Seit bald einer Dekade zählen Reiter in Gesetzestexten zum Survival Kit vieler JusStudenten. Denn im Kampf durch den Paragrafendschungel fungieren sie als Kompass, der eine Orientierung ermöglicht: Das Auffinden einschlägiger Bestimmungen oder auch ganzer Erlasse in Gesetzessammlungen kann aufgrund des Einsatzes von Reitern erheblich erleichtert werden.
Der gezielte Griff zum Reiter versetzt den jeweiligen Verwender in die Lage, die relevante Rechtsgrundlage, welche zuvor im Rahmen des Selbststudiums herausgearbeitet und im Lichte der ratio legis ausgelegt wurde, vollständig zu erschliessen. Auf diese Weise können Zusammenhänge sichtbar gemacht und vernetztes Denken gefördert werden.
Freilich muss beim Einsatz von Reitern – wie auch sonst im Leben – der gesunde Menschenverstand ständiger Begleiter sein: Wer beispielsweise mehr Zeit für das Setzen von Reitern als für das Lernen und Erarbeiten des Prüfungsstoffes aufwendet, sollte seine Prioritäten wohl überdenken.
Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung der Universität Zürich, dass ab dem Frühjahrssemester die Verwendung von Reitern in Gesetzestexten, die an die Prüfung mitzunehmen sind, untersagt sein wird, nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Doch das Schicksal der Reiter scheint endgültig besiegelt zu sein. Aber wie immer, wenn etwas zu Ende geht, denkt man an den Anfang zurück. Nachfolgend ein Blick auf die bewegte Geschichte der Reiter am Beispiel der schweizerischen Verfassungsgeschichte.
Ancien Régime: Zur Zeit des Lizentiatsstudiums, das heisst dem Vorgängermodell von Bologna, war das Setzen von Reitern nicht zulässig.
Liberalismus: Im Zuge der Einführung des Bologna-Systems wurde vom gänzlichen Verbot von Reitern abgesehen und bestimmt, dass diese in beliebiger Anzahl verwendet werden dürfen, sofern sie eine einheitliche Farbe, Form und Grösse aufwiesen und nicht – auf wie auch immer geartete Weise – verändert worden waren. Zudem durften die Reiter nicht in den Gesetzestext hineinragen. Rückblickend kann diese Zeit als eine erste Hochblüte der Reitersetzung betrachtet werden.
Restauration: Die liberale Reiterregelung kam aber in der Folge zunehmend unter Druck. Eine Rückkehr zum Ancien Régime wurde beabsichtigt. Auf Initiative des Fachvereins Jus der Universität Zürich trat schliesslich eine Regelung in Kraft, die zwanzig Reiter pro Gesetz für zulässig erklärte.
Regeneration: Die Regelung, die eine Beschränkung der Reitersetzung in quantitativer Hinsicht statuierte, währte jedoch nicht lange. Die liberalen Ideen setzten sich erneut resolut durch. Die Reitersetzung erlebte eine zweite Hochblüte, die bis zum Frühjahrssemester 2016 andauern sollte. Es durfte eine beliebige Anzahl Reiter in beliebiger Form und Farbe verwendet werden, sofern sie nicht maschinell bedruckt oder handschriftlich gekennzeichnet worden waren. Erstmals durften die Reiter sogar in den Gesetzestext hineinragen.
Mit der Ankündigung des Verbots der Reiter ab dem Frühjahrssemester 2016 und der Rückkehr zum Ancien Régime schliesst sich der Kreis. Eine Entwicklung, die meines Erachtens nicht zu begrüssen ist. Denn mit einem gänzlichen Verbot wird dem Prinzip der Erforderlichkeit von Reitern nicht genügend Rechnung getragen. Ein auf Einzelfällen beruhender Missbrauch rechtfertigt kein gänzliches Verbot. Die Zukunft ist zwar naturgemäss ungewiss. Möglich, dass das Reiterverbot nächstes Semester wirklich in Kraft treten wird. Der Blick in die Vergangenheit stimmt mich allerdings zuversichtlich. Denn nichts ist so beständig wie der Wandel.