1. Bedeutung
In der weit ausgebauten Ordnung des Sozialrechts der Schweiz, die der Erfüllung der sozialpolitischen Zielsetzungen von Artikel 41 Bundesverfassung dient, nehmen die sozialen Grundrechte eine Schlüsselfunktion ein. Vorausgeschickt sei, dass die Terminologie uneinheitlich ist. Zum Teil wird für die sozialen Grundrechte synonym der Begriff «soziale Rechte» oder «Sozialrechte» verwendet.1 Da es aber auch gesetzlich begründete Sozialrechte gibt (z.B. zur Linderung der Folgen von Geburtsgebrechen oder bei Erreichen des AHV-Alters) wird nachfolgend von den sozialen Grundrechten und, soweit solche völkerrechtlich verbürgt sind und internationale Geltung haben, von sozialen Menschenrechten gesprochen.
Soziale Grundrechte sind verfassungsrechtliche Gewährleistungen bestimmter staatlicher Leistungen und Schutzvorkehren in Form individualrechtlicher Verbürgungen.2 Soziale Menschenrechte sind entsprechende Gewährleistungen nach Völkervertragsrecht oder Völkergewohnheitsrecht.
Die Schweiz ist zahlreiche völkerrechtliche Verpflichtungen für soziale Menschenrechte eingegangen, z.B. durch Ratifikation von Abkommen der ILO3 oder jüngst, am 15. April 2014, mit der Ratifikation des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. April 2006. 4 Dass die Schweiz daneben mit der Umsetzung des 1992 ratifizierten Uno-Pakts I über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 19665 oder gar mit der heute problemlos möglichen Ratifikation der 1996 revidierten Europäischen Sozialcharta von 19616 erhebliche Mühe bekundet,7 kann die Geltung verschiedener universeller sozialer Menschenrechte in der Schweiz nicht einschränken.
Die sozialen Grund- und Menschenrechte setzen, damit das in ihnen enthaltene soziale Programm verwirklicht werden kann, Handlungen des Gesetzgebers sowie der Verwaltung voraus.8 Allerdings wird oft übersehen, dass auch die ideellen und erst recht die wirtschaftlichen Freiheitsrechte nicht nur durch das Untersagen von Eingriffen geschützt werden, sondern jedenfalls bei besonderen Gefährdungen und Verletzungen ebenfalls Schutzansprüche und Ansprüche auf vielfältige Gewährleistungen erheischen.9
So verlangt der Schutz des Lebens nach Art. 10 Abs. 1 BV streng instruierte und eingeübte, bewaffnete staatliche Sicherheitskräfte, sodann Rettungs- und Sanitätsdienste, medizinische Betreuung und Pflege von bester Qualität, ausgestattet mit enormen wissenschaftlich-technischen Mitteln, aber auch den präventiven Einsatz diverser weiterer Dienste, etwa der Lebensmittelaufsicht oder des Chemieschutzes.10 Die Medienfreiheit von Art. 17 BV erheischt staatliche Garantien für die Medienvielfalt, und sie setzt für Radio, Fernsehen und andere öffentlich zugängliche Medien regulatorische und institutionelle Gewährleistungen von erheblichem Aufwand voraus.11
Von den Diskriminierungsverboten bis zu den Verfahrensgrundrechten fordern alle Grund- und Menschenrechte sowohl Unterlassungen und Respekt als auch Schutzmassnahmen, diverse Gewährleistungen und Sicherungsmassnahmen.12
Die sozialen Grund- und Menschenrechte sind allerdings durch ihre besonderen Zielsetzungen charakterisiert, wie sie sich aus Art. 41, weiteren Verfassungsbestimmungen sowie völkerrechtlichen Pflichten ergeben. Der
