Am 19. August 2020 hat der Bundesrat beschlossen, die Vernehmlassung zum zweiten Kostendämpfungspaket zu eröffnen – den indirekten Gegenvorschlag zur «Kostenbremse-Initiative». Es geht dabei hauptsächlich um Regelungen zur Kostensenkung im Krankenversicherungsgesetz (KVG) und Invalidenversicherungsgesetz (IVG). Versteckt in der Gesetzesvorlage findet sich ein neuer Artikel 52c KVG: «Ausnahme vom Recht auf Zugang zu amtlichen Dokumenten.» Er enthält eine Ausnahme der Zugänglichkeit für sämtliche Unterlagen im Zusammenhang mit Preismodellen und Rückvergütungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Damit ginge die Transparenz bei Medikamentenpreisen verloren. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (Edöb) hatte sich vergeblich gegen diese Gesetzesbestimmung gestellt.
Die vorgeschlagene Regelung hat ein Vorspiel: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) wollte mittels eines Bundesratsbeschlusses die Tarifgenehmigung betreffend Behandlung der CAR-T-Zelltherapie vom Öffentlichkeitsgesetz ausnehmen. Der Edöb intervenierte und machte klar, dass das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) den Bundesrat nicht dazu berechtigt, amtliche Dokumente mittels Beschluss vom Öffentlichkeitsprinzip auszunehmen. Das BAG modifizierte in der Folge den Bundesratsantrag. Es schmuggelte nur wenige Wochen später sein Anliegen in das Kostendämpfungspaket hinein.
Auch die Zollverwaltung wollte weniger Transparenz
Die KVG-Revision ist nicht der einzige aktuelle Versuch zur Einschränkung des Öffentlichkeitsprinzips. Im verwaltungsinternen Entwurf für ein Gesetz über Zoll und Grenzsicherheit (BGZG) wollte die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) wesentliche Bereiche ihrer öffentlichen Aufgabenerfüllung vom Öffentlichkeitsgesetz ausnehmen. So schlug die EZV eine Bestimmung vor, wonach die Behörde «auf freiwilliger Basis gelieferte Daten von Privaten» beziehen kann. Diese Daten sollen den jeweiligen Wirtschaftsbeteiligten Verfahrenserleichterungen bringen. Laut erläuterndem Bericht sollten die «freiwillig» gelieferten Personendaten der besonderen Geheimhaltung gemäss Artikel 7 Absatz 1 litera h BGÖ unterliegen. Zudem sah der Entwurf eine Schweigepflicht vor, wonach Zöllner oder für den Vollzug beigezogene Personen gegenüber anderen Behörden und Privaten Stillschweigen zu bewahren und den Einblick in amtliche Dokumente zu verweigern haben. Der Edöb wehrte sich erfolgreich dagegen. Im Entwurf, der am 20. September 2020 in die Vernehmlassung gegeben wurde, fehlen die umstrittenen Regelungen.
Ein weiterer aktueller Fall betrifft das öffentliche Beschaffungswesen: Das Parlament verabschiedete am 21. Juni 2019 die Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB). Es tritt am 1. Januar 2021 in Kraft. Der Bundesrat schmuggelte nach der Vernehmlassung einen vollständigen Ausschluss der Transparenz in die Vorlage. Das Parlament korrigierte dies, das Öffentlichkeitsprinzip bleibt im BöB weiterhin verankert. Allerdings führt Artikel 45 Absatz 3 des neuen Gesetzes eine Liste der sanktionierten Anbieter und Subunternehmen ein, die als «nicht öffentlich» bezeichnet wird.
Der Edöb vertritt die Auffassung, die blosse Bezeichnung der Liste im Gesetz als «nicht öffentlich» reiche nicht aus, um sie als «geheim» im Sinne einer Spezialbestimmung von Artikel 4 BGÖ zu qualifizieren. Dafür bräuchte es im BöB einen ausdrücklichen formell-gesetzlichen Vorbehalt zum BGÖ. Trotzdem sieht Artikel 25 der neuen Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB) keinen Zugang für Dritte vor. Diese Regelung wird wohl noch die Gerichte beschäftigen.
Geheimsache Bahnsicherheit
Ebenfalls aktuell ist das Bundesgesetz über die Organisation der Bahninfrastruktur, welches vom Parlament am 28. September 2018 beschlossen wurde. Sicherheitsrelevante Informationen (etwa Meldungen über ungenügende Sicherheitsanlagen oder Beinahe-Unfälle), die das Bundesamt für Verkehr von Unternehmen erhält, sollen dem Öffentlichkeitsprinzip entzogen sein. Zu diesem Zweck wurde in zahlreichen Bundesgesetzen (Artikel 14 EBG, Artikel 24d SebG, Artikel 11a TrG, Artikel 15a PBG, Artikel 15b BSG) die folgende Regelung eingefügt: «Das BGÖ gilt nicht für Berichte betreffend Audits, Betriebskontrollen und Inspektionen des BAV sowie für andere amtliche Dokumente, soweit sie Personendaten enthalten, welche die technische oder betriebliche Sicherheit betreffen.» Mit dem neuen Datenschutzgesetz sind Daten von juristischen Personen allerdings nicht mehr Personendaten, sodass diese Regelung allenfalls ins Leere läuft.
