Hinter der Einführung des abgekürzten Verfahrens stehen prozessökonomische Überlegungen: Die Parteien sollen sich im Schuld- und Strafpunkt einigen, damit ein aufwendiges Beweisverfahren entfällt. Das abgekürzte Verfahren beruht also auf einer Vereinbarung – man kann auch sagen, einem Deal – zwischen der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft.
Der Handel besteht vereinfacht gesagt darin, dass die Strafbehörden aus Zeit- oder Beweismangel einem Beschuldigten gegen ein Geständnis eine milde Strafe in Aussicht stellen. Die Staatsanwaltschaft kann auf eine umfassende Untersuchung verzichten und muss nicht vor Gericht plädieren.
Für Beschuldigte ist das Verfahren rascher, günstiger und vorhersehbarer. Die Schadenersatzansprüche der Privatkläger können bereits im Strafverfahren befriedigt werden. Und die Gerichte haben weniger Aufwand für die Beweiserhebung und die Urteilsbegründung.
Im Widerspruch zu diversen Grundsätzen
Doch jede Medaille hat eine Kehrseite. Das abgekürzte Verfahren leidet nämlich an einem grossen Problem: Die darin getroffene Absprache steht im Widerspruch zu zahlreichen, ja beinahe sämtlichen strafprozessualen Grundsätzen. Zunächst zur Unschuldsvermutung, die im abgekürzten Verfahren zwingend auf der Strecke bleibt. Auch mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit lässt sich das abgekürzte Verfahren nicht vereinbaren, verfügt die Staatsanwaltschaft doch über Ermessen, ob sie das abgekürzte Verfahren durchführen will (siehe Kasten). Weiter kann es sowohl beim Untersuchungsgrundsatz als auch beim Legalitätsprinzip zu Abstrichen kommen.
Schliesslich ist der Grundsatz der Öffentlichkeit tangiert, werden doch nur die Voraussetzungen des abgekürzten Verfahrens und nicht jene des abgeurteilten Delikts gerichtlich erörtert. Marc Thommen, Professor für Strafrecht an der Universität Zürich, sieht die Gefahr, dass abgekürzte Verfahren die Gefahr falscher Geständnisse bergen – und damit von Fehlurteilen.
Starker Anstieg in vielen Kantonen
Trotz all dieser Mängel kommt das abgekürzte Verfahren in der Praxis immer häufiger zur Anwendung. Beispiel Kanton Bern: Von den im Jahr 2011 erledigten Strafverfahren waren erst 1,51 Prozent abgekürzte Verfahren, 2013 aber bereits 8,45 Prozent.
Für die Kantone St. Gallen und Zürich liegen nur Zahlen für die eingegangenen Strafverfahren vor. Sie zeigen dasselbe Bild. Beispiel Kanton St. Gallen: 2011 gingen bei den Kreisgerichten 43 von 584 Strafverfahren im abgekürzten Verfahren ein – knapp 7,5 Prozent. 2012 stieg die Quote auf gut 10 Prozent, 2013 waren es bereits gut 14 Prozent.
Im Kanton Zürich gingen 2011 insgesamt 1470 Anklagen bei den Bezirksgerichten ein, 170 davon mit Antrag auf ein abgekürztes Verfahren. Dies entspricht gut 11 Prozent der Anklageerhebungen. Im Jahr 2013 waren es bereits 12,5 Prozent der Anklagen.