Der Luzerner Rechtsanwalt Marc Kaeslin plädierte am 31. August vor dem Kriminalgericht des Kantons Luzern – und wurde deutlich: «Ihre Ausbildung in Ihrer Funktion als Staatsanwältin ist vergleichbar mit einem Velomechaniker, der als operierender Arzt tätig ist.» Die Rede war von einer Luzerner Staatsanwältin. Sie habe weder eine Vorlesung in Jurisprudenz besucht noch einen entsprechenden Studienabschluss erlangt und erfülle «somit die Wählbarkeitsvoraussetzungen an eine Staatsanwältin nicht», stellte Kaeslin fest. Die «rechtsungelehrte Staatsanwältin» sei kaufmännisch und treuhänderisch ausgebildet und damit für die Tätigkeit als Staatsanwältin «inkompetent». So Kaeslin wörtlich vor dem Kriminalgericht.
Für diese Aussage disziplinierte ihn die Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte des Kantons Luzern mit 500 Franken Busse. Kaeslin habe die Staatsanwältin «herabwürdigend» behandelt und damit gegen die Berufsregeln verstossen (Artikel 12 BGFA).
Anwalt Kaeslin zog gegen diesen Entscheid vor Bundesgericht – jedoch mit mässigem Erfolg. Seine Kritik sei zwar richtig, aber «übertrieben», beschieden ihm die Richter in Lausanne (2C_907/2017 vom 13. März 2018). Es sei «unnötig verletzend und polemisch» gewesen und «nicht mehr den Interessen seines Mandanten und der Sache dienlich», den Umstand der fehlenden juristischen Ausbildung in derart gehäufter und undifferenzierter Art und Weise immer wieder aufzuwerfen und die Staatsanwältin offen zu verhöhnen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, Kaeslin musste Gerichtskosten von 2000 Franken bezahlen.
Auf Anfrage zeigt sich der unterlegene Luzerner Anwalt empört: «Ein Staatsanwalt muss doch eine juristische Ausbildung haben.»
Eine plädoyer-Umfrage bei Staatsanwaltschaften in rund einem Dutzend Kantonen zeigt jedoch: Eine juristische Ausbildung ist auch in gewissen anderen Kantonen für Staatsanwälte nicht zwingend. So arbeitet etwa im Kanton Basel-Landschaft ebenfalls ein Staatsanwalt ohne juristische Ausbildung. Das ist laut dem kantonalem Einführungsgesetz zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) in Ausnahmefällen «bei gleichwertiger, fachbezogener Ausbildung oder bei langjähriger Tätigkeit in der Strafverfolgung» zulässig. Die StPO selbst definiert nicht, welche fachlichen Voraussetzungen ein Staatsanwalt mitbringen muss.
Nichtjuristen auch in Glarus und im Thurgau
Im Kanton Glarus verlangt der Gesetzgeber für Staatsanwälte nicht explizit ein abgeschlossenes juristisches Studium. Praxisgemäss werde aber in den Stellenausschreibungen im Anforderungsprofil ein abgeschlossenes Jus-Studium verlangt. «Vorzugsweise auch ein Anwaltspatent», beteuert Patrick Fluri, erster Staatsanwalt des Kantons Glarus. Er fügt an: «Man kann sich fragen, ob der Gesetzgeber auf eine entsprechende Regelung verzichtet hat, weil ihm diese Voraussetzung als selbstverständlich erschien.»
Im Thurgau arbeiten vier Staatsanwälte ohne Jus-Abschluss. Dort herrscht die gegenteilige Meinung. Ein Rechtsstudium ist nicht notwendigerweise Voraussetzung für den Job: Generalstaatsanwalt Hans-Ruedi Graf kann sich vorstellen, dass etwa für die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und organisierte Kriminalität einmal ein Staatsanwalt gewählt werde, der über einen ökonomischen Studienabschluss verfüge.
Verfahrensrechte müssen gewahrt werden
Der Zürcher Strafrechtsprofessor Frank Meyer hat «erhebliche Zweifel», dass ein Nichtjurist die Bindung an Recht und Gesetz und eine gesetzeskonforme Anwendung von Rechtsnormen gewährleisten kann. «Es fällt mir sehr schwer zu glauben, dass ein Nichtjurist die Aufgaben des Staatsanwalts erfüllen und vor allem seinen verfassungsmässigen Verfolgungs- und Ermittlungsauftrag effektiv wahrnehmen und ihm genügen kann.» Er müsse doch garantieren können, dass die Grund- und Verfahrensrechte – wie etwa die Unschuldsvermutung – der Betroffenen hinreichend gewahrt würden.
Meyer weist auch auf die besondere Problematik der vielen Strafbefehle hin: «Die überwältigende Mehrheit der Verfahren wird mit einem Strafbefehl abgeschlossen.» Dieser werde allein von einem Staatsanwalt erlassen, ohne Beteiligung eines Gerichts. «In der Masse der Fälle ist der Staatsanwalt Ermittler, Strafverfolger und Richter zugleich.» Es sei fraglich, «wie sachgerecht es ist, diese Rolle einem Nichtjuristen zu überlassen, selbst wenn es sich um eine hochintegre Person mit besten Absichten handelt».
Die Anklagekammer des Kantonsgerichts St. Gallen sieht das anders. Sie entschied, ein Sachbearbeiter mit staatsanwaltlichen Befugnissen sei in seiner Funktion ein Staatsanwalt mit einem beschränkten sachlichen Zuständigkeitsbereich kein Problem – etwa bei Strafverfahren mit Sanktion Busse, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von höchstens sechs Monaten. Der Entscheid ist nicht rechtskräftig (AK.2018.75-AK vom 26. April 2018).
Für die betroffene Luzerner Staatsanwältin wird der Ausgang der Kontroverse keine Rolle mehr spielen: Sie verlässt auf Ende Juni die Staatsanwaltschaft Luzern, so der Medienbeauftragte Simon Kopp: «Sie wird sich freiwillig beruflich verändern.»
Überblick
So regeln elf ausgewählte Kantone die Anforderungen an die Ausbildung der Staatsanwälte:
- Das kantonale Gesetz verlangt explizit ein abgeschlossenes juristisches Studium: BE, FR, SZ, ZG
- Das Gesetz schweigt sich über die nötige Ausbildung aus: AI, GL, TG
- Das Gesetz verlangt zwar einen juristischen Abschluss, lässt aber Ausnahmen zu: BL, LU, SG, SO