1. Fehlender Sicherheitspuffer
Bis zur vom Bundesrat ausgerufenen ausserordentlichen Lage im März 2020 zeichnete sich die hiesige Wirtschaft durch ihre Stabilität aus. Krisen wie die Corona- oder die Finanzkrise führen zu Unsicherheiten und stellen Herausforderungen dar. Damit Unternehmen finanzielle Einbussen überbrücken können, bedarf es genügender Eigenmittel als Sicherheitspuffer. Die Sichtweise im heutigen Steuerrecht ist nicht auf dieses Sicherheitsbedürfnis fokussiert und wird in guten Zeiten zu wenig priorisiert.2
2. Klassische Finanzierungsregel
Eine Finanzierung müsste auf die Unternehmensstabilität und jeweilige Branche ausgerichtet sein sowie mit ausgewogenem Eigen- und Fremdkapital erfolgen.3 Nach einer klassischen Finanzierungsregel sollten Eigenkapital und Fremdkapital gleich hoch sein.4 Die rund 500 000 im Handelsregister eingetragenen Gesellschaften verfügen durchschnittlich über 25 Prozent Eigenkapital, jede dritte Gesellschaft bilanziert weniger als 20 Prozent Eigenkapital.5 Als untere Grenze gelten oft 30 Prozent, welche bereits vor der Coronakrise von vielen schweizerischen Unternehmen unterschritten wurden.
3. Steuersituation auf kantonaler Stufe
Mehr Eigenkapital zahlt sich heute steuerrechtlich nicht aus. Das Eigenkapital wird nämlich mehrfach belastet. Einerseits können die Kantone bei der Gesellschaft eine Kapitalsteuer und andererseits auf der Stufe des Gesellschafters eine Vermögenssteuer vorsehen, wovon die meisten Kantone Gebrauch machen.6 Einige Kantone erlauben steuerrechtlich, die Kapitalsteuer an die Gewinnsteuer anrechnen zu lassen.7 Dies führt in Verlustsituationen sowie bei tiefen Gewinnen nicht zu einer Erleichterung. Für die Erreichung einer vollständigen Finanzierungsneutralität könnte eine Abschaffung oder eine umfassende Anrechnung der kantonalen Kapitalsteuer prüfenswert sein.
4. Steuerrechtlicher Anreiz für Eigenkapital andenken
Bei Fremdkapital hingegen kann der Zinsaufwand steuermindernd berücksichtigt werden.8 Die Unternehmenssteuerreform III, die vom Volk im Jahr 2017 abgelehnt wurde, hätte mit der zinsbereinigten Gewinnsteuer eine Möglichkeit eingeführt, Eigenkapital steuerlich zu fördern, und einen gewinnmindernden Eigenkapitalzinsabzug vorgesehen. Steuerliche Anreize sind eine Möglichkeit, die Eigenkapitalbildung zu unterstützen und das Sicherheitsnetz zu stärken. Der generelle Zinsabzug für Eigenkapital wurde wegen drohender Steuerausfälle als undurchsichtiges Instrument kritisiert.9
5. Lex Zürich beim Eigenfinanzierungsabzug
Die neue Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) trat am 1. Januar 2020 in Kraft und führte als Voraussetzung beim Abzug für Eigenfinanzierung eine Staats- und Gemeindesteuerquote von mindestens 13,5 Prozent ein.10 Der Eigenfinanzierungsabzug steht aufgrund dieser Konzeption lediglich dem Kanton Zürich zur Verfügung, aus diesem Grund wird von einer Lex Zürich gesprochen.11 Durch die sinnvolle Entlastungsbegrenzung zeigt das Instrument eine stabilisierende Wirkung.12
6. Umsetzung Finanzierungsneutralität
Um eine Gleichbehandlung von Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung zu erreichen, kann ein genereller Abzug für die Eigenkapitalfinanzierung oder die Einschränkung des derzeitigen Abzugs für Zinsaufwendungen umgesetzt werden.13 Denn die Umsetzungsmöglichkeiten, um die Finanzierungsneutralität zu erreichen, sind aktuell und werden auch auf europäischer Ebene diskutiert.14 Griffige Missbrauchsbestimmungen tragen dazu bei, dass die Umsetzung der Finanzierungsneutralität nicht zu ungerechtfertigten Steuerersparnissen führt.
7. Fürstentum Liechtenstein machts vor
Das Fürstentum Liechtenstein kennt einen generellen Eigenkapitalzinsabzug gekoppelt mit Missbrauchsbestimmungen. Der Abzug reduziert als geschäftsmässig begründete Aufwendung den steuerbaren Gewinn.15 Bei der Berechnung des Abzugs wird das sogenannte modifizierte Eigenkapital ermittelt, welches sich unter anderem um das nicht betriebsnotwendige Vermögen reduziert.16 Die Schweiz könnte sich an der liechtensteinischen Berechnungsart orientieren.
8. Nachteil Emissionsabgabe
Die Bildung von Eigenkapitalpolstern wird durch die Emissionsabgabe erfasst und zusätzlich steuerlich unattraktiv gemacht.17 Sie kennt einen Freibetrag von einer Million Franken.18 Höhere Beträge werden mit 1 Prozent erfasst.19 Zuschüsse, Einbringungen ohne Gegenleistung an die Gesellschafter, profitieren nicht von diesem Freibetrag.20 Lediglich im Sanierungsfall sieht das geltende Recht Erleichterungen vor.21
9. Eigenkapitalrendite und teureres Eigenkapital
Zusätzliches Eigenkapital kann Nachteile mit sich bringen, nämlich eine tiefere Eigenkapitalrendite, die als Massstab für die Unternehmensattraktivität gilt.22 Eigenkapital wird zudem wegen der Risikoprämie gegenüber Fremdkapital finanztheoretisch als teurer angesehen.23 Viele inhabergeführte Unternehmen wären jedoch bereit, eine grössere Eigenkapitalbasis zu führen.
10. Massnahmen zur Stärkung des Eigenkapitals
Die letzten Krisenmonate zeigten, dass Unternehmen auf eine stabile finanzielle Grundlage angewiesen sind. Um eine Gleichbehandlung von Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung zu erreichen, könnten zwei Massnahmen wirken: eine zusätzliche Ermässigung für die Eigenkapitalfinanzierung sowie die Einschränkung des derzeitigen Abzugs für Zinsaufwendungen. Die Covid-19-Kredite führen zu einer zusätzlichen Unternehmensverschuldung, weshalb die Einführung eines allgemeinen steuerlichen Abzugs für Eigenfinanzierung auf Stufe Bund und Kantone sowie die erwogene Abschaffung der Emissionsabgabe einen Anreiz bieten könnten, dass Unternehmen künftig ihre Eigenkapitalbasis festigen und gestärkt aus der Krise hervorgehen.24 Das Missverhältnis von Fremd- und Eigenkapital sollte nicht nur bei der Finanzierung von Unternehmen in den Fokus gerückt werden. Bei der Verschuldung von Privatpersonen sind diese Aspekte ebenso diskutierbar. Auf dieser Ebene könnte der Schuldzinsenabzug ein Thema werden oder ein neuer Eigenmittelzinsabzug bei investiertem Privatvermögen angedacht werden. Ohne diese Instrumente dürfte die jetzige Verschuldung die nächste Krise auslösen.25
Matthias Gartenmann, Rechtsanwalt, eidg. dipl. Steuerexperte & Pascal Krützmann, Eidg. dipl. Steuerexperte
1 Werner Grundlehner, «Der Aktionär wird höher geschätzt als die Kreditwürdigkeit», in: NZZ online vom 4.7.2018; Andreas Uhlig, «Aktienrückkäufe ohne Ende», in: NZZ, 3.8.2018.
2 Vgl. Motion 20.3236 der FDP-Fraktion im Nationalrat vom 4.5.2020 «Covid-19. Stärkung der Unternehmen mit dem Abzug für Eigenfinanzierung nach der Corona-Krise».
3 Jürg Leimgruber, Urs Prochinig, Das Rechnungswesen der Unternehmung, 6. Aufl., Zürich 2019, Kapitel 11 und 12.
4 Jürg Leimgruber, Urs Prochinig, Das Rechnungswesen als Führungsinstrument, 8. Aufl., Zürich 2019, Kapitel 23.
5 www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/register/unternehmensregister/unternehmens-identifikationsnummer/uid-register/aktuelle-daten.html; www.kmu.admin.ch/kmu/de/home/praktisches-wissen/finanzielles/finanzierung/grundlagen/eigenkapital-fremdkapital-und-goldene-regeln.html, Zugriff jeweils 31.5.2020.
6 Namentlich der Kanton Uri hat die Kapitalsteuer abgeschafft, hingegen erheben dort Gemeinden eine proportionale Kapitalsteuer, Art. 96 Abs. 1 Steuergesetz des Kantons Uri vom 26.9.2010.
7 Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 2 Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14.12.1990 (StHG); siehe etwa § 100a des Gesetzes über die Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Thurgau vom 14.9.1992.
8 Art. 58 Abs. 1 lit. a und 59 Abs. 1 Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer vom 14.12.1990 (DBG); § 63 und § 64 Abs. 1 Ziff. 1 sowie § 65 Abs. 1 Steuergesetz des Kantons Zürich vom 8.6.1997 (StG ZH); siehe auch Art. 24 Abs. 1 und 25 Abs. 1 StHG.
9 Siehe auch BBl 2015, S. 5069 ff., S. 5133; BBl 2018, S. 2527 ff., S. 2570.
10 Art. 25abis StHG.
11 § 65 b StG ZH.
12 § 65 c StG ZH; vgl. Art. 25b StHG.
13 Der Abzug privater Schuldzinsen ist bereits auf die steuerbaren Vermögenserträge und weitere 50 000 Franken beschränkt, siehe Art. 33 Abs. 1 lit. a DBG, Art. 9 Abs. 2 lit. a StHG und § 31 Abs. 1 lit. a StG ZH.
14 European Commission, «The Effects of Tax Reforms to Address the Debt-Equity Bias on the Cost of Capital and on Effective Tax Rates, Working Paper N. 65/2016», ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/taxation_paper_65.pdf;
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, «Finanzierungsneutrale Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union?, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom Oktober 2016»; www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Ministerium/Geschaeftsbereich/Wissenschaftlicher_Beirat/Gutachten_und_Stellungnahmen/Ausgewaehlte_Texte/2017-11-16-Finanzierungsneutrale-Unternehmensbesteuerung-in-der-EU-anlage.pdf?__blob=publication
File&v=4, Zugriff jeweils 31.5.2020.
15 Art. 54 Abs. 1 des Gesetzes über die Landes- und Gemeindesteuern vom 23.9.2010 (SteG); Art. 54 Abs. 4–5 SteG.
16 Art. 54 Abs. 2 lit. c SteG.
17 Art. 5 Abs. 1 lit. a Bundesgesetz über die Stempelabgaben vom 27.6.1973 (StG); BBl 2015 S. 5069 ff., S. 5102 f.
18 Art. 6 Abs. 1 lit. h StG.
19 Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 StG.
20 Art. 5 Abs. 2 lit. a und Art. 6 Abs. 1 lit. h StG.
21 Art. 6 Abs. 1 lit. k StG; siehe auch Art. 12 StG; Kreisschreiben Nr. 32 der eidgenössischen Steuerverwaltung vom 23.12.2010, Sanierung von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, Ziff. 3.3.
22 Leimgruber / Prochinig, Das Rechnungswesen als Führungsinstrument, a.a.O., Kapitel 23, 24.
23 Reinhard Schmidt, Eva Terberger-Stoy, Grundzüge der Investitions- und Finanzierungstheorie, 4. Aufl., Wiesbaden 1997, S. 194 ff.
24 Fabian Schäfer, David Vonplon, «Mir ist es nicht mehr wohl in meiner Haut», in: NZZ vom 29.4.2020; vgl. Parlamentarische Initiative 09.503 von Nationalrat Fulvio Pelli vom 10.9.2009, «Stempelsteuer schrittweise abschaffen und Arbeitsplätze schaffen».
25 Nach Art. 24 der Verordnung zur Gewährung von Krediten und Solidarbürgschaften in Folge des Coronavirus vom 25.3.2020 (Covid-19-Solidarbürgschaftsverordnung) werden für die Berechnung der Deckung von Kapital und Reserven nach Art. 725 Abs. 1 Obligationenrecht (OR) und für die Berechnung einer Überschuldung nach Art. 725 Abs. 2 OR die Covid-19-Kredite, die gemäss Art. 3 COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung verbürgt wurden, bis zum 31.3.2022 nicht als Fremdkapital berücksichtigt.