Ende Jahr führen die Vorgesetzten in der Privatwirtschaft und der Verwaltung jeweils Gespräche mit den Angestellten: Kompetenz, Effizienz und Zusammenarbeit im Team werden diskutiert, Schwächen angesprochen und Ziele fürs nächste Jahr vereinbart. Für die Justiz gilt das nicht, zumindest nicht für Richter.
Beim Bund sind Leistungsbeurteilungen von Richtern beider Instanzen gesetzlich nicht vorgesehen. Das Bundesgericht untersteht der Oberaufsicht der Bundesversammlung und hat für diese laut Verordnung ein Controlling-System einzurichten. Eine Leistungsbeurteilung ist damit aber nicht verbunden. Es übt auch über die Geschäftsführung des Bundesverwaltungsgerichts nur eine administrative Aufsicht aus.
Am Bundesstrafgericht hat man laut Roy Garré, Präsident der Schweizer Richtervereinigung, seit drei Jahren auf freiwilliger Basis ein «kollegiales Feedback» entwickelt, das etwa von der Hälfte der Richter genutzt wird. Es gehe dabei um die Arbeitsweise, die Effizienz sowie um Sozial-, Führungs- und Fachkompetenzen.
In den Kantonen sind Mitarbeiterqualifikationen bei der Verwaltung üblich und lohnrelevant. Im Kanton Zürich beispielsweise gibt es 29 verschiedene Lohnklassen nebst zwei Anlaufstufen. Laut der Website des Zürcher Personalamtes sind Mitarbeiterbeurteilungen Voraussetzung für eine individuelle Lohnerhöhung.
Der Kanton Luzern schreibt: «Das Beurteilungs- und Fördergespräch ist ein wichtiges Führungsinstrument. Es ermöglicht Mitarbeitenden wie Führungskräften eine regelmässige und strukturierte Standortbestimmung.» Die kantonale Justiz ist zwar organisatorisch mit der Verwaltung verbunden. Jährliche Mitarbeiterbeurteilungen gibt es an den Gerichten aber nur mit den administrativen und juristischen Angestellten, nicht mit Richtern.
Zürich: Beurteilung ohne Auswirkungen
Im Kanton Zürich ist der Besoldungsschlüssel für die Mitglieder des Obergerichts unabhängig von der Leistung. Der Lohn der Bezirksrichter bestimmt sich aber nach den Lohnklassen der Vollzugsverordnung zum Personalgesetz. Die erstinstanzlichen Richter müssten zur Einstufung deshalb einmal pro Jahr von den Vorgesetzten betreffend Leistung und Verhalten beurteilt werden. Gemäss Oberrichterin Nora Lichti Aschwanden wurden früher solche Mitarbeiterbeurteilungen tatsächlich durchgeführt. Zum Ergebnis kann die Sprecherin des Zürcher Obergerichts Andrea Schmidheiny Konic aber nichts sagen: «Wie diese Leistungsbeurteilungen der Bezirksrichter damals ausgefallen sind, wissen wir nicht.»
Im Jahr 2004 sind die Mitarbeitergespräche an den Bezirksgerichten durch ein sogenanntes «Richter-Portfolio» ersetzt worden. Seit 2008 wurde es für alle Berufsrichter der Bezirksgerichte eingeführt. Bei diesem Portfolio handelt es sich laut Schmidheiny Konic nicht um eine Beurteilung, sondern um einen Weiterentwicklungsnachweis. Lichti Aschwanden bestätigt: «Allein die Beteiligung daran ist beförderungsrelevant.» Auch laut Hansjakob Mosimann, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter (SVR), wird im Rahmen des Zürcher Portfolios nur die Speditivität beurteilt und wie weit – nicht wie erfolgreich – sich ein Richter am Programm beteiligt.
Fürs Portfolio sind sechs Kompetenzbereiche definiert worden: Fachwissen, Verhandlungsführung, Personalführung, Selbstmanagement, Arbeitsorganisation und Verfahrensorganisation. Von den Berufsrichtern der Bezirksgerichte wird verlangt, dass sie sich während mindestens drei Tagen pro Jahr einem selbst gewählten Thema widmen. Laut Lichti Aschwanden liege das Ziel in einer selbstorganisierten fachlichen oder persönlichen Weiterbildung – zum Beispiel in Verhandlungsführung, der Sprache im Recht oder einem spezifischen Rechtsgebiet. Laut Schmidheiny Konic kann die Weiterentwicklung durch den Besuch eines Seminars oder auch durch die Lektüre geeigneter Literatur erfolgen.
Bern: Gespräche mit anonymisierter Auswertung
Im Kanton Bern läuft zurzeit ein Pilotprojekt zu einer nicht gehaltsrelevanten Leistungsbeurteilung der erstinstanzlichen Richter. Laut Gerichtsinspektor Daniel Peier führen die Obergerichtspräsidenten diese Standortgespräche mit den leitenden Richtern und diese wiederum die Gespräche mit den Richterkollegen.
Es gehe dabei weniger um eine Leistungsbeurteilung. Die Richterschaft solle sich vielmehr mit ihrer Rolle, mit Fehlerquellen, Teamverhalten, Verhalten im Gerichtssaal oder Arbeitsmethodik strukturiert auseinandersetzen. Das Ergebnisblatt werde nicht im Personaldossier abgelegt, sondern die Schwerpunktthemen anonymisiert an ihn und den Obergerichtspräsidenten zur Auswertung und Eruierung des Handlungsbedarfs weitergeleitet.
Als Schlüsselkompetenzen sind definiert worden: Richter differenzieren zwischen dem Routine- und Ausnahmefall, sie entscheiden ohne Verzug oder gewährleisten einvernehmliche Lösungen, sie verfügen über geübte Wahrnehmung, verstehen Prozessbeteiligte und werden von ihnen verstanden. Für die Standortgespräche sind laut Peier rund 50 Kriterien erarbeitet worden, darunter auch juristisches Wissen, Verfahrensplanung und -leitung, Verhalten im Richterkollegium und Gerichtssaal. Eine erste Fragerunde ist im Berner Pilotprojekt bereits erfolgt, die zweite läuft 2014. Anschliessend folgt eine Evaluation. Das Institut für Sozial- und Rechtspsychologie der Uni Bern begleitet das Pilotprojekt.
Kommunikation ungenügend
Die Auswertung der ersten Ergebnisblätter zeigt laut Peier einen Handlungsbedarf auf: Die Strategie der Justizleitung und der Geschäftsführung des Obergerichts sei zu wenig klar. Der Kommunikationsfluss sei ungenügend oder uneinheitlich zwischen der Justizleitung, der Geschäftsleitung des Obergerichts und den erstinstanzlichen Geschäftsleitungen. Der Einbezug der Richter in die betriebliche Entscheidfindung sei ungenügend und es gebe eine gewisse Überadministrierung.