Viele Gesamtarbeitsverträge (GAV) verpflichten die angeschlossenen Arbeitgeber seit langem, im Falle einer Massenentlassung mit der Gewerkschaft einen Sozialplan auszuhandeln. Manche auch bereits bei einzelnen Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen. Damit sollen die Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer gemildert werden.1 Einige dieser Regelungen enthalten detaillierte inhaltliche Anforderungen an den Sozialplan, andere überlassen die Ausgestaltung vollständig den Sozialpartnern.
Auch mehrere grosse Unternehmen, die keinem GAV unterstehen, auferlegten sich freiwillig die Pflicht, bei Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen mit ihrer Belegschaft einen Sozialplan auszuhandeln.2 Seit dem 1. Januar 2014 wurde für alle Grossunternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten die Sozialplanpflicht im Falle einer Massenentlassung gesetzlich eingeführt.3 Diese im Obligationenrecht verankerte Sozialplanpflicht war die politische Antwort auf den ebenfalls am 1. Januar 2014 neu eingeführten Art. 333b OR. Gemäss dieser Bestimmung gehen bei einem Betriebsübergang im Rahmen eines Erwerbs von Betriebsteilen aus der Insolvenz die Arbeitsverhältnisse nur dann auf den Erwerber über, wenn dies mit ihm so vereinbart wurde.4
Die praktische Relevanz der gesetzlichen Sozialplanpflicht zeigt sich darin, dass rund ein Drittel aller Angestellten in der Schweiz bei einem Arbeitgeber mit mehr als 250 Arbeitnehmern tätig sind. Sie sind somit von der Regelung erfasst.5 Es gibt dabei allerdings einige ungelöste Probleme.
1. Quorum pro Betrieb oder insgesamt?
Während für das Vorliegen einer Massenentlassung laut Art. 335d OR und der damit verbundenen Konsultationspflicht der Arbeitnehmerschaft das erforderliche Quorum an Beschäftigten in einem «Betrieb» gegeben sein muss, gilt die Mindestanzahl für die Sozialplanpflicht gemäss Art. 335h OR für den «Arbeitgeber». Die Unterscheidung zwischen «Betrieb» und «Arbeitgeber» ist insbesondere im Tertiärsektor von entscheidender Bedeutung bei der Frage, ob die gesetzliche Sozialplanpflicht greift oder nicht. In den letzten Jahren haben viele Unternehmen des Detailhandels im grossen Stil Mitarbeiter entlassen und ganze Filialen geschlossen.6 Nach herrschender Auffassung ist jede Filiale als einzelner Betrieb zu betrachten.7 Praktisch keine dieser Filialen erreicht die für die Sozialplanpflicht erforderliche Mindestanzahl von üblicherweise 250 Beschäftigten gemäss Art. 335i Abs. 1 OR.
Würde also die Mindestanzahl Beschäftigter, die für die Auslösung der Sozialplanpflicht erforderlich ist, analog der Bestimmungen zur Massenentlassung beziehungsweise Konsultationspflicht pro Betrieb gelten, würde die Sozialplanpflicht in den weitaus meisten Fällen im Detailhandel nicht greifen. In der Lehre ist ein Teil der Autoren der Ansicht, mit «Arbeitgeber» sei in Art. 335i OR in Wirklichkeit der einzelne «Betrieb» analog der Bestimmung in Art. 335d OR gemeint.8 Deren Hauptargument ist einerseits die inhaltliche und systemische Nähe der beiden Normen sowie die Tatsache, dass die Botschaft des Bundesrates zu Art. 335i OR anstatt des Begriffs «Arbeitgeber» den Begriff «Betrieb» verwendet, ohne sich zu dieser Abgrenzungsfrage explizit zu äussern.9
Diese Argumentation vermag mich wenig zu überzeugen. Die beiden Bestimmungen sind einander inhaltlich und systemisch sehr nahe. Deshalb wäre zu erwarten, dass – falls Gleiches gewollt – auch im Gesetz beide Male der gleiche Begriff – nämlich «Betrieb» – gewählt worden wäre. Es besteht ja bereits eine offensichtlich gewollte Differenz zwischen dem Quorum für die Massenentlassung beziehungsweise Konsultationspflicht und demjenigen für die Sozialplanpflicht. Zudem betrifft ein Sozialplan immer sämtliche Beschäftigten eines Arbeitgebers. Er muss nämlich nicht nur betriebsweise, sondern mit seinem gesamten Vermögen für dessen Erfüllung einstehen.
