Markus Schefer redet Klartext: «Die Aufsicht über die kantonalen Nachrichtendienste ist mangelhaft.» Zwar ist die unabhängige Aufsichtsstelle, welche die Aufsicht über den Geheimdienst auf Bundesebene ausübt, auch für die Kantone zuständig. Der Bund hat jedoch laut dem Basler Staatsrechtsprofessor nicht die Kapazität, um alle 26 Kantone zu beaufsichtigen. «Deshalb ist es wichtig, dass man die Aufsicht in den einzelnen Kantonen ernst nimmt», bekräftigt Schefer. Einige dieser kantonalen Nachrichtendienstmitarbeiter seien in der Vergangenheit nie beaufsichtigt worden.
Heute haben es die Kantone selbst in der Hand, wie sie ihre Geheimdienste kontrollieren. Das neue Nachrichtendienstgesetz, das seit 2017 in Kraft ist, legt fest, dass die Dienstaufsicht in den Kantonen denjenigen Stellen obliegt, die den kantonalen Vollzugsorganen vorgesetzt sind. Im Kanton Zürich etwa ist es die Sicherheitsdirektion. In den meisten Kantonen jedoch übernimmt der Polizeikommandant die Aufsicht über die Geheimdienstler gleich selbst – beispielsweise in GL, GR, ZG, OW, AI, AR.
Basel-Stadt: Fünf Kontrollen in einem Jahr
Die Kantone könnten laut Gesetz zur Unterstützung der Dienstaufsicht auch ein vom kantonalen Vollzugsorgan getrenntes Kontrollorgan einsetzen. Doch einzig Basel-Stadt stellte eine zusätzliche Aufsicht auf die Beine. Seit 2010 schaut dort ein dreiköpfiges Team den kantonalen Geheimdiensten auf die Finger. Schefer ist neben den Juristen Gabi Mächler und Robert Heuss Mitglied dieses Aufsichtsgremiums.
Schefer sagt: «2017 führten wir im Bereich des Staatsschutzes zwei Kontrollen bei der ‹Fachgruppe 9› (Mitarbeitende des kantonalen Nachrichtendienstes) und drei bei der Kantonspolizei durch.» Geprüft werde, wie der kantonale Nachrichtendienst selbständig oder aufgrund eines Auftrags des nationalen Nachrichtendienstes Informationen beschaffe, bearbeite und weitergebe. Speziell sei dabei zu kontrollieren, ob – wie vorgeschrieben – keine eigenen Datensammlungen geführt, ob die Daten des Nachrichtendienstes getrennt von den Daten der kantonalen Polizei bearbeitet und ob die Anforderungen des Datenschutzes eingehalten werden. Schefer: «Die Auswahl der Dossiers, die wir untersuchen wollen, ist dabei zentral. Deshalb erhalten wir vom Nachrichtendienst die Auftragsliste, in der alle Aufträge an den Kanton aufgeführt sind – mit einer kurzen Umschreibung, worum es in der Operation konkret geht.»
Die Aufsicht finde in den Räumlichkeiten des Nachrichtendienstes oder der Kantonspolizei statt, wo sich alle Unterlagen befänden. Einsicht in Dossiers von Operationen des Nachrichtendienstes des Bundes wird in Bern genommen. Konkret verlaufe die Kontrolle so: «Über einen Beamer werden die elektronischen Dossiers gross auf die Wand projiziert. Wir lesen dann die Akten, Mails etc. durch», sagt Schefer. Eine schnelle Auffassungsgabe sei dabei enorm wichtig – «zügig lesen, reagieren und schnell merken, wo etwas schiefgelaufen sein könnte».
Stosse die Kontrollgruppe auf Fehler, bespreche sie das gleich direkt mit den Nachrichtendienstmitarbeitern vor Ort. «Der leitende Staatsanwalt ist auch dabei», sagt Schefer. Zudem sei bei jeder Frühlingssitzung mit dem Nachrichtendienst auch der erste Staatsanwalt anwesend. «Hier deponieren wir unsere Kritik und sagen, welche Abläufe künftig anders gemacht werden sollten.» Das Kontrollorgan arbeite so, dass in Zukunft Fehler vermieden würden.
Auch Solothurn setzt auf Transparenz
Auf Ende Jahr liefert das Kontrollorgan einen Jahresbericht an den Grossen Rat, den Regierungsrat und den Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements. Dieser Tätigkeitsbericht der Kontrollen ist öffentlich. Basel-Stadt ist auch hier – zusammen mit Solothurn – eine Ausnahme: In allen anderen Kantonen sind die Tätigkeitsberichte nicht öffentlich.
Im Kanton Solothurn unterstützt Judith Petermann Büttler, Beauftragte für Information und Datenschutz, als getrenntes Kontrollorgan den Polizeikommandanten. Sie sagt: «In den letzten Jahren haben wir jeweils eine Kontrolle pro Jahr durchgeführt. Dabei erhielten wir bisher immer uneingeschränkte Einsicht in alle von uns verlangten Dossiers.» Schefer bestätigt ebenfalls, dass das Basler Aufsichtsorgan in der Regel in alle Dossiers Einsicht erhalte. «Manchmal klappt es nicht gleich auf Anhieb, dann müssen wir geduldig sein, aber auch hartnäckig bleiben, bis es klappt.»
