Generalsekretär des Eidgenössischen Justiz-und Polizeidepartementes (EJPD) - das klingt nach langer Beamtenlaufbahn, Anzug und Krawatte, nach Formalitäten und Vorzimmerdamen.
Und tatsächlich gibt es ein Vorzimmer mit drei Damen. Auch die lange Beamtenlaufbahn stimmt: Der Jurist Matthias Ramsauer, 48, ist seit 22 Jahren in der Bundesverwaltung. Angefangen hat er mit 26 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Generalsekretariat des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiedepartementes. Nach zwei Jahren wechselte er ins Bundesamt für Kommunikation (Bakom), wo er verschiedene Stellen besetzte und schliesslich im Jahr 2005 Vizedirektor und Leiter der Abteilung Radio und Fernsehen wurde. Generalsekretär im EJPD ist Matthias Ramsauer seit April 2011.
Doch die Vorurteile verfliegen rasch. Persönlich lässt Ramsauer für die Gäste den Kaffee aus der Maschine und atmet hörbar auf, als er fürs Foto seine Notfallkrawatte im Schrank lassen darf. Dafür erfüllt der gebürtige Appenzeller ein anderes Klischee: Im linken Ohrläppchen blitzt ein goldener Kuhstecker. Wie bei den Männern auf dem grossformatigen Bild in seinem Büro - einem Ausschnitt aus der Appenzeller-Käse-Werbung. Auffällig auch die Bilder daneben: die jährlichen offiziellen Bundesratsfotos seit 1993.
Zu seinem Job kam Ramsauer so wie viele andere: Er bewarb sich auf eine Ausschreibung. Nur dass Generalsekretäre normalerweise nicht über eine Ausschreibung gesucht werden.
Ramsauer bekam den Job, obwohl seine zukünftige Chefin seine damalige Gegnerin war: Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga und Bakom-Vizedirektor Ramsauer waren sich beim Thema Set-Top-Boxen nicht einig. «Und wir sind es noch heute nicht», lacht Ramsauer, «das ist ein Running Gag zwischen uns.» Solche Meinungsverschiedenheiten machten seine Aufgabe aber aus: «Sie will, dass ich sie hinterfrage.» Er sehe sich als ihr Sparringpartner und erlaube sich auch mal zu sagen, wenn er finde, sie sei auf dem Holzweg. «Doch am Schluss entscheidet immer die Chefin.»
Seine Hauptaufgabe sei es, das Generalsekretariat des EJPD zu leiten. Ihm sind rund 300 Leute unterstellt, vom Stab bis zum Informatikdienstleistungszentrum. «Viele Managementaufgaben», spielt er seine Bedeutung herunter.
Trotzdem: An ihm kommt keiner vorbei. Jedes Geschäft der Bundesrätin geht zuerst über sein Pult. «In den blauen Mäppli sind alle Vorlagen, die zur Chefin gehen», sagt er und zeigt auf die Beigen. Wenn ihm eine Vorlage nicht passt, schickt er sie zur Überarbeitung an den Absender zurück. Wenn er ein Problem sieht, macht er Sommaruga darauf aufmerksam. Politberatung nennt er diesen zweiten Teil seiner Arbeit, über den er begeistert spricht. «Aber», wiederholt er: «Ich bringe nur meine Meinung ein. Am Schluss ist sie die Chefin, die entscheidet.»
Dass er Jurist ist, schade im EJPD sicher nicht: «Aber es ginge auch ohne. Die Juristerei wird sowieso überschätzt.» Und er sei nicht etwa der Jurist, der Sommarugas fehlendes Rechtsstudium wettmachen müsse - Schattenjustizminister sei er schon gar nicht, sagt er resolut. Solche Aussagen mag er überhaupt nicht. Damit würde man der Bundesrätin unrecht tun, «die als langjährige Parlamentarierin und Konsumentenschützerin in Rechtsetzung und -anwendung vielen Juristen etwas beibringen könnte».
Im Parlament kennt man ihn kaum. «Das ist richtig so», sagt Ramsauer. Es sei nicht seine Aufgabe, den Parlamentariern Vorlagen zu präsentieren. «Das Fachwissen ist bei den Ämtern, an eine Kommissionssitzung geht die Chefin mit dem Amtsdirektor oder der Amtsdirektor mit der Fachperson.» Nur eine Vorlage betreut er selbst: Das Bundesgesetz und die Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs. «Das kannte ich von meiner früheren Arbeit. Zudem ist das Thema eine heisse Kartoffel.»
Aus der Rechtskommission des Nationalrates gibt es denn auch Lob für seine Arbeit zu diesem Thema. «Er ist sehr kompetent und kann die politische Dimension gut einschätzen», sagt etwa ein linker Nationalrat. Ramsauer macht es Freude, «auch mal etwas Materielles zu betreuen». Und dies, obwohl er damals nicht aus Überzeugung Jus studierte - sondern, weil er nach der Matura für neun Monate nach Neuseeland wollte und die Eltern verlangten, dass er sich zuvor für ein Studium entscheide. «Da kam mir nichts Gescheiteres als Jus in den Sinn», witzelt er. Doch gegen Ende des Studiums habe er Spass daran bekommen.
Spass hat er auch an seinem Job. «Es ist nach einem Jahr noch alles neu, und was neu ist, macht mir immer Spass.» Doch er gibt zu, dass ihn schwierige Personalentscheide - etwa im Bundesamt für Migration (BFM) oder im Stab - belasten. Beim BFM sei in der Vergangenheit einiges falsch gemacht worden. «Ich bin stolz, dass wir dieses Amt in dieser schwierigen Zeit durchschaukeln konnten.» Sowieso wurde er nicht in einem einfachen Departement angestellt: «Mein Stellvertreter ist seit rund zehn Jahren hier und hat fünf Generalsekretäre und vier Bundesräte erlebt.» Er will diese Verunsicherungen auffangen und Kontinuität einbringen.
Seine Arbeitstage sind lange. «Das belastet mich nicht, meine Work-Life-Balance stimmt, weil ich versuche, das Wochenende frei zu halten.» Dennoch hat er mit seiner Partnerin, die auch mehr als 100 Prozent arbeite, die Abmachung, dass der Job vorgehen dürfe - «meistens». Doch es bleibt Zeit für anderes: Er joggt regelmässig, «bewegt den Hund», spielt Alphorn, singt in einem Chor und ist Mitglied der Schlagerband «Die Beamten». Das Alphornspiel ist ein Überbleibsel seines Sabbaticals im Sommer 2009, als er vier Monate als Senn auf einer Alp war. «Diesen Traum hatte ich schon lange», sagt er. «Ich habe alle meine Träume realisiert, so auch die zweieinhalbjährige Velo-Weltreise und den Iron Man auf Hawaii.»
Und welchen Traum hat er noch? «Die Pensionierung.» Ja, das gehe noch eine Weile. «Aber ich habe nie gesagt, dass ich bis 65 arbeiten will.» Er würde gerne mindestens zwei Legislaturperioden in seinem Job erleben und dann schaue er weiter - «vielleicht gehe ich dann nochmal auf die Alp».