So wird die hier vertretene Auffassung, das Quorum für die Sozialplanpflicht sei pro Arbeitgeber, der insgesamt 250 Arbeitnehmer beschäftige, und nicht pro Betrieb zu erfüllen, in der Literatur ebenfalls von namhaften Autoren gestützt.10 Diese ungeklärte Rechtsauslegungsfrage spielt allerdings den Arbeitgebern in die Karten. Stellen sie sich nämlich auf den Standpunkt, keinen Sozialplan aushandeln zu müssen, bleibt den Arbeitnehmern beziehungsweise deren Vertretung nichts anderes übrig, als das Schiedsgericht gemäss Art. 335j OR anzurufen. Dieses müsste sich vorfrageweise zur Frage der Sozialplanpflicht aussprechen. Zur Problematik des Schiedsverfahrens siehe weiter unten.
2. Fehlende inhaltliche Vorgaben
Im Gegensatz zu vielen GAV, die dem Inhalt der Sozialpläne einen gewissen Rahmen vorgeben, lässt das Gesetz den Parteien bei der Ausgestaltung praktisch freie Hand. Einzige Schranke gemäss Art. 335h Abs. 2 OR ist, dass der Sozialplan den Fortbestand des Betriebs nicht gefährden darf. Der Arbeitgeber ist damit im Endeffekt seiner gesetzlichen Pflicht nachgekommen, auch wenn er einen minimalen oder für die Arbeitnehmer gar «schlechten» Sozialplan mit diesen abschliesst. Je weniger zusätzliche Leistungen nämlich fliessen, desto sicherer ist der Fortbestand des Betriebs.
In der Praxis ist es häufig so, dass der Arbeitgeber bereits im Zeitpunkt der Ankündigung der geplanten Massenentlassung einseitig einen Sozialplan aufgestellt hat, den er der Arbeitnehmerschaft vorlegt und als «gut» verkauft. Hat die Arbeitnehmerschaft keine erfahrene Personalkommission oder Gewerkschaft im Rücken, die bereit und in der Lage ist, sich beim Arbeitgeber die nötigen betriebswirtschaftlichen Informationen zu beschaffen und mit ihm harte Verhandlungen über den Inhalt des Sozialplans zu führen, ist die Gefahr hoch, dass sich die durch die Ankündigung der Massenentlassung ohnehin verunsicherten Arbeitnehmer auf den vorgefertigten Sozialplan einlassen – obwohl sie einen wesentlich besseren hätten verhandeln können.11 Die Arbeitgeber spekulieren auch häufig darauf, dass die Arbeitnehmerseite ohnehin nicht das Schiedsgericht anrufen wird. Solche Verhandlungstaktiken der Arbeitgeber widerspiegelten sich denn auch in einer empirischen Studie, in der Einigungsämter, Fachanwälte SAV Arbeitsrecht, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und grosse Arbeitgeber zu Sozialplänen und dem zugehörigen Verfahren befragt wurden.12
Ein Sozialplan kann auch in betrieblich guten Zeiten generell abstrakt für künftige Umstrukturierungen beschlossen werden. Tritt dann bei vorbestehendem Sozialplan eine Massenentlassung beziehungsweise ein Fall von Art. 335h ff. OR ein, stellt sich die Frage, ob dieser bestehende Sozialplan auf den konkreten Einzelfall genügend zugeschnitten ist oder ob er modifiziert beziehungsweise ein neuer Sozialplan ausgehandelt werden muss.13 Die Partei, die einen neuen Sozialplan aushandeln möchte, wird einen solchen aber nur schwer durchsetzen können, falls sich die andere Partei querstellt. Denn dann müsste das Schiedsgericht angerufen werden. Es wird ohne Not kaum vom ursprünglich ausgehandelten Sozialplan abweichen.14