Bund wehrte sich gegen das neue Aufsichtsorgan
Hartnäckigkeit brauchte es auch, damit in Basel-Stadt überhaupt ein solches Kontrollorgan zustande kam. Nach der Jahrtausendwende beklagte die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rats, dass der kantonale Staatsschutz ohne ernstzunehmende Kontrolle sei. 2008 stiess sie auf einen Beleg für das unkontrollierte Wirken der «Fachgruppe 9» innerhalb der Basler Staatsanwaltschaft: Der Staatsschutz fichierte linke Grossräte. Betroffen waren etwa die SP-Parlamentarier Tanja Soland und Mustafa Atici. Soland war wegen eines Bewilligungsgesuchs für eine Anti-Wef-Demonstration 2007 registriert worden, Atici wegen Kontakten zu kurdischen und türkischen Organisationen.
«Der damalige Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass war der Meinung, dass es eine kantonale Verordnung für eine unabhängige Aufsichtsbehörde über den kantonalen Nachrichtendienst braucht», sagt Schefer. Doch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) habe sich energisch dagegen gewehrt: «Der NDB drohte, den Mitarbeitern der Aufsicht keine Informationen zu geben. Akteneinsicht komme nicht in Frage.» Die Basler Regierung sei dem Bundesdienst entgegengekommen und konzipierte die Aufsicht nicht mehr als unabhängiges Organ, sondern als Unterstützungsorgan für den Sicherheitsdirektor. Damit war der Nachrichtendienst des Bundes einverstanden.
Das Kontrollorgan untersteht den Weisungen des Sicherheitsdirektors und ist faktisch nicht unabhängig. Schefer versichert aber, es bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis in dem Sinne, dass sie sich Weisungen unterziehen müssten, die sie nicht mittragen könnten. «In einer solchen Situation würden wir unsere Arbeit sofort niederlegen – oder die Weisungen nicht beachten.» Aufgrund ihrer persönlichen Situation würden sie faktisch in der inhaltlichen Tätigkeit unabhängig agieren. «Wir haben noch nie etwas aus Rücksicht auf den Sicherheitsdirektor nicht gemacht. Und er hat uns noch nie fragwürdige Weisungen erteilt», sagt Schefer.
Mehrzahl der Kantone kontrolliert null bis ein Mal
Die Konstellation führte in der Vergangenheit aber schon zu Konflikten. Die SP Basel beschuldigte vor zwei Jahren den Chef des kantonalen Nachrichtendiensts, Ständerätin Anita Fetz an einer Veranstaltung im kurdischen Kulturzentrum widerrechtlich überwacht zu haben. Pikant: Fetz war zu dieser Zeit Mitglied des Kontrollorgans. Sicherheitsdirektor Baschi Dürr wurde daraufhin öffentlich kritisiert. «Der Sicherheitsdirektor muss politisch für alle Fehler geradestehen, die wir beim kantonalen Nachrichtendienst aufdecken. Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass die meisten Sicherheitsdirektoren in anderen Kantonen gegen ein solches Kontrollorgan sind», so Schefer.
Eine gute Aufsicht über die kantonalen Nachrichtendienste strebt auch Thomas Fritschi an. Er ist Leiter der unabhängigen Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes. Er erhob letztes Jahr die aktuelle Aufsichtsorganisation und Praxis sowie die Bedürfnisse der kantonalen Dienstaufsichtsorgane. Fritschi stellte plädoyer die Ergebnisse zur Verfügung.
Daraus geht hervor, dass die kantonalen Aufsichtsstellen mehrheitlich einmal pro Jahr den kantonalen Nachrichtendienst kontrollieren. Zwei Aufsichten führten halbjährliche Kontrollen durch, eine ist wöchentlich im Kontakt mit dem kantonalen Nachrichtendienst. Und vier Aufsichtsbehörden führten keine Kontrollen durch.
Schefer zweifelt daran, dass ein Sicherheitsdirektor mit einer einmal jährlich stattfindenden Dienstaufsicht den Staatsschutz wirkungsvoll kontrollieren kann. «Es dauerte sehr lange, bis ich erfasste, wo beim Staatsschutz die Probleme liegen», sagt der Professor. Die Informationsflüsse seien sehr kompliziert.
Dieser Ansicht ist auch Hans Wegmüller, ehemaliger Nachrichtendienstchef des Bundes. So sagte er kürzlich in der «Neuen Zürcher Zeitung»: «Es fehlt teilweise schlicht das Know-how, um den Dienst kontrollieren zu können. Wer nicht seit Jahren mit nachrichtendienstlicher Tätigkeit vertraut ist, hat kaum eine Chance, die richtigen Fragen zu stellen und an den entscheidenden Stellen anzusetzen.»
Den Mangel an Know-how wollen Thomas Fritschi und die kantonalen Aufsichtsorgane mit einer engeren Zusammenarbeit überwinden. Die Kantone gaben in der Umfrage an, sie könnten sich vorstellen, dass regelmässige Konferenzen, Schulungen für die kantonalen Aufsichtsorgane, ein vertiefter Informationstausch und direkte fachliche Unterstützung bei Inspektionen zu Verbesserungen führen. Fritschi plant, pro Jahr fünf kantonale Nachrichtendienste zu prüfen. «In fünf Jahren haben wir dann alle Kantone einmal angeschaut», sagt Fritschi.