»
Begleitung durch alle Verfahrensschritte
Diese Motivation spürt Wetli auch in seinem jungen Team. «Es sind alles ausgebildete Juristinnen und Juristen. Mehrere haben bereits langjährige Erfahrung in der Vertretung von Asylbewerbern.» Aufgrund der hohen Zahl von Fällen, mit denen sie innert kurzer Zeit konfrontiert seien, würden alle schnell dazulernen: «Immer stehen wir vor neuen Fallkonstellationen, Herkunftsländer- oder Verfahrensfragen.» Der ständige Fach- und Erfahrungsaustausch sowie die Anleitung durch erfahrene Juristen würden es ermöglichen, auf einem professionellen Niveau für die Asylsuchenden zu arbeiten.
Neu ist für Dominique Wetli die grosse Nähe zu den Asylsuchenden von Beginn des Verfahrens weg. In seiner bisherigen Tätigkeit als Rechtsvertreter von Asylsuchenden hatte er weder die Zeit noch die Möglichkeit, die Klienten in allen Verfahrensschritten zu begleiten. «Beim Testverfahren lässt sich besser einschätzen, welche Massnahmen und Möglichkeiten bestehen, um die Gesuchsteller zu unterstützen.» Diese Nähe sei gleichzeitig eine Herausforderung. Weil die Rechtsvertreter bei jedem Fall nah dran seien, stellten sie bald fest, dass auch in aussichtslos scheinenden Fällen immer ein Schicksal damit verbunden sei.
Präsenz bei Anhörungen wichtig
Die vom Staatssekretariat beauftragten Evaluatoren schlagen vor, die enge Begleitung der Asylbewerber durch die Juristen zu lockern. Eine Anwesenheit bei allen Befragungen sei nicht nötig. Wetli erachtet das als problematisch. Dies schon aufgrund des notwendigen Vertrauensverhältnisses der Klienten und ihrer Rechtsvertretung: «Wie erkläre ich den Klienten, dass ich beim einen Asylbewerber bei allen Anhörungen dabei bin, bei einem anderen jedoch nicht?» Zudem sei es die grosse Stärke der Rolle als Rechtsvertreter, dass sie in allen Verfahrensschritten dabei seien. Wetli hofft, dass die Rechtsvertretung auch künftig bei allen Anhörungen der Asylbewerber dabei sein wird.
Wie verhalten sich die Juristen des Zentrums, wenn sie eine Beschwerde gegen den Asylentscheid als aussichtslos erachten, der Betroffene aber trotzdem ein Rechtsmittel einlegen will? Laut Wetli kommt dies selten vor. Es gelte der Grundsatz «Im Zweifel für die Beschwerde». Während der zehn Monate des Testbetriebs hätten nur rund 20 Asylbewerber einen externen Anwalt genommen.