Eine solche Not wäre wohl nur dann gegeben, wenn die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens im Zeitpunkt der Kündigungen nicht mehr genügend sind und die Anwendung des «Sozialplans auf Vorrat» das weitere Fortbestehen des Arbeitgebers gefährden würde.15
3. Verhandlungsparteien
Das Gesetz sieht eine Kaskade vor, mit wem der Arbeitgeber den Sozialplan verhandeln muss. Besteht ein GAV, muss er ihn mit den daran angeschlossenen Gewerkschaften beziehungsweise Arbeitnehmerverbänden verhandeln. Besteht hingegen kein GAV, verhandelt er mit der Personalkommission beziehungsweise Arbeitnehmervertretung und – wenn keine solche besteht – mit den Arbeitnehmern direkt.16
Für die Arbeitgeber gestalten sich die Verhandlungen mit einer Gewerkschaft meist aufwendiger und schwieriger als mit ihrer Belegschaft. Deshalb versuchen viele Arbeitgeber, die Gewerkschaft als Verhandlungspartnerin wenn möglich zu umgehen. So hat sich zum Beispiel ein Arbeitgeber, der einem Branchen-GAV untersteht, geweigert, mit der Gewerkschaft zu verhandeln. Partei des Branchen-GAV sei nämlich sein Arbeitgeberverband, aber nicht er direkt.17 Bei Branchen-GAV hat der Arbeitgeber im Sinne von Art. 335i Abs. 3 OR keine Parteistellung. Entsprechend sind gemäss überwiegender Auffassung auch nicht die Gewerkschaften seine Verhandlungspartner.18 Allerdings gewährt Art. 335i Abs. 4 OR der Arbeitnehmerseite das Recht, zu den Sozialplanverhandlungen Sachverständige beizuziehen. Als Sachverständige gelten durchaus auch Gewerkschaftsfunktionäre.19 Über diesen Umweg ist es den Arbeitnehmern beziehungsweise der Personalkommission dennoch möglich, die Gewerkschaft in die Verhandlungen miteinzubeziehen.
Auch besteht ein erheblicher zeitlicher Druck. Die Sozialplanverhandlungen sollten beginnen, sobald die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers kundgetan wird. Die Sozialplanpflicht muss parallel zum Konsultationsverfahren gemäss Art. 335f OR laufen.20 Gemäss herrschender Lehre beträgt die Konsultationsfrist bei grösseren Unternehmen zwischen zehn und zwanzig Tagen.21 Bis zum Abschluss des Konsultationsverfahrens sollte der Sozialplan vorliegen, da dann im Normalfall bereits die Kündigungen ausgesprochen werden. Muss der Arbeitgeber nicht mit der Gewerkschaft verhandeln und besteht in der Unternehmung keine gewählte Personalkommission, kommt die Gründung einer Arbeitnehmervertretung, die gemäss Mitwirkungsgesetz erfolgen muss, im Hinblick auf solche Verhandlungen in der Regel für beide Seiten zu spät.
Der Sozialplan wird konkret und einzelfallbezogen für eine Vielzahl von betroffenen Arbeitnehmern abgeschlossen.22 Da die Folgen des Sozialplans die gesamte Belegschaft und nicht nur die entlassenen Angestellten treffen, muss er ausgewogen und fair sein und dem Gleichbehandlungsprinzip genügen.23 Bei mehrgliedrigen Arbeitnehmervertretungen ist deshalb darauf zu achten, dass die gesamte Belegschaft repräsentiert wird. Im Gegensatz zu Verhandlungen mit der Gewerkschaft besteht bei allen übrigen Verhandlungsarten immer die Gefahr, dass Partikular- und Individualinteressen zu viel Gewicht erhalten.
