Anfang 2022 führte die Suva einen neuen, automatisierten Schadenabwicklungsprozess mit dem Namen «Smartcare» ein. Das zwanzig Jahre zuvor eingeführte Case-Management wurde abgeschafft. Die Suva-Sprecherin Natascha Obermayr begründete diesen Schritt gegenüber plädoyer damit, mit der Digitalisierung des Schadenmanagements mache sich «die Suva fit für die Zukunft» (plädoyer 2/2022).
Rechtsvertreter von Unfallopfern kritisierten das neue Verfahren. Bei Unfallereignissen mit erheblichen gesundheitlichen Folgen fehle eine kompetente Ansprechperson, die detaillierte Kenntnisse des Dossiers habe und über Telefon und E-Mail direkt erreichbar sei. Zudem würden E-Mails, Briefe und Verfügungen nicht mehr persönlich, sondern nur noch mit «Ihre Suva» unterschrieben. Und die Aktenzustellung dauere sehr lange.
Komplexe Fälle erhalten wieder einen Case-Manager
Die Suva reagierte auf diese Kritik. Am 26. Mai fand am Luzerner Hauptsitz ein Treffen mit den Unfallopfer-Anwälten Jan Hermann, Alex Beeler, Luzius Hafen und Andreas Hübscher über eine «Weiterentwicklung Schadenmanagement» statt. Vertreter der Suva informierten die Anwälte über bereits eingeführte oder geplante Verbesserungen:
- Einführung Fallart «Fokus»: Für Unfälle mit einer geschätzten Arbeitsunfähigkeit von mehr als 270 Tagen oder ab zwei angemeldeten Unfällen der gleichen Person gilt das alte Case-Management. Eine Fachperson wird wieder als alleinige Ansprechperson zuständig sein – entsprechend erreichbar via Telefon und E-Mail. «Fokus» wurde im März 2023 eingeführt.
- Persönliche Rentenverfügungen: Der Name des Suva-Mitarbeiters steht wieder im Text der Rentenverfügung. «Zudem wird geprüft, ob der Mitarbeiter die Verfügung unterzeichnen soll und ob seine Kontaktdaten in der Verfügung aufzuführen sind», so Suva-Sprecherin Simone Isermann zu plädoyer.
- Aktenzustellung: Die Rückstände bei der Aktenzustellung konnten gemäss Isermann abgebaut werden. Zudem würden eingehende E-Mails innert 24 Stunden beantwortet. Das gelte auch bei dringlichen Eingaben per Post wie Schadenmeldungen oder Anfragen zu Kostengutsprachen.
plädoyer fragte bei verschiedenen Anwälten von Unfallopfern nach, ob sie die Verbesserungen der Suva in ihrer täglichen Arbeit mit Verunfallten bereits festgestellt hätten. «Die Zustellung der Akten ist immer noch pannenhaft, sie erfolgt zu spät oder gar nicht», sagt der Basler Anwalt Jan Herrmann. Doch gebe es mittlerweile tatsächlich eine Ansprechperson bei komplexen Schadenfällen.
Der Zürcher Anwalt Luzius Hafen hat bei der Aktenzustellung Verbesserungen festgestellt. «Ich attestiere der Suva guten Willen, und die angekündigten Anpassungen gehen in die richtige Richtung», sagt er. Ähnlich äussert sich sein Zürcher Kollege Markus Steudler: «Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass die Suva die Kritik ernst genommen hat. Ich hatte keine Probleme mehr.»
Schlechtere Erfahrungen macht Anwalt Marco Unternährer aus Luzern. Er sieht zwar etwas Licht am Horizont, was die Aktenzustellung betrifft: «Eine kleine Verbesserung ist spürbar», räumt er ein. Bei der Fallart «Fokus» für komplexe Fälle sei das aber anders. Er habe erst in zwei seiner rund 100 Fälle, die er vertritt, eine direkte Ansprechperson von der Suva zugeteilt erhalten, sagt der Luzerner Anwalt.
Sein Fazit: «Mir scheint ‹Fokus› ein Etikettenschwindel zu sein.» Damit wolle die Suva offenbar vertuschen, dass sie mit ihrer Umstellung auf die digitale Schadenabwicklung einen riesigen Fehler gemacht habe.
Freundliche Grüsse aus dem Kompetenzzentrum
Der automatisierte Schadenabwicklungsprozess «Smartcare» der Suva hat die Kommunikation mit Versicherten auf ein bemerkenswertes Niveau gesenkt. Ein Beispiel vom 7. August 2023, zitiert aus dem E-Mail der Suva an einen Anwalt: «Guten Tag, Anbei finden Sie Kopien der Werkstücke entsprechend Ihrer Anfrage. Passen Sie auf, dass wir sie nicht zurückschicken müssen. Die Übergabe der Akte an Dritte ist ohne schriftliche Zustimmung des Versicherten nicht zulässig. Ihr Schall ist vertraulich. Freundliche Grüsse, Suva Centre de compétence cas SO».