Inhalt der sozialen Grundrechte bestimmt sich im Kern aus der Garantie der persönlichen Selbstentfaltung des Menschen,13 verbunden mit jener elementaren Solidarität, welche die Gemeinschaft allen Notleidenden um ihrer Menschenwürde willen schuldet.14
2. Spezifische Schweizer Sicht
Im internationalen und im europäischen Recht werden soziale Grundrechte bzw. Menschenrechte immer als notwendiger Teil der zentralen Grundrechts- bzw. Menschenrechtsgarantien verstanden.15 In der Schweiz dagegen werden die sozialen Grundrechte bisher zum Teil als Gegensätze zu den anderen Grundrechten angesehen, obwohl alle Grund- und Menschenrechte der Befriedigung elementarer, existenzieller Bedürfnisse der Menschen dienen. An dieser Ausgrenzung mag sicher Art. 41 BV einen wichtigen Anteil haben, der für Bund und Kantone in Abs. 4 den Vorbehalt anbringt, dass diese die sozial(staatlich)en Ziele der Bundesverfassung nur «im Rahmen … ihrer verfügbaren Mittel» erfüllen müssen, und der in Abs. 5 betont, dass aus den Sozialzielen «keine unmittelbaren Ansprüche auf staatliche Leistungen abgeleitet werden» können. Dass diese Bekräftigungen der BV z.B. in ausserordentlichen Lagen, etwa wenn grosse Flüchtlingsströme in die Schweiz kommen, nicht gelten können, wird völlig ausgeblendet. Solche Ströme von Kriegsflüchtlingen oder durch Naturkatastrophen schwer betroffene Menschen können sich z.B. nicht nur auf die Hilfe in Notlagen nach Art. 12 BV, sondern unmittelbar auf verschiedene weitere Rechte, wie das Menschenrecht auf sauberes Wasser und sanitarische Einrichtungen berufen.16
Dessen ungeachtet werden in der Mehrzahl der juristischen Werke nur wenige soziale Grundrechte anerkannt,17 obwohl neuere Forschungen zeigen, dass die Entwicklung in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für den Grundrechtsschutz im Bund sowie besonders auch in vielen neueren Kantonsverfassungen eine ganz andere ist.18 Hat es politische Gründe, dass die tatsächlich bestehenden subjektiven sozialen Grund- und Menschenrechte in der Schweiz kaum offen benannt und wissenschaftlich kritisch gewürdigt werden?
Die immer noch verbreitete stark verkürzte Sichtweise auf die vorhandenen sozialen Grund- und Menschenrechte kann m.E. heute im entwickelten Sozialstaat der Schweiz nicht mehr beibehalten werden. Das bedeutet, dass das Konzept der Sozialverfassung und die Rolle der sozialen Grundrechte in der Sozialverfassung19 offener betrachtet werden sollten. Ein solch offeneres Konzept bringen z.B. Art. 10 Abs. 2 BV betreffend das Recht auf physische und psychische Integrität und Bewegungsfreiheit zum Ausdruck, das verschiedene Teilgewährleistungen enthält,20 oder Art. 12 BV betreffend die verschiedenen Hilfen in Notlagen,21 aber auch Art. 18 BV zur Sprachenfreiheit in Verbindung mit Art. 4 BV betr. die Landessprachen und Art. 70 BV zur Sprachenordnung.22 Aufschlussreich ist vor allem die 2006 tiefgreifend revidierte Bildungsverfassung mit Art. 19 und den Art. 61a ff. BV, die das sozialpolitische Ziel des Bildens, des Aus- und Weiterbildens von Kindern und Jugendlichen nach Art. 41 Abs. 1 Bst. f BV mit vielfältigen zusätzlichen Zielvorgaben und einem breiten institutionellen und fördernden Instrumentarium ausstattet,23 welche heute nicht mehr mit dem Verweis auf Art. 41 Abs. 4 und 5 zur Seite geschoben werden können.