4. Tücken des Schiedsgerichts
Können sich die Parteien nicht auf einen Sozialplan einigen, so wird dieser nach Art. 335j OR durch ein Schiedsgericht aufgestellt. Die Norm gewährt den Parteien volle Freiheit bezüglich der Bestimmung des Schiedsorgans.24 Von daher ist auch vollständig offen, wie vorzugehen ist, wenn sich die Parteien nicht über die Ernennung des Schiedsgerichts einigen können.25 Auf das Verfahren sind die Art. 353 ff. ZPO anwendbar.26
Schiedsverfahren können lange dauern. Bei dieser offenen Schiedsgerichtsklausel kann die unwillige Partei – in den allermeisten Fällen der Arbeitgeber – erfolgreich über Monate oder Jahre ein Schiedsurteil verhindern, indem sie alles ablehnt (Schiedsorgan, personelle Besetzung, Verfahrensart etc.). Es besteht das Risiko, dass der Sozialplan durch Schiedsspruch erst feststeht, wenn die Entlassungen schon längst abgeschlossen sind.27 Die Leistungen des Sozialplans, die Kündigungen vermeiden sollen, sind in solchen Fällen bereits obsolet.28
Die weiter oben genannte Studie hat denn auch ergeben, dass in nahezu allen Fällen ein Sozialplan im Verhandlungsstadium aufgestellt wurde und nur 2 der 85 befragten Studienteilnehmer an einem Schiedsverfahren auf Erstellung eines Sozialplans beteiligt waren.29 Auch in der Literatur werden denn nur zwei auf Art. 335j OR gestützte Schiedsgerichtsurteile erwähnt: Ein Urteil der kantonalen Einigungsstelle des Kantons Genf vom 24. Februar 201530 und ein Urteil eines privaten Schiedsgerichts in Sachen Tamedia / Le Matin vom 2. September 2019.31 Die Kosten für ein Verfahren vor privatem Schiedsgericht belaufen sich auf bis zu circa 80 000 Franken.32 Es ist offensichtlich, dass in Fällen, in denen nicht eine Gewerkschaft, sondern eine Personalkommission oder gar die Arbeitnehmer selbst Partei sind, diese Kosten ohne Mithilfe des Arbeitgebers nicht werden aufbringen können oder wollen. Die Parteien haben die Möglichkeit, unentgeltlich die eidgenössische oder eine kantonale Einigungsstelle zur Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten anzurufen. Wenn eine Partei diese Stellen aber ablehnt, bleibt der anderen Partei nichts anderes übrig, als beim gemäss ZPO zuständigen kantonalen Gericht auf Bestellung eines Schiedsgerichts zu klagen.33 Das wiederum ist mit Kosten und Zeit verbunden. Es wurde festgestellt, dass Arbeitgeber sich aus taktischen Gründen nicht auf Verfahren vor Einigungsstellen einlassen könnten. Dies, weil dann ein Schiedsgericht bestellt werden müsste und arbeitnehmerseitig möglicherweise nicht genügend Mittel vorhanden sind. So kann der Arbeitgeber «steuern», dass die Arbeitnehmerseite einen vorgeschlagenen Sozialplan annimmt.34
Auch wenn der Gesetzesartikel offen formuliert ist, wird es in der Praxis fast immer die strukturell und finanziell schwächere Arbeitnehmerseite sein, die das Schiedsgerichtsverfahren einleiten muss.
Ist eine Gewerkschaft Verhandlungspartei, wirft dies an sich keine grösseren Probleme auf. Bereits bei der Personalkommission stellt sich jedoch die Frage der Aktivlegitimation. Zudem können innerhalb eines Betriebes für verschiedene Bereiche unterschiedliche Kommissionen bestehen, die – beispielsweise bei der Schliessung nur einer Abteilung – höchst unterschiedliche Interessenlagen haben können. Noch unterschiedlicher sind schliesslich die Interessen der gesamten Arbeitnehmerschaft eines Betriebes, da in der Regel die einen verbleiben können, die anderen gekündigt werden. Die Verbleibenden haben ein kurzfristiges Interesse daran, möglichst viel Geld im Betrieb zu behalten. Die anderen möchten möglichst grosszügige Sozialplanleistungen. Insbesondere hier stellt sich die Frage, wie viele Arbeitnehmer notwendig sind, um ein Schiedsgerichtsverfahren einleiten zu können.
Die Angaben in der Lehre gehen auseinander – von der Annahme, die (gekündigten oder alle?) Arbeitnehmer würden eine einfache Streitgenossenschaft bilden 35 bis hin zur unrealistischen Annahme, sämtliche Arbeitnehmenden müssten gemeinsam in notwendiger Streitgenossenschaft handeln.36 Dies ist bei grossen Betrieben gar nie möglich. Wenn sodann die Kosten eines Schiedsgerichts nach Obsiegen und Unterliegen verteilt werden,37 wird es für die Betroffenen sehr rasch zum unkalkulierbaren Abenteuer.
