Frau M. ist eine freundliche Frau. Telefonisch fragt sie mich an, ob ich bereit wäre, einen Beitrag über ein Arbeitsrechtsthema in einer Beilage zum «Tages-Anzeiger» zu verfassen. Starverteidiger E. habe bereits einen strafrechtlichen Beitrag in Form eines Interviews zugesichert.
Eigentlich hatte ich beschlossen, nicht mehr zu publizieren und dies jüngeren Kolleginnen und Kollegen zu überlassen. Ich sagte jedoch der sympathischen Frau, sie könne mir ja einmal das Konzept für die Beilage schicken, vielleicht lasse ich mich überreden oder könne einen jüngeren Kollegen für einen arbeitsrechtlichen Beitrag gewinnen.
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Kurz darauf erhielt ich ein E-Mail von Frau M. Ich dürfe für die Beilage einen Artikel schreiben, Format eine halbe Seite zum Listenpreis von 17 850 Franken. Preislich konnte Frau M. mit ihrem «Sales-Manager ein für mich hoffentlich spannendes Angebot aushandeln», nämlich eine Reduktion auf 7390 Franken.
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Wie tief bin ich doch gefallen. Bei meinen früheren Publikationen erhielt ich jeweils nichts oder sogar 1000 Franken Honorar. Nun ist mein Marktwert offensichtlich um rund 17 000 Franken gesunken. Dankend lehnte ich das «spannende Angebot» ab.
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Mit Spannung erwartete ich die Beilage. Wer da wohl mitmacht? Denn immerhin hatte Frau M. entgegenkommend geschrieben: «Der Inhalt darf vollständig von Ihnen kommen und wird von uns zusammengestellt. Natürlich sind meine Journalisten auch bereit, Ihnen die Erstellung des redaktionellen Teils zu übernehmen. Dieser Brandreport kann von Bildern, Logo und Verweis auf die Website in einer Infobox natürlich optisch aufgewertet werden.»
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Und tatsächlich lag dem «Tages-Anzeiger» am 12. September eine Beilage «Fokus – Mein Recht» der Agentur Smart Media bei. Auf der zweiten Seite wirbt die Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich prominent für ihre Lehranstalt. Sie vermittelt uns in ihrem Artikel überaus wichtige Erkenntnisse. Beispiel: «Das Strafrecht regelt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten strafbar ist.» Und sie lädt ein, «die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich – virtuell oder ganz real – in einer unserer anregenden Veranstaltungen» zu besuchen. Wie viel zahlte die Universität für ihr Inserat in dieser Werbebroschüre? Fehlt es der Uni an Studenten?
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Liest man weiter, stösst man auf den «Premium Partner» von Smart Media. Es ist die Rechtsauskunftsstelle des Anwaltskollektivs mit dem neuen Namen «Tummgloffe?», wie der Aufkleber auf der Titelseite verkündet.
Da scheint allerdings sehr viel dumm gelaufen zu sein. Wenn ich mich richtig erinnere, organisierte das Anwaltskollektiv vor langer Zeit eine Rechtsauskunft, weil man den vielen benachteiligten Rechtsuchenden die Zugangsschwelle zum Recht möglichst tief halten wollte. Heute ist diese Institution offenbar in Gefahr, zum Klienten-Akquisitionsinstrument zu verkommen. Ich befürchte, der «Premium Partner» zahlte sicher den doppelten des mir offerierten Preises.
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Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass heute der Anwaltsberuf nur noch ausgeübt werden kann, wenn man aufdringliche Werbung betreibt. Denn die ganze «Tages-Anzeiger»-Beilage ist eine Anhäufung unsäglicher Werbespots verschiedenster Anwaltsbüros. So erfahren wir vom Anwalt R., dass aus einem Apfel nicht nur linke Würmer kriechen, sondern dass er auch am Gezänk um Mietnebenkosten verfaulen kann.
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Oder wusste man schon, dass man wissen muss, was man kauft?
Wenn ich das nächste Mal vor einer Ladenauslage stehe und mich nicht entscheiden kann, so weiss ich immerhin, dass ich Wirtschaftsanwalt L. anrufen kann.
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Sehr gewagt ist die Behauptung von Rechtsanwalt W., dass Geld sparen könne, wer früh juristische Hilfe holt. Ich befürchte eher, dass man Geld verliert, wenn man zu früh in die Fänge dieser Werbeanwälte gerät. Ich denke dabei an das kleine Städtchen in der französischen Provinz, wo die Bevölkerung gesund und friedfertig zusammenlebte, bis ein Arzt und ein Anwalt einzogen – und die Bewohner innert kürzester Zeit krank und verkracht waren.
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Und was machen die armen Eltern, wenn sie das Vertrauen in die Krippe verloren haben? Sicher sofort eine spezialisierte Rechtsanwältin aufsuchen. Wie überhaupt Kinderkriegen, Erziehung und Schulbesuch ohne enge Begleitung durch einen Rechtsanwalt heute unverantwortlich scheint. Rechtsanwältin F. berät sie schlau von der Trennung bis zur Scheidung. Noch gewitzter ist Kollege K., der unter gewissen Umständen die Frage «Heiraten – ja oder nein?» mit Nein beantwortet.
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Gleich nach der gefährlichen Heirat wird von einem ungeheuerlichen Einbruch berichtet, nämlich dem des brasilianischen Rechts in die schweizerische Rechtsordnung. Also hält man besser Distanz zum brasilianischen Recht. Sollte es dennoch zum Einbruch kommen, wendet man sich an mutige Advogados.
Nicht Komplize sein, sondern Psychologe – das ist die Lösung, die auf der nächsten Seite angepriesen wird. Nach vielen weiteren anwaltlichen Werbefeldzügen wird zum Schluss in einem gestellten Interview verraten, wie man die «fatalen Folgen» des Arbeitslebens bewältigen kann.
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Über die fatalen Folgen dieser «Tages-Anzeiger»-Beilage ist noch wenig bekannt. Ausser den finanziellen für die beteiligten Anwälte. Nach meiner Rechnung verdiente Smart Media an der Universität Zürich und den Anwälten sehr viel Geld. Wenn die halbe Seite 17 850 Franken kostet, so komme ich hochgerechnet auf rund 700 000 Franken. Darin noch nicht enthalten sind die Einnahmen aus den Inseraten. Abzuziehen ist natürlich das Entgegenkommen des Sales-Managers. Echt smart.