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Plädoyer 05/2016
26.09.2016
Gjon David & René Schuhmacher
Darf man nach schweizerischem Recht Unschuldige ermorden? Und zwar gleich 164 an der Zahl? Diese Frage wird das Schweizer Fernsehen SRF zusammen mit seinen Zuschauern beantworten. Es strahlt am 17. Oktober eine Verfilmung des Theaterstücks «Terror» des deutschen Rechtsanwalts und Schriftstellers Ferdinand von Schirach aus. Laut Medienmitteilung des Service-public-Betriebs geht der Plot so: «Ein Passagierflugzeug wird auf dem Weg von Berlin nach München entf&uu...
Darf man nach schweizerischem Recht Unschuldige ermorden? Und zwar gleich 164 an der Zahl? Diese Frage wird das Schweizer Fernsehen SRF zusammen mit seinen Zuschauern beantworten. Es strahlt am 17. Oktober eine Verfilmung des Theaterstücks «Terror» des deutschen Rechtsanwalts und Schriftstellers Ferdinand von Schirach aus. Laut Medienmitteilung des Service-public-Betriebs geht der Plot so: «Ein Passagierflugzeug wird auf dem Weg von Berlin nach München entführt. Der Entführer droht, die Maschine auf ein vollbesetztes Fussballstadion stürzen zu lassen. Kampfpilot Lars Koch steht vor der schwersten Entscheidung seines Lebens: Soll er das Flugzeug abschiessen oder nicht?»
Der Kampfpilot schiesst die Maschine gegen den Befehl seiner Vorgesetzten ab. Alle 164 Passagiere sterben. Der Pilot kommt vor Gericht. Dann frägt SRF: «Wie würden Sie entscheiden? Darf man 164 Menschen töten, um 70 000 zu retten? Durfte der Kampfpilot Lars Koch ein Passagierflugzeug abschiessen, um zu verhindern, dass ein Terrorist dieses auf ein vollbesetztes Fussballstadion abstürzen lässt? Ist Lars Koch Held oder Mörder?» Ist er «schuldig oder unschuldig»? Je nach dem Urteil des Publikums findet der Film ein anderes Ende.
In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht schon vor zehn Jahren entschieden, ein Abschuss eines entführten Flugzeugs sei mit der Menschenwürde nicht vereinbar. Die entsprechende Norm sei verfassungswidrig. Die Schweiz hingegen verfügt über kein Verfassungsgericht, das ein entsprechendes Bundesgesetz für ungültig erklären könnte.
In diese Bresche springt nun SRF. Es wird interessant sein zu verfolgen, wie das Fernsehpublikum mit einer konstruierten Hypothese «164 gegen 70 000 Tote» umgeht – und wie es die entsprechenden rechtlichen, ethischen und philophischen Fragen sorgfältigstens abwägen wird. Tipp: Für die rechtliche Subsumierung ist nicht das Strafgesetzbuch, sondern das Militärstrafrecht anwendbar.
In der Schweiz sind die Geschworenengerichte mit Einführung der neuen Strafprozessordnung abgeschafft worden. SRF eröffnet nun eine Perspektive, wie die Volksjustiz wieder eingeführt werden könnte. Ein Ersatz der von Fachwissen und Berufserfahrung verwirrten Richter durch die Fernsehzuschauer würde zwei Probleme auf einen Schlag lösen. Die Kantone könnten durch die Aufhebung von Richterstellen finanziell entlastet werden. Zudem wäre SRF in der Lage, neben Billag-Gebühren und Werbung neue Einnahmen zu generieren. Zuschauerabstimmungen erfolgen jeweils über kostenpflichtige SMS. Ein Grossteil der Einnahmen geht in die SRF-Kasse. Die Mediensprecherin wollte dazu keine Stellung nehmen.