5. Rechtsnatur des Sozialplans
Das Gesetz äussert sich nicht über die Rechtsnatur des Sozialplans. Lehre und Rechtsprechung gehen davon aus, dass im Falle von Art. 335i Abs. 3 lit. a OR, also wenn der Arbeitgeber gestützt auf einen GAV mit der Gewerkschaft den Sozialplan abschliesst, dieser ebenfalls als GAV zu qualifizieren ist.38
Portmann / Rudolph sind der Ansicht, der Sozialplan entfalte dann seine normativen Wirkungen nur im Geltungsbereich des GAV und der Vertragsbindung. Die nicht vertragsgebundenen Arbeitnehmer des betroffenen Betriebes – also die Nicht-Gewerkschaftsmitglieder – kämen nicht in den Genuss des Sozialplans, solange keine Ausdehnungsklausel oder Integration eines Vertrages zugunsten Dritter bestehe.39
Dieser Meinung kann nicht gefolgt werden, da die gesetzliche Sozialplanpflicht eine teilzwingende Norm zugunsten der Arbeitnehmer ist (Art. 335i i.V. mit Art. 362 OR). Sie gibt jedem Mitarbeiter des betroffenen Arbeitgebers einen gesetzlichen Anspruch. Entsprechend muss der Sozialplan seine normativen Wirkungen nach der hier vertretenen Auffassung für alle Mitarbeiter des betroffenen Arbeitgebers entfalten. Ein zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretung abgeschlossener Sozialplan (Fall von Art. 335i Abs. 3 lit. b OR) ist als bilateraler Vertrag zu qualifizieren.40 Die Lehrmeinungen gehen jedoch auseinander, ob dieser Vertrag normative Wirkung entfaltet oder von jedem einzelnen Arbeitnehmer angenommen werden muss.41 Angesichts des teilzwingenden Charakters der gesetzlichen Sozialplanpflicht wird auch hier die Ansicht vertreten, der Sozialplan gelte normativ für alle Mitarbeiter des betroffenen Arbeitgebers. Vereinbart der Arbeitgeber direkt mit den Arbeitnehmern den Sozialplan (Fall von Art. 335 Abs. 3 lit. c OR), wird dieser automatisch zum integrierenden Bestandteil der Einzelarbeitsverträge und ist für beide Parteien verbindlich.42
6. Schwächen der Gesetzgebung
Obwohl die Sozialplanpflicht als eine der wichtigsten Neuerungen des neuen Sanierungsrechts angesehen wird,43 offenbart sie sowohl in der gesetzlichen Ausgestaltung wie auch der praktischen Anwendung einige Schwächen. Ein Drittel aller Arbeitnehmer kommen potenziell in deren Genuss, aber nur 0,37 Prozent aller Privatbetriebe erfüllen das Quorum von 250 Beschäftigten.44 Wird auf den Arbeitgeberbegriff abgestellt, hat die Sozialplanpflicht tatsächlich eine grosse praktische Relevanz. Wird jedoch auf den Betriebsbegriff abgestellt, dürften nur einige grössere Werke aus der Industrie – die aber meist ohnehin bereits eine Sozialplanpflicht aus GAV kennen – davon erfasst sein und die praktische Relevanz wäre entsprechend tief.
Die einzige inhaltliche Vorgabe, wonach der Sozialplan den Fortbestand des Betriebs nicht gefährden dürfe, spielt den Arbeitgebern in die Karten. Gerade im Falle nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer, die unter Zeit- und Leidensdruck einen solchen Sozialplan mit dem Arbeitgeber verhandeln müssen, ist kaum Waffengleichheit gegeben.
Der Schiedsgerichtsartikel ist zwar gut gemeint, bleibt in den allermeisten Fällen aber toter Buchstabe, weil sich insbesondere die Arbeitnehmerseite das Schiedsgericht sowohl finanziell wie auch zeitlich in der Regel nicht leisten kann. Zuletzt führt auch die Kaskadenregelung, mit wem der Arbeitgeber den Sozialplan zu verhandeln hat, zu Unsicherheiten bei der Bestimmung der Rechtsnatur und der entsprechenden Wirkungsentfaltung des Sozialplans.
1 Statt vieler: Art. 28 Anhang 5 Landesmantelvertrag für das schweizerische Bauhauptgewerbe; Art. 113 GAV der deutschschweizerischen Unternehmen der Uhren- und Mikrotechnik; Art. 63 GAV Coop Genossenschaft.
2 Thomas Geiser, Sozialplanpflicht im schweizerischen Arbeitsrecht, in: ZBJV 153/2017, S. 819.
3 Art. 335h ff. OR.
4 Martin L. Müller, Sozialplanpflicht (Art. 335h–335k OR), in: ARV 2014, S. 232.
5 Wolfgang Portmann / Roger Rudolph, «Der Arbeitsvertrag», in: Basler Kommentar Obligationenrecht I, Basel 2020, S. 2239.
6 Vgl. Watson-Artikel vom 23.10.2019.
7 Ullin Streiff / Adrian Von Kaenel / Roger Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, Zürich 2012, S. 948 f.
8 Portmann / Rudolph, a.a.O., S. 2345; Jürg Brühwiler, Einzelarbeitsvertrag, Kommentar zu den Art. 319–343 OR, Basel 2014, S. 415; Isabelle Wildhaber, «Die Sozialplanpflicht – Für die Praxis ein Buch mit sieben Siegeln», in: AJP 2015, S. 432.
9 Vgl. Portmann / Rudolph, a.a.O., S. 2345; Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (Sanierungsrecht) vom 8.9.2010, S. 6499.
10 Vgl. Müller, a.a.O., S. 235; Geiser, a.a.O., S. 828.
11 Auskunft Manuel Wyss, Sektorleiter Industrie Gewerkschaft Unia.
12 Vgl. Valérie Dätwyler, Sozialplan in der Schweiz aus arbeitsrechtlicher Sicht, Zürich 2019, S. 104.
13 Geiser, a.a.O., S. 830.
14 Ebd.
15 Müller, a.a.O., S. 234.
16 Art. 335i Abs. 3 OR; Müller, a.a.O., S. 230.
17 Auskunft Manuel Wyss, Sektorleiter Industrie Gewerkschaft Unia.
18 Statt vieler Dätwyler, a.a.O., S. 12; andere Meinung: Luca Cirigliano, «Ausgewählte Fragen des neuen Sanierungsrechts, Inhalte von Sozialplänen, staatliche Schlichtungsstellen als Schiedsgerichte, GAV und Sozialplan», in: Jusletter vom 29.9.2014.
19 Vgl. Brühwiler, a.a.O., S. 416.
20 Vgl. Müller, a.a.O., S. 237.
21 Vgl. Streiff / Von Kaenel / Rudolph, a.a.O., S. 969.
22 Geiser, a.a.O., S. 829f.
23 Vgl. Müller, a.a.O.
24 Botschaft, a.a.O., S. 6500.
25 Geiser, a.a.O., S. 837.
26 Botschaft, a.a.O., S. 6500.
27 Wildhaber, a.a.O., S. 435.
28 Dätwyler, a.a.O., S. 38.
29 Ebd., S. 99.
30 Portmann / Rudolph, a.a.O., S. 2349.
31 Von Kaenel /Rudolph, elektronischer Updateservice zum Praxiskommentar, N 7 zu Art. 335j.
32 Dätwyler, a.a.O. S. 106.
33 Brühwiler, a.a.O., S. 418.
34 Dätwyler, a.a.O., S. 107.
35 Ebd., S. 49f.
36 Wildhaber, a.a.O., S. 435.
37 Müller, a.a.O., S. 246.
38 Portmann / Rudolph, a.a.O.; S. 2340, mit Verweis auf BGE 133 I I 215 f.
39 Ebd., S. 2340.
40 Dätwyler, a.a.O., S. 18.
41 Ebd., S. 18, mit Verweis auf weitere Literatur.
42 Geiser, a.a.O., S. 826.
43 Cirigliano, a.a.O., S. 2.
44 Botschaft, a.a.O., S. 6499.