Blog-Autor trotz Ehrverletzung nicht haftbar
In einem Urteil vom 9. März 2017 äusserte sich der EGMR zur Frage, inwiefern Internetplattformen und Webseitenbetreiber für Verfehlungen von Internetusern auf diesen Webseiten haftbar gemacht werden können. Sachverhalt: Auf einem von einer schwedischen NGO geführten Blog wurde dem Kläger vorgeworfen, in einer Nazipartei mitzuwirken. Nach einer Intervention des Betroffenen entfernte die NGO den Blog und räumte in einem weiteren Beitrag ein, dass die Anschuldigungen auf falschen Informationen beruht hätten, und entschuldigte sich. Der Kläger ging dennoch gegen die NGO vor und verlangte eine symbolische Entschädigung. Die schwedischen Gerichte erkannten zwar eine Persönlichkeitsverletzung, nicht jedoch eine Verantwortung der Betreiberin. So sei auf dem Blog darauf hingewiesen worden, dass Kommentare vor der Veröffentlichung nicht geprüft würden und die Urheber für ihre Kommentare, die den gesetzlichen Rahmen respektieren müssten, selbst verantwortlich seien.
Der EGMR hatte das Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens gegen die Meinungsäusserungsfreiheit abzuwägen (Art. 10 EMRK). Er führte in seinem Urteil aus, dass Blogbetreiber bei Persönlichkeitsverletzungen wie im vorliegenden Fall keine Haftung für ehrverletzende Kommentare übernehmen müssten, solange diese entfernt würden. Zudem ging es im konkreten Fall um eine Webseite mit beschränkter Reichweite. Auch hatte sich der Betreiber für die Falschinformation entschuldigt und den ehrverletzenden Beitrag entfernt. Gewicht massen die Richter weiter der juristischen Qualifikation des Beitrags bei. So seien bei Hassrede und Aufruf zu Gewalt strengere Anforderungen an die Blogbetreiber zu stellen. Da es im vorliegenden Fall bloss um eine Persönlichkeitsverletzung ging, welche darüber hinaus vom Blogbetreiber innert kurzer Frist entfernt worden war, wies der EGMR die Klage als unbegründet ab.
Urteil der 3. EGMR-Kammer N° 74742/14 «Rolf Anders Daniel Pihl c. Schweden» vom 9.3.2017
Zwangssterilisation verletzt Recht auf Privatleben
Der EGMR hat mit Urteil vom 6. April 2017 festgehalten, dass die Weigerung französischer Behörden, eine Änderung des amtlichen Geschlechts dreier Mann-zu-Frau-Transsexuellen auf der Geburtsurkunde vorzunehmen, nicht mit Art. 8 EMRK und dem Recht auf Achtung des Privatlebens vereinbar ist. Die Behörden hatten den Antrag mit dem Hinweis abgelehnt, dass die Kläger keine irreversible physische Geschlechtsänderung nachweisen könnten. Für das Gericht ist das Erfordernis der irreversiblen Geschlechtsänderung nicht zulässig, da dies Transmenschen zu Eingriffen in ihre körperliche Integrität wie bspw. einer Sterilisation zwingen könnte. Eine solche Verletzung der körperlichen Integrität könne nicht verlangt werden. Keinen Anstoss nahm das Gericht an der Bedingung, das Trans-Sein mit einem psychiatrischen Gutachtens feststellen zu lassen, um Änderungen in der Geburtsurