Es ist grundsätzlich richtig, dass eine Strafverfolgungsbehörde auf Bundesebene für grosse Fälle zuständig ist», sagt der Zürcher Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch gegenüber plädoyer. Und fügt hinzu: «Die Bundesanwaltschaft hat bisher aber nicht bewiesen, dass sie etwas besser kann als die kantonalen Staatsanwaltschaften.» Damit stellt Jositsch die Bundesanwaltschaft grundsätzlich in Frage.
Seinen Ärger brachte der Zürcher Ständerat in einem Postulat zum Ausdruck. Darin verlangt er, dass der Bundesrat prüft, ob die Struktur, die Organisation und die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft zweckmässig und angemessen sind und ob die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft den an sie gestellten Anforderungen genügt.
Jositsch begründet seinen Antrag damit, dass die Bundesanwaltschaft und insbesondere der Leiter der Behörde seit Jahren in der Kritik stehen würden. Diese habe auch bei personellen Wechseln an der Spitze der Bundesanwaltschaft angehalten. Es stelle sich daher die grundsätzliche Frage, ob ein strukturelles Problem bestehe.
Eine Geschichte voller Misserfolge
Im Ständerat führte Jositsch aus, dass das Schwergewicht bei der Strafverfolgung nach wie vor bei den Kantonen liege. Er kritisierte: «Zum Teil verfügt die Bundesanwaltschaft über die falschen Kompetenzen, respektive ist gerade in jenen Fällen nicht zuständig, in denen die Bundeskompetenz sinnvoll wäre und in denen es gut wäre, wenn man eine Bundesbehörde mit dem entsprechenden Know-how hätte.» Der Antrag des Zürcher Ständerats liegt momentan bei der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats zur Vorprüfung.
Jositschs Kritik ist nicht von der Hand zu weisen: Die Geschichte der Bundesanwaltschaft ist nämlich geprägt von Misserfolgen. Beispiele dafür gibt es viele. Etwa das Verfahren gegen die Hells Angels: Acht Jahre hatte die Bundesanwaltschaft ermittelt. Ende 2011 verschob das Bundesstrafgericht den Prozess wegen fehlender Beweismittel. Das Gericht befand, die Bundesanwaltschaft habe ihre Beweismittel unvollständig und in nicht nachvollziehbarer Ordnung eingereicht. Im September 2012 wurde der Prozess gegen die Hells Angels fortgesetzt. Ursprünglich hatte die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf Beteiligung an einer kriminellen Organisation ermittelt. Dieser Vorwurf liess sich nicht erhärten.
Die Hells Angels sind kein Einzelfall. Ähnliche Pleiten hatte die Ermittlungs- und Anklagebehörde der Eidgenossenschaft schon vorher erlitten:
Beispiel Fall Holenweger: Der Ex-Banker Oskar Holenweger war unter anderem wegen qualifizierter Geldwäscherei und Bestechung angeklagt. Er musste fast acht Jahre auf ein Urteil warten. Im April 2011 sprach das Bundesstrafgericht Holenweger dann auf der ganzen Linie frei. Die Richter in Bellinzona stellten fest, das Untersuchungsverfahren sei von Beginn an «rechtswidrig» gewesen.
Beispiel Fall Tamil Tigers: Wie im Hells-Angels-Verfahren hatte die Bundesanwaltschaft jahrelang gegen diese tamilische Organisation ermittelt – jedoch ziemlich erfolglos: Das Bundesstrafgericht verurteilte im Juni 2018 bloss fünf Angeklagte wegen Finanzdelikten zu bedingten Freiheitsstrafen. Dagegen sprach es alle 13 Angeklagten im Hauptanklagepunkt vom Vorwurf frei, einer kriminellen Organisation anzugehören. Mitentscheidend für die Freisprüche: Das Gericht beurteilte Einvernahmen als unverwertbar, die in Sri Lanka unter fragwürdigen Umständen durchgeführt worden waren.
Kosten haben sich innert zehn Jahren verdoppelt
Nicht bloss die Urteile des Bundesstrafgerichts fielen oftmals nicht im Sinn der Bundesanwaltschaft aus. Wiederholt wies dieses Gericht auch mangelhafte Anklagen an die Ermittlungs- und Anklagebehörde des Bundes zur Verbesserung zurück. 2015 etwa erfolgten fünf Rückweisungen, 2013 und 2017 sogar je sechs. Dabei sollte es Ziel der Bundesanwaltschaft sein, eine Anklageschrift zu verfassen, die vor Gericht besteht.
Häufiger Grund für die Rückweisungen war ein Verstoss gegen das Anklageprinzip. Das Bundesgericht kritisierte jeweils, dass die Anklageschrift zu wenig klar formuliert war. Entscheidend ist, dass der Beschuldigte genau weiss, was ihm vorgeworfen wird.
Die jährliche Anzahl Anklagen vor Bundesstrafgericht schwankte seit 2008 zwischen 12 und 49. Dabei sind dem Gericht überwiesene Strafbefehle seit Einführung der eidgenössischen Strafprozessordnung 2011 miteinberechnet. Im Jahr 2018 reichte die Bundesanwaltschaft dem Bundesstrafgericht 24 Anklagen ein.
