Rückfall in die Johann-Heinrich-Waser-Rechtsprechung
Inhalt
Plädoyer 02/2021
29.03.2021
Letzte Aktualisierung:
14.04.2021
Kurt Meier
Johann Heinrich Waser, 1742 in Zürich geboren und 1780 ebendort hingerichtet, war Pfarrer an der Filialkirche des Grossmünsters zum Kreuz in Zürich Hottingen, Hirslanden und Riesbach. Er war ein leidenschaftlicher Aufklärer und Statistiker – und ein grosser Unglücksvogel. Er kam aufs Schafott, weil er angeblich geheimes Zahlenmaterial zum Söldnerwesen an den deutschen Publizisten Professor Schlözer weitergegeben haben soll. D...
Johann Heinrich Waser, 1742 in Zürich geboren und 1780 ebendort hingerichtet, war Pfarrer an der Filialkirche des Grossmünsters zum Kreuz in Zürich Hottingen, Hirslanden und Riesbach. Er war ein leidenschaftlicher Aufklärer und Statistiker – und ein grosser Unglücksvogel. Er kam aufs Schafott, weil er angeblich geheimes Zahlenmaterial zum Söldnerwesen an den deutschen Publizisten Professor Schlözer weitergegeben haben soll. Die Beweise für die Verurteilung verschaffte sich die Obrigkeit mittels Hausdurchsuchung und Folter.
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Die Zürcher Obrigkeit scheint auf Überreaktionen bei angeblichen Amtsgeheimnisverletzungen noch immer spezialisiert zu sein. So überprüfte sie rund zweihundert Jahre später, anno 2012, rechtswidrig die Telefonanschlüsse und Mails aller Angehörigen der Uni Zürich und ordnete eine illegale Hausdurchsuchung an. Es galt herauszufinden, wer Journalisten mit Dokumenten auf die angeblich geheimen, unhaltbaren Zustände im Museum für Medizingeschichte der Uni hingewiesen hatte. In der Folge wurde eine Medizinhistorikerin ohne Beweise zwar nicht geköpft. Immerhin gelang der Obrigkeit der Uni Zürich mit der Entlassung der unbescholtenen Professorin Iris Ritzmann eine ökonomische und wissenschaftliche Enthauptung.
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Der Medizinhistorikerin wurde von der Uni fälschlicherweise Amtsgeheimnisverletzung vorgeworfen, weil sie einen akademischen Bericht und einen Expertenbericht – die beide aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips Interessierten sowieso zugänglich sein mussten – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben soll. Strafrechtlich wurde Ritzmann freigesprochen.
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Das Zürcher Verwaltungsgericht stellte mit Urteil vom 7. Februar 2019 fest, dass die Entlassung nichtig war. Dies hätte zur Konsequenz gehabt, dass Ritzmann rückwirkend auf den Entlassungszeitpunkt wieder mit Lohnanspruch hätte eingestellt werden müssen. Ein beispielhaftes Urteil, das einem längst überfälligen, effektiveren Kündigungsschutz den Weg geebnet hätte. Das Bundesgericht fiel aber in der Folge in die «Johann-Heinrich-Waser-Rechtsprechung» zurück: Es hob das Urteil auf und erklärte die Kündigung zwar als grundsätzlich gültig, wenn auch als missbräuchlich (8C _7/2020 vom 3.11.2020). Es hält in seinen Erwägungen unter anderem fest, dass es der Uni nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, dass sie davon ausgegangen sei, es sei Ritzmann gewesen, die auf die misslichen Zustände in der medizinhistorischen Sammlung hingewiesen habe. Diese falsche Annahme der Uni hinsichtlich der Urheberschaft sei zum damaligen Zeitpunkt entschuldbar gewesen. Damit liege bloss eine willkürliche, aber keine nichtige Kündigung vor. Dies hat zur Folge, dass die Kündigung nicht rückgängig gemacht werden muss. Ritzmann hat damit nur Anspruch auf eine Pönalentschädigung.
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Die Uni war im Verfahren durch ihren Prorektor Christian Schwarzenegger vertreten. Im «Tages-Anzeiger» meinte Schwarzenegger kürzlich: «Der chinesische Staat versucht, seine Akademiker im Ausland im Blick zu behalten.» Westliche Universitäten müssten daher sichere Räume für chinesische Studenten schaffen. Wie wäre es, wenn sich der Prorektor auch für sichere Räume für die Professoren der Uni Zürich einsetzen würde? Die Wiedereinstellung von Iris Ritzmann wäre immerhin ein erster Schritt dazu.