Wie der Schutzgehalt der sozialen Grundrechte zu verstehen ist, darüber besteht Einigkeit. Doch was das Verständnis der normativen Struktur und ihrer grundrechtlichen Funktion betrifft, sind gewisse Vorstellungen, es gehe bloss um materielle resp. finanzielle Garantien, heute nicht mehr zutreffend. Michael Holoubek etwa definiert treffend soziale Grundrechte als «jene Verbürgungen, die primär individuelle, soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Interessenspositionen des Einzelnen vor konkreten und individualisierbaren Gefährdungen schützen sollen».24 Bei den sozialen Grundrechten stehen sicherlich die Leistungsansprüche im Zentrum, denn es können dadurch konkrete Leistungen zur Abdeckung elementarer menschlicher Bedürfnisse beansprucht werden. Doch es geht auch um persönliche Entfaltung, Chancengleichheit, Respekt gegenüber der Person und Schutz derselben und ihres kulturellen Umfeldes, was etwa bei der Sprachenfreiheit oder den Bildungsgarantien sehr deutlich wird. Soziale Grundrechte sichern dem Einzelnen einen Minimalbestand an grundrechtlich einklagbarer Sicherheit und Solidarität zu.25
Die sozialen Grundrechte sollen durch die Verfassungsrechtsprechung der Gerichte unmittelbar verwirklicht werden, was bedeutet, dass sie unmittelbar anwendbar bzw. realisierbar, d.h. durch die Rechtsprechung und die Gesetzgebung hinreichend konkretisiert sein müssen;26 sie wirken eben insoweit als subjektive Rechte, als sie justiziabel sind. Durch diese unmittelbare gerichtliche Durchsetzbarkeit unterscheiden sich die sozialen Grundrechte klar von den Sozialzielen in Art. 41 und den gestaltenden Gesetzgebungsaufträgen.27 Allerdings: Die politischen Diskussionen in der Schweiz drehen sich häufig um soziale Grundrechte, die sehr offen und unbestimmt formuliert sind, wie ein Recht auf Arbeit,28 ein Recht auf einen Mindestlohn29 oder ein Recht auf Wohnung.30
Aus als unbestimmt weitreichend angesehenen sozialen Grundrechten werden Gefahren für die klaren Prärogativen des Gesetzgebers gegenüber den Gerichten befürchtet, und die Richter/ -innen selbst sind sehr bedacht, dass sie nicht «juge-politicien» und «juge-trésorier» gescholten werden.31 Doch die Verfassungswirklichkeit von Bund und Kantonen ist viel differenzierter, wie die nachfolgende Übersicht zeigt.
3. Bundesebene
Soziale Grundrechte der BV sind namentlich:
- der Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung nach Art. 11;32
- das Recht auf Hilfe in Notlagen nach Art. 12;33
- das Recht auf Freiheit der Sprache nach Art. 18, dem namentlich im Minderheitenschutz eine erhebliche sozialstaatliche Rolle zukommt;34
- der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht nach Art. 19 und Art. 62 Abs. 2;35
- das Koalitions- und Streikrecht der Organisationen der Sozialpartner nach Art. 28 Abs. 1 u. 3;36 Maya Hertig Randall und Gregor T. Chatton messen auch der Wirtschaftsfreiheit nach Art. 27 BV eine sozialrechtliche Komponente zu, indem dieses Grundrecht jedenfalls die Forderung von Art. 6 Abs. 1 Uno-Pakt I erfüllt, dass das Recht auf Arbeit jedem Einzelnen die Möglichkeit garantiert, «seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen».37
- Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 29 Abs. 3.38
- Besondere soziale Grundrechtsansprüche ergeben sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts vor allem aus gewissen speziellen Diskriminierungsverboten von Art. 8 Abs. 2, namentlich aus den Verboten der Diskriminierung wegen des Alters,39 der sozialen Stellung40 und wegen körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung.41 Folgt man wie hier der Definition von Holoubek,42 so gibt es neben den bisher genannten sozialen Grundrechten weitere verfassungsrechtliche Bestimmungen, welche sozialen Charakter haben und woraus sich auch Ansprüche ableiten lassen. Genau besehen handelt es sich um ungeschriebene soziale Grundrechte der BV.43
- So lässt sich aus dem Recht auf physische und psychische Unversehrtheit gemäss Art. 10 Abs. 2 ein Anspruch akut kranker Menschen auf medizinische Behandlung ableiten, selbst wenn sie über keinen Versicherungsschutz verfügen;44 die Verpflichtung zur medizinischen Behandlung dürfte jetzt in der Ausführung von Art. 117a Abs. 1 BV, wonach Bund und Kantone «für eine ausreichende, allen zugängliche medizinische Grundversorgung von hoher Qualität» sorgen müssen, noch konkretere Inhalte gewinnen.
- Aus der Verbindung der Art. 14 betr. Schutz der Familie mit Art. 8 Abs. 2 und Abs. 4 hat das Bundesgericht positive, ergänzende Leistungen für Behinderte in Familien abgeleitet.45
- Schliesslich kann aus den Gesamtsystemen der Bildungs- und der Gesundheitsleistungen in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 und 2 BV je ein bedingter Anspruch auf gleichen und sozialverträglichen Zugang zu Institutionen der Bildungsförderung und der Gesundheitsversorgung abgeleitet werden.46 Mit anderen Worten fliessen namentlich aus grundrechtlichen Schutzpflichten partiell sozialrechtliche Ansprüche, die sich zu ungeschriebenen sozialen Grundrechten entwickeln können.47 Eine genaue Sicht auf das Bundesverfassungsrecht lässt schliesslich noch weitere grundrechtsähnliche soziale Rechte erkennen:
- Art. 59 Abs. 5 ist ein aus den schlimmen Erfahrungen mit den Folgen von Verletzungen oder Todesfällen von Soldaten aus den beiden Weltkriegen entstandenes soziales Grundrecht oder mindestens ein soziales verfassungsmässiges Recht,48 in dem «Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren», «für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes» haben.49 Dasselbe gilt für die Garantie von Art. 61 Abs. 5 für Dienstleistende im Zivilschutz.
- Soziale verfassungsmässige Rechte sind zudem die kostenlose Benutzung öffentlicher Strassen nach Art. 82 Abs. 3 sowie die arbeitsrechtliche Regelung für den 1. August nach Art. 110 Abs. 3 Satz 2.
- Art. 115 BV ist an sich als eine Norm zur interkantonalen Kompetenzabgrenzung konzipiert, wird aber nur verständlich, wenn er (auch) als Grundlage eines subjektiven Anspruchs auf Sozialhilfe erkannt wird.
4. Kantonsebene
Während einige wenige Kantone die Grundrechte (und damit auch die sozialen Grundrechte) nach Massgabe der BV gewährleisten (§ 10 KV LU, Art. 10 Abs. 1 KV ZH)50 oder sich keine Hinweise auf soziale Grundrechte finden lassen (KV LU, SZ, OW), formulieren die meisten Kantonsverfassungen soziale Grundrechte, welche diejenigen der BV konkretisieren und punktuell erweitern. Das gilt etwa für das Recht auf Obdach (so z.B. Art. 29 KV BE, Art. 24 Abs. 1 KV AR, Art. 13 KV NE), das Recht jeder bedürftigen Person «auf die medizinische Grundversorgung» (Art. 13 Abs. 1 KV TI, ebenso Art. 36 Abs. 1 KV FR, Art. 24 KV AR, Art. 34 Abs. 1 KV VD), das Recht auf Bildung (z.B. Art. 14 KV ZH,51 § 11 Abs. 1 Bst. n KV BS), das Recht von Kindern und Jugendlichen «auf eine ihren Fähigkeiten entsprechende Schulbildung» (Art. 15 Abs. 1 KV SH, ähnlich Art. 34 Abs. 2 KV AR), oder das Recht, in Würde zu sterben (Art. 34 Abs. 2 KV VD).