Während die Anzahl Anklagen und Rückweisungen seit 2008 somit relativ konstant blieben, wurde die Bundesanwaltschaft in derselben Zeitspanne personell massiv aufgestockt (siehe Tabelle im PDF). 2008 verfügte sie über 118 Vollzeitstellen, zehn Jahre später waren es 229. Dies entspricht beinahe einer Verdoppelung. Im gleichen Zeitraum verdoppelten sich auch die jährlichen Kosten der Bundesankläger von 29,5 Millionen auf 60,4 Millionen Franken.
Bei einem derart mageren Leistungsausweis stellt sich die Frage nach einer Reform der Bundesstrafjustiz. Strafrechtsprofessor Marcel Alexander Niggli verweist darauf, dass die Bundesanwaltschaft geschaffen wurde, weil kleinere Kantone mit komplexen Wirtschaftsstraffällen überfordert waren – zum Beispiel die Schwyzer Staatsanwaltschaft im Strafverfahren gegen den European Kings Club. Sie sei durch das aufwendige Strafverfahren für zwei Jahre blockiert gewesen. Niggli: «Sie konnte das Tagesgeschäft nicht mehr bewältigen.» Im Gegensatz zu den grossen Staatsanwaltschaften hätten kleinere Kantone nämlich keine spezialisierten Staatsanwälte, die problemlos grössere Fälle über mehrere Jahre verfolgen könnten. «Drei Viertel der Kantone sind auf die Bundesanwaltschaft angewiesen», ist sich der Professor sicher. Niggli ist deshalb der Ansicht, die Bundesanwaltschaft müsse bestehen bleiben. «Welche Delikte sie verfolgen soll, darüber kann man diskutieren – sicher fallen darunter grössere Wirtschaftsstraffälle.»
Strafrechtsprofessor Niklaus Ruckstuhl von der Uni Basel will die Bundesanwaltschaft ebenfalls nicht ganz abschaffen. Soweit es um internationale Verflechtungen gehe, brauche es eine Behörde, welche die Schweiz einheitlich nach aussen vertrete. Ruckstuhl: «Bei Strafverfahren aber, die nur einen oder wenige Kantone betreffen, ist nicht einzusehen, warum diese von einer nationalen Behörde geführt werden müssen.» Er fände es sinnvoll, die Bundesanwaltschaft zu verkleinern.
“Bundesanwaltschaft bläht eigene Arbeit auf”
Deutliche Kritik kommt auch aus Anwaltskreisen. Der Zürcher Anwalt Valentin Landmann zum Beispiel sagt: «Die Bundesanwaltschaft hat einige Verfahren gegen angeblich kriminelle Organisationen ohne greifbare Ergebnisse angestrengt.» Landmann wirft der Behörde vor, sie sei vor allem damit beschäftigt, sich selbst Arbeit zu beschaffen, diese aufzublähen und in einer grossen Show zu präsentieren. Es sei kein Wunder, dass das Bundesstrafgericht dann die Anschuldigungen für haltlos erkläre. Landmann: «Jeder einzelne Staatsanwalt einer fähigen kantonalen Staatsanwaltschaft hat einen Output wie alle Bundesstaatsanwälte zusammen.» Er möchte die Bundesanwaltschaft deshalb in der jetzigen Form abschaffen. Landmann verlangt «die Rückführung der Bundesanwaltschaft zu einer kleinen Behörde, die sich mit einzelnen Staatsschutzdelikten, Banknotenfälschungen usw. sowie mit Rechtshilfe befasst, die nicht kantonal zuzuordnen ist».
Daniel Venetz von der Bundesanwaltschaft weist die «pauschalisierende Generalkritik» zurück. Die Bundesanwaltschaft bearbeite aufgrund ihrer Zuständigkeiten eine grosse Anzahl von Verfahren in verschiedenen, teilweise sehr komplexen Bereichen. Venetz erklärt die Verdoppelung der Stellen seit 2008 damit, dass die Bundesanwaltschaft seit 2011 unabhängig und aus der Bundesverwaltung ausgegliedert sei. «Diese gesetzlich vorgeschriebene Selbstverwaltung erforderte den Aufbau und die personelle Besetzung der dafür notwendigen internen Abteilungen im Generalsekretariat.» Zudem würde der gesetzliche Auftrag der Bundesanwaltschaft mit der Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen und der Gerichtspraxis laufend erweitert.
Die Bundesanwaltschaft
In der heutigen Form gibt es die Bundesanwaltschaft seit 2002. Damals wurde aus der kleinen Bundesanwaltschaft eine Grossbehörde, die sich unter anderem um kriminelle Organisationen kümmern sollte. Die Bundesanwaltschaft ermittelt und erhebt Anklage bei Straftaten im Bereich der Bundesgerichtsbarkeit, wie sie in Art. 23 und 24 StPO sowie in besonderen Bundesgesetzen aufgeführt sind. Einerseits handelt es sich dabei um klassische Staatsschutzdelikte, andererseits um die Strafverfolgung komplexer interkantonaler bzw. internationaler Fälle von organisierter Kriminalität, Geldwäscherei und Korruption.