1. Lebenszyklus der Kapitalgesellschaft
Der Lebenszyklus der Kapitalgesellschaft lässt sich in vier Phasen unterteilen: Gründung, Normalbetrieb, Krisenbetrieb und Liquidation.2 Der Normalbetrieb ist im Idealfall dauerhaft. Eine Krise braucht nicht zwingend einzutreten, auch nicht als Vorstufe zur Liquidation. Gerät aber das Unternehmen in finanzielle Schieflage, belastet dies das Management mit zusätzlichen Pflichten, die strafrechtlich geschützt und nicht verhandelbar sind.
Das führt dazu, dass auch Leute das Strafrecht fürchten, die aufrichtig einen guten Job machen und niemanden hintergehen wollen. Doch kann es Geschäftsleuten, die in der Selbstwahrnehmung ehrlich sind, widerfahren, dass sie an der entscheidenden Stelle einen blinden Fleck haben und ihr eigenes Verhalten zu optimistisch werten. Der vorliegende Aufsatz will dazu beitragen, solche Fallen zu erkennen, um Unternehmenskrisen ohne Verletzung des Strafrechts meistern zu können.
2. Pflicht zur Erkennung der Krise
Grundlegend ist es die Pflicht der Unternehmensleitung, das heisst des Verwaltungsrats der Aktiengesellschaft3 respektive der Geschäftsführung der GmbH,4 die Krise rechtzeitig zu erkennen und diesen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Dazu hat sie die finanzielle Lage laufend und konkret zu überwachen.5 Das wichtigste Hilfsmittel zur Erfüllung dieser Pflicht ist die ordnungsgemässe Ausgestaltung des Rechnungswesens, die unübertragbar und unentziehbar der Unternehmensleitung obliegt.6 Diese Aufgabe ist als zwingende Pflicht an die Organfunktion gekoppelt und lässt sich nicht durch die vertragliche Ausgestaltung des Mandates wegbedingen.
Jedes Mitglied des Verwaltungsrats einer AG beziehungsweise der Geschäftsführung einer GmbH ist persönlich verantwortlich, sich zu vergewissern, dass eine taugliche Buchhaltung geführt wird, und dem Missstand Abhilfe zu verschaffen, wenn dies nicht der Fall ist.7 Die operative Arbeit der Buchführung und Rechnungslegung ist delegierbar,8 nicht aber deren grundlegende Ausgestaltung und Überwachung.
Fehlt die Buchhaltung oder ist sie unbrauchbar, machen sich die Mitglieder der Unternehmensleitung bei Konkurseröffnung wegen Unterlassung der Buchführung gemäss Artikel 166 StGB strafbar. Dies ist ein Vergehen. Ohne Konkurseröffnung ist die ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher gemäss Artikel 325 StGB eine Übertretung.
Es ist ein häufiger Fehlentscheid in Kleinunternehmen, in der Krise als Erstes bei der Buchhaltung zu sparen. Davon ist nicht in erster Linie wegen der Straffolgen abzuraten. Vielmehr behindert das Fehlen einer brauchbaren Buchhaltung das adäquate Krisenmanagement erheblich.9
Die Situation ist mit derjenigen eines Iglu-Fahrers im Strassenverkehr vergleichbar. Gemäss Artikel 725 OR überwacht die Unternehmensleitung die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft. Liquiditätsmangel, Zahlungsverzögerungen und Zahlungsausfälle sind die deutlichsten Krisensignale, die nicht nur nach Sanierungsmassnahmen rufen, sondern auch zur «begründeten Besorgnis» der Überschuldung führen und zu den in Artikel 725b OR beschriebenen Kontrollmassnahmen verpflichten.10
Weitere Krisensignale sind Querfinanzierungen, steigendes Fremdkapital, steigende Lagerbestände, zunehmende Debitorenausstände sowie «Kosmetik» im Rechnungswesen, namentlich die Erfassung des Ertrags zu einem möglichst frühen und des Aufwands zu einem möglichst späten Zeitpunkt, die Reduktion der Abschreibungen und die Vornahme zweifelhafter Aufwertungen und Aktivierungen.11
Besteht wegen Liquiditätsmangels oder aus anderen Gründen die Besorgnis der Überschuldung, hat die Unternehmensleitung unverzüglich einen Zwischenabschluss zu erstellen und durch eine zugelassene Fachperson revidieren zu lassen, und zwar auch dann, wenn die Gesellschaft zufolge eines «Opting-out»12 nicht über eine Revisionsstelle verfügt.