Es gibt bereits etliche ältere spezialgesetzliche Ausnahmen vom Öffentlichkeitsprinzip gemäss Artikel 4 BGÖ. Beispiele:
Nachrichtendienst (Artikel 67 NDG): Ausschluss des BGÖ für den Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Informationsbeschaffung nach NDG;
Steuerrecht (Artikel 110 Absatz 1 DBG, Artikel 37 Absatz 1 VStG, Artikel 33 Absatz 1 StG, Artikel 39 Absatz 1 StHG, Artikel 10 Absatz 1 ZBstG, Artikel 74 Absatz 1 MWSTG, Artikel 8 MinöStG und Artikel 6 AStG): Bezweckt wird neben dem Schutz des öffentlichen Interesses insbesondere der Schutz von Informationen aus der Privatsphäre des Steuerzahlers. Informationen, die nur behördeninterne Abläufen betreffen, sind nicht geschützt;
Parlamentskommissionen (Artikel 47 Absatz 1 ParlG): Das Beratungsgeheimnis der parlamentarischen Kommissionen begründet eine Ausnahme vom Öffentlichkeitsprinzip, wenn ein Dokument auf diese Beratungen explizit Bezug nimmt;
Lebensmittelrecht (Artikel 24 Absatz 4 LMG): Amtliche Kontrollberichte und Dokumente, die Schlussfolgerungen über Kontrollen enthalten, Ergebnisse von Forschungsarbeiten und Erhebungen, soweit diese Rückschlüsse auf betroffene Hersteller, Vertreiber oder Produkte zulassen, sowie die Risikoklassierung von Betrieben sind von der Öffentlichkeit ausgenommen.
Einschränkungen vor Gericht oft chancenlos
Die Gerichte des Bundes stellten sich in ihrer Praxis zum Glück konsequent gegen Einschränkungen des Öffentlichkeitsprinzips. Schon 2014 hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Schweigepflicht gemäss Art. 33 des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts in bestimmten Kontexten keine Ausnahme im Sinne von Artikel 4 BGÖ darstellt (A_5111/2013). Weiter hielt etwa das Bundesgericht fest, dass am Zulassungsverfahren für Arzneimittel nicht beteiligten Dritten gestützt auf das BGÖ ein Zugang zu Marktzulassungsunterlagen gewährt werden muss (1C_562/2017). Dies dürfte zur heute offenen Regelung der Veröffentlichungen im Bereich der Zulassungsverfahren (Artikel 68 VAM) beigetragen haben.
2019 befand das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf Artikel 4 BGÖ, dass eine allgemeine Verordnungskompetenz des Bundesrats im Fernmeldegesetz, wonach der Bundesrat die Einzelheiten regelt, nicht genügt, damit eine gestützt darauf erlassene Verordnungsbestimmung dem BGÖ als Spezialbestimmung vorgeht (A_1732/2018).
Im Urteil A_6255/2018 äusserte sich das Bundesverwaltungsgericht zum Steuergeheimnis im Anwendungsbereich des BGÖ: Vom Zugang ausgenommen sind nur Informationen, die für sich alleine oder zusammen mit weiteren, öffentlich zugänglichen Informationen eine Identifikation von Steuerpflichtigen erlauben.
Im Frühjahr 2020 urteilte das Bundesgericht, dass Artikel 10 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 12 des Produktesicherheitsgesetzes keine Spezialbestimmung im Sinn von Artikel 4 BGÖ darstellt (1C_299/2019).
Und im Urteil 1C_643/2019 befand jüngst das Bundesgericht, dass Dokumente über Wahl und Zusammensetzung der Leitungsgruppe eines Nationalen Forschungsprogramms des Schweizerischen Nationalfonds dem BGÖ unterstehen.
Die Berner Verfassung hält Recht auf Zugang fest
Die Korrektur ausdrücklicher gesetzlicher Vorbehalte im Sinn von Artikel 4 BGÖ ist allerdings den Gerichten verwehrt. Um dem Versteckspiel des Bundesrats rechtzeitig entgegentreten zu können, bedarf es deshalb bei jeder Gesetzesvorlage an das Parlament einer hohen politischen Wachsamkeit.
Es stellt sich zunehmend die Frage, ob der Zugang zu amtlichen Akten als individuelles Recht in der Bundesverfassung verankert werden sollte – ähnlich wie dies in der Kantonsverfassung des Kantons Bern erfolgte. Die Gerichte können gesetzliche Vorbehalte zum BGÖ wegen Artikel 190 BV zwar auch weiterhin nicht überprüfen. Trotzdem würde damit ein deutliches politisches Signal gesetzt. Die grossen Schweizer Medienunternehmen hätten genügend Mittel und genügend politischen Einfluss, um eine entsprechende Volksinitiative zu lancieren und wohl erfolgreich durch eine Abstimmung zu bringen.