Zudem enthalten verschiedene KV eigene, bundesverfassungsrechtlich nicht garantierte soziale Grundrechte. So wird z.B. im Kanton Zürich Art. 18 BV durch Art. 12 KV ZH dahingehend ergänzt, dass die Sprachenfreiheit gemäss Art. 12 KV ZH auch die Gebärdensprache umfasst.52 Weitere eigenständige kantonale soziale Grundrechte sind z.B. die Gewährleistung der Schulfreiheit (Art. 15 KV ZH), das Recht auf Ausbildung (Art. 40 KV JU) bzw. spezifischer formuliert ein Recht auf Beihilfen an die erste Berufsbildung (Art. 37 KV VD,53 ähnlich Art. 24 Abs. 3 KV GE), oder das Recht von Eltern auf ergänzende Tagesbetreuung für ihre Kinder (§ 11 Abs. 2 Bst. a KV BS),54 das Recht auf Arbeit (Art. 19 KV JU), das Recht auf Wohnung (Art. 22 KV JU, Art. 38 KV GE). Eindrücklich sind sodann die sozialen Grundrechte in der KV FR für Mutterschaft (Art. 33,55 vgl. auch Art. 34 KV VD), für Kinder und Jugendliche (Art. 34 u. Art. 36 Abs. 3, vgl. auch Art. 23 KV GE) sowie für ältere Menschen (Art. 35).56
Die selbständigen kantonalen sozialen Grundrechte unterliegen dem gleichen Rechtsschutz durch das Bundesgericht wie die Grundrechte der BV, da sie ebenso direkt durchsetzbare Rechte sind.57
5. Fazit
Möglicherweise herrscht hierzulande das Vorverständnis, die Schweiz brauche in ihrem unglaublichen Wohlstand und mit den breit ausgebauten, leistungsfähigen Sozialversicherungen keine sozialen Grundrechte, abgesehen von Art. 12 und 19 BV. Allein die gesellschaftliche Wirklichkeit ist eine andere: bedürftige alleinerziehende Elternteile, wachsende Jugendarbeitslosigkeit, sozial unverträgliche ökonomische Zugangssperren zur universitären Bildung, sehr hohe Krankenkassenkosten, viele ständig am oder unter dem Existenzniveau lebende Bauern und Kleinunternehmer in den Berg- und Voralpengebieten ausserhalb der Tourismushochburgen, zahllose mittellose ausländische oder schweizerische Schwarzarbeiter z.B. in der Gastronomie oder im Bauwesen etc. Diesen Teilen der Gesellschaft fehlen in der Regel Kenntnisse und Hilfen zur Geltendmachung elementarer sozialer Rechte, obwohl es wie gezeigt eine ganze Palette in der Regel recht konkreter sozialer Grund- und Menschenrechte gibt.
In spezifischen Situationen will das schweizerische Verfassungsrecht somit bestimmten Gruppen, um Not oder Desintegration und ein Abgleiten in diese zu verhindern, in Ergänzung zur Sozialgesetzgebung besondere Garantien geben. Diesem Gemeinschaftsverständnis entspricht spiegelbildlich, dass den Landesbewohnerinnen und -bewohnern in ausserordentlichen Situationen, namentlich in Katastrophen und Notlagen, von Verfassungs- und Gesetzes wegen bestimmte Bürgerpflichten obliegen.58
Der Text der Bundesverfassung hat sich seit 1999 kaum verändert. Doch die vielen neuen Garantien in den Kantonsverfassungen belegen die Aktualität sozialer Probleme und die Notwendigkeit verbindlicher Antworten. Diesen Bedürfnissen trägt auch das Bundesgericht mit einer sorgfältigen, Schritt für Schritt vorangehenden Rechtsprechung eindrücklich Rechnung, namentlich indem es die sozialstaatlichen Elemente der Diskriminierungsverbote ausschöpft. Ergänzend werden die völkerrechtlichen sozialen Menschenrechte auch in der Schweiz immer bedeutsamer, etwa im Zusammenhang mit den Hilfen für Migrantinnen und Migranten sowie als Massstäbe für die schweizerische Entwicklungshilfe und die Aussenwirtschaftspolitik.59 Das verfassungs- und völkerrechtliche Netz von sozialen Grund- und Menschenrechten ist in der Schweiz deutlicher breiter und stellenweise auch dichter geworden. Das war nötig so.