Bestätigt sich dabei der Verdacht der Überschuldung, hat die Unternehmensleitung als «Notbremse» sofort den Konkurs anzumelden, um die Verschlimmerung der Vermögenslage zu verhindern und der Gläubigerschaft möglichst hohe Konkursdividenden zu sichern. Es ist ein gewichtiges Indiz für die fehlende Fortführungsfähigkeit, wenn nicht einmal die Mittel für die Nachführung der Buchhaltung und deren Revision vorhanden sind. In diesem Fall ist es ratsam, die Notbremse durch Abgabe einer Insolvenzerklärung gemäss Artikel 191 Absatz 1 SchKG zu ziehen. Dafür ist lediglich ein notariell beurkundeter Generalversammlungsbeschluss nötig,13 was bedeutend geringere Kosten verursacht als eine Revision.
Das Bundesgericht misst den Pflichten gemäss Artikel 725b OR einen sehr hohen Stellenwert zu und beurteilt deren Verletzung als «arge Nachlässigkeit in der Berufsausübung oder Vermögensverwaltung», was dem tatbestandsmässigen Verhalten der Misswirtschaft gemäss Artikel 165 StGB entspricht.14 Verursacht diese Nachlässigkeit eine Verschlimmerung der Vermögenslage und wird der Konkurs eröffnet, sind die weiteren Kriterien für die Anwendung dieser Verbrechens-Strafnorm erfüllt, wobei Vorsatz nicht erforderlich ist, sondern grobe Fahrlässigkeit ausreicht.15
Wer als Organ nicht rechtzeitig die Liquidation gemäss Artikel 725b OR oder Artikel 191 Absatz 1 SchKG einleitet, haftet strafrechtlich auch ohne jede Einflussnahme und ungeachtet eines allfälligen Rücktritts für den Vermögensverlust, der sich durch diese «Notbremse» hätte verhindern lassen.
Diese strenge strafrechtliche Ächtung der Konkursverschleppung ist der notwendige Ausgleich für die Begrenzung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen. Wer in guten Jahren rechtmässig Gewinnausschüttungen, hohe Löhne und Boni erhielt, darf das Geld auch im Konkursfall behalten. Zudem gehen die im Konkurs ungedeckten Forderungen gegen die Gesellschaft definitiv unter, wogegen die konkursite natürliche Person zur Kasse gebeten werden kann, wenn sie zu neuem Vermögen gekommen ist.16
Angesichts dieser Vorteile ist es angebracht, der Pflicht zur Erkennung der Unternehmenskrise und zum Schutz des Restvermögens durch strenge Strafdrohungen Nachdruck zu verleihen.
Zwar sind – abgesehen von der Misswirtschaft – die weiteren Verbrechen und Vergehen, die typischerweise in der Unternehmenskrise begangen werden, nur bei Vorsatz strafbar. Doch «vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt».17 Das Organ, das seine Augen bewusst vor Krisensignalen verschliesst, muss sich deshalb mehr als blosse Fahrlässigkeit vorwerfen lassen. Wer seine Augen zumacht und trotzdem am Steuer bleibt, nimmt den Unfall in Kauf.
3. Verbotene Ausschüttungen
Besonders bei Ein-Personen-Gesellschaften besteht die Tendenz, dass die wirtschaftlich Berechtigten ihre juristische Person als ihre zweite Hosentasche ansehen, über deren Inhalt sie nach Gutdünken verfügen dürfen. Dies mag in guten Zeiten zutreffen, solange alles sauber versteuert wird. Doch wenn die Gesellschaft die Komfortzone verlässt, setzt das Gesellschaftsrecht dieser Auffassung klare Grenzen, und zwar nicht erst in der eigentlichen Krise, sondern schon bei den ersten Anzeichen. Wer dann nicht klar zwischen Privatvermögen und Gesellschaftsvermögen trennt, setzt sich einem hohen Strafbarkeitsrisiko aus.
Die Kapitalgesellschaft darf nur – aber immerhin – den freien Bilanzgewinn ausschütten,18 nicht jedoch das Kapital und die gebundenen Reserven. Der Bilanzgewinn – nicht zu verwechseln mit dem Jahresgewinn – entspricht dem Reinvermögen abzüglich des Grundkapitals. Die Kapitalgesellschaft beginnt ihre Tätigkeit nicht bei null, sondern mit dem statutarisch festgelegten Startvermögen. Hat sie im Ergebnis – unter Umständen nach einer Vielzahl von wechselhaften Geschäftsjahren – dieses Grundkapital vermehrt, liegt ein Bilanzgewinn vor, andernfalls ein Bilanzverlust. In guten Jahren (und bei weiteren Gelegenheiten) sind gesetzlich vorgeschriebene Reserven zu bilden, die nicht ausgeschüttet werden dürfen.19
Die Reservenbildung folgt demselben Mechanismus wie das Grundkapital: Es handelt sich um eine rein rechnerische Grösse mit einer Sperrwirkung gegen Ausschüttungen: Solche dürfen nur vorgenommen werden, wenn nachher die Differenz der Aktiven und der Verbindlichkeiten grösser oder gleich der Summe des Grundkapitals und der gebundenen Reserven ist. Greift die Ausschüttung in das Grundkapital ein, ist sie als Kapitalrückgewähr zivilrechtswidrig.20 Im gleichen Sinn ist auch die Ausschüttung gebundener Reserven verboten, solange diese nicht die Hälfte des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals übersteigen.21
Über Gewinnausschüttungen muss zwar die Generalversammlung befinden. Entnimmt jedoch die einzige wirtschaftlich berechtigte Person mit Organstellung der Gesellschaft formlos einen Betrag, über den sie im Rahmen eines Generalversammlungsbeschlusses hätte verfügen dürfen, so entsteht kein strafrechtlich relevanter Schaden der Gesellschaft.
Anders verhält es sich, wenn das Gesellschaftsorgan im Einklang mit dem Willen der wirtschaftlich Berechtigten (oder in Personalunion mit diesen) Geld an das Aktionariat auszahlt oder sonst für den Gesellschaftszweck unnötigen oder unbegründet hohen Aufwand betreibt («Luxus-Aufwand») und dadurch in die gebundenen Reserven («Reserven-Ausschüttung») oder sogar in das Grundkapital («Kapital-Ausschüttung») eingreift. Gemäss ständiger Rechtsprechung entspricht dies einer ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinn von Artikel 158 Ziffer 1 StGB zum Nachteil der Gesellschaft.22
Dies gilt umso mehr, wenn eine Mittelentnahme die Überschuldung herbeiführt oder verschlimmert («Restaktiven-Ausschüttung»).23 Wer sich nicht gestützt auf eine taugliche Rechnungslegung vergewissert, dass die Vermögenslage des Unternehmens Ausschüttungen oder Luxus-Aufwand zulässt, nimmt in Kauf, dass dem nicht so ist, und handelt damit vorsätzlich.
Diese Rechtsprechung erhebt die zivilrechtlichen Kapital- und Reserven-Schutzbestimmungen zu strafrechtlich relevanten Vermögensschutzpflichten, welche die Gesellschaft vor der Aushöhlung durch ihre wirtschaftlich Berechtigten bewahren sollen. Diese Ausprägung der ungetreuen Geschäftsbesorgung greift früher als die Insolvenzdelikte gemäss Artikel 163 ff. StGB, für die zusätzlich eine objektive Strafbarkeitsbedingung (Konkurseröffnung, Pfändungsverlustschein) und eine Gläubigerschädigungsabsicht (Artikel 163 f. StGB) beziehungsweise die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit (Artikel 165 StGB) nachzuweisen sind.
Sind diese zusätzlichen Kriterien gegeben, so treten die Insolvenzdelikte mit der ungetreuen Geschäftsbesorgung in echte Konkurrenz, da diese die Gesellschaftsinteressen und jene die Gläubigerinteressen schützen.24
4. Liquidität in der Krise beschaffen
Einem hohen Strafbarkeitsrisiko setzt sich das Gesellschaftsorgan aus, das die finanzielle Lage des Unternehmens beschönigt oder falsche Sicherheiten anbietet, um Liquidität durch Darlehen oder Kapitalinvestitionen zu beschaffen. Dabei ist es für die Strafbarkeit unerheblich, wenn die so beschaffte Liquidität verantwortungsvoll und sorgfältig ausschliesslich zur Rettung des Unternehmens eingesetzt wird. Ebenso wenig bringen der aufrichtige Wille und die begründete Hoffnung zur Rückzahlung sichere Entlastung.
Eine Beschönigung zur Liquiditätsbeschaffung, die auf bewusst falschen Tatsachenbehauptungen beruht, fällt unter die Vergehensstrafnorm des unlauteren Wettbewerbs gemäss Artikel 23 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 litera b UWG, wenn ein Strafantrag vorliegt. Wer die Zukunftsaussichten des Unternehmens etwas gar optimistisch ausmalt, ohne die Schwärmerei mit unwahren Fakten aus der Gegenwart oder Vergangenheit zu unterlegen, bleibt straffrei. Der Verbrechenstatbestand des Betrugs im Sinn von Artikel 146 StGB greift nur bei arglistiger Irreführung über Tatsachen.
Die Präzisierung des Kriteriums der Arglist ist Gegenstand einer umfangreichen und nicht durchwegs widerspruchsfreien Rechtsprechung. Die Durchschaubarkeit oder Überprüfbarkeit der Lüge in der konkreten Situation ist der wichtigste Massstab für die Arglist.25 Eine inhaltlich falsche Rechnungslegung gilt in aller Regel als geeignetes Tatmittel für eine arglistige Irreführung. Zudem greift kumulativ die als Falschbeurkundung bezeichnete Variante der Urkundenfälschung gemäss Artikel 251 StGB.26
Inhaltlich falsch sind die Weglassung von Verbindlichkeiten sowie die Hinzufügung, Aufwertung oder Nichtabwertung von Aktiven entgegen den tatsächlichen Verhältnissen und den Regeln des angewandten Rechnungslegungssystems.
Auch in sogenannten «Nullsummenspielen» kann eine betrugsrelevante Irreführung liegen, wenn beispielsweise durch eine unzulässige buchhalterische Verrechnung das Risiko vertuscht wird, das gewissen Aktiven inhärent ist. Häufig kommt es zudem zu Täuschungen über Sicherheiten. Kündigt beispielsweise die durch Globalzession der Debitorenforderungen gesicherte Bank den Kredit, kann das Gesellschaftsorgan versucht sein, der neuen Bank auf Verlangen die Debitoren erneut abzutreten, obwohl es darüber nicht mehr verfügen kann. Dieses Vorgehen ist arglistig, denn die neue Bank hat keine Möglichkeit zur Überprüfung. Eine Anfrage bei der alten Bank nützt nichts, da diese wegen des Bankgeheimnisses die Aussage verweigern muss.
Ein vollendeter Betrug liegt vor, wenn das täuschende Verhalten trotz genügender Sorgfalt des Opfers zu einem Irrtum führt, der dieses zu einer Selbstschädigung veranlasst, die als Vermögensverschiebung zur Bereicherung der Täterschaft führt. Fehlt ein Element dieser Erfolgskaskade – beispielsweise die Sorgfalt des Opfers –, ist es aber in der Absicht, diese Motivationskette auszulösen, zu einer arglistigen Irreführung gekommen, ist das Verhalten als Betrugsversuch strafbar.27
Wer im arglistig herbeigeführten Irrtum über das Risiko ein Darlehen auszahlt, erleidet unmittelbar dadurch einen Gefährdungsschaden, der nach ständiger Rechtsprechung für die Vollendung der Straftat genügt.28 Das entscheidende Kriterium dafür ist, dass bei Kenntnis der Wahrheit die Forderung auf Rückzahlung des Darlehens nach den Regeln der Rechnungslegung wertberichtigt werden müsste. Der strafrechtlich relevante Schaden tritt nicht erst ein, wenn die Rückzahlung bei Fälligkeit definitiv ausbleibt. Geht es nicht um ein Darlehen, sondern um eine Kapitalinvestition zum Erwerb einer Beteiligung, verhält es sich ähnlich: Entscheidend ist der Minderwert der Beteiligung im Zeitpunkt des Erwerbs, nicht deren weitere Entwicklung.
Im Gegensatz zum Strafrecht ist im Zivilrecht nur derjenige Schaden von Interesse, der zu Forderungen führt, die im Zeitpunkt der Regelung durch Urteil oder Vergleich fällig und offen sind. Das Paradoxon, dass hier das Zivilrecht die Latte höher zu setzen scheint als das Strafrecht, ist damit zu erklären, dass der strafrechtlich relevante Schaden die unmittelbare Folge des tatbestandsmässigen Verhaltens sein muss und deshalb als verdeckter Gefährdungsschaden entsteht, bevor er erkennbar wird.
5. Notverkauf des Unternehmens
In der Krise kann sich die Frage stellen, ob ein Notverkauf des gesamten Unternehmens geeignet ist, dessen wirtschaftliche Substanz und Arbeitsplätze zu erhalten.29 Solche Geschäfte erfolgen oft zu Tiefstpreisen und beruhen auf der Überlegung, dass die Käuferschaft bessere Möglichkeit zur Sanierung hat als das alte Aktionariat. Ist dieses nicht selbst in der Krise, darf aus strafrechtlicher Sicht für dieses Vorgehen Entwarnung gegeben werden, wenn alle Vertragsparteien einverstanden und adäquat informiert sind.
Ein zu tiefer Verkaufspreis schädigt nicht die Gläubiger, sondern nur das alte Aktionariat, das mangels persönlicher Finanzkrise ungestraft Verlustgeschäfte machen darf. Auch ein zu hoher Kaufpreis ist unbedenklich, da er nicht das der Gläubigerschaft zustehende Vollstreckungssubstrat belastet.
6. Verkauf einzelner Teile oder Aktiven
Bedeutend heikler ist es, das Unternehmen in der Krise nicht gesamthaft zu veräussern, sondern nur ausgewählte Aktiven oder Unternehmenszweige an eine Auffanggesellschaft oder an Dritte zu übertragen. Ein solcher Schritt kann auf der Überlegung beruhen, dass das fragliche Aktivum oder der noch intakte Teilbereich im Konkurs nichts einbringen würden. Das kann für Werte wie Immaterialgüter, Goodwill, angefangene Arbeiten sowie auch für bestimmte Arten von Produktionsmitteln oder Warenlagern durchaus zutreffen. Wird bei solchen Rettungsmassnahmen mit voller Transparenz «at arm’s length» gearbeitet, ist das Strafbarkeitsrisiko tief. Empfehlenswert ist es, dies durch ein Nachlassverfahren als Handlungsrahmen zu gewährleisten.
Der Veräusserungspreis ist durch einen Wettbewerb unabhängiger Interessenten oder eine Bewertung unabhängiger Fachleute festzulegen und dem krisengeplagten Unternehmen Zug um Zug als Liquidität zuzuführen. Ist jedoch die Preisbestimmung intransparent und eigenmächtig oder wird die Gegenleistung durch Verrechnung, Zahlungsaufschub oder Umleitung undurchsichtig, begründet dies einen dringenden Verdacht der ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinn von Artikel 158 Ziffer 1 StGB und im Fall der Konkurseröffnung zusätzlich der Insolvenzverbrechen gemäss Artikel 163 ff. StGB.
7. Goldene Regel des “Kapitänsprinzips”
Aus den vorstehenden Darlegungen lässt sich folgende Quintessenz zur Strafbarkeitsprophylaxe mit bildhaftem Bezug zur Seeschifffahrt ziehen:
Erstens sind die «Navigationsgeräte» gerade in der Krise intakt zu halten und besonders gewissenhaft zu konsultieren sowie die dadurch gebotenen Rettungsmassnahmen rechtzeitig und entschlossen einzuleiten.
Zweitens ist die Unternehmensleitung, die die Krise pflichtgemäss erkennt, gehalten, zu retten, was zu retten ist. Ist das Unternehmen als Ganzes dem Untergang geweiht, besteht der heikle Entscheid darin, die zu rettenden Interessen in der richtigen Reihenfolge in die Rettungsboote zu packen. Dabei lautet die goldene Regel: Der Kapitän verlässt als Letzter das sinkende Schiff.30
Läuft die anvisierte Rettungsmassnahme auf einen vorzeitigen Exit in Bezug auf Vermögensinteressen von Organen oder Nahestehenden hinaus, ist sie zu unterlassen. Die Unternehmensleitung, die ihre persönlichen finanziellen Interessen an den Schluss stellt, entgeht strafrechtlich zumindest dem «grand mal». An erste Stelle sind stets die Interessen der Gläubigerschaft zu stellen, wogegen der Anspruch, möglichst viel Unternehmenssubstanz zu retten, auf Platz zwei zu verweisen ist.
Fussnoten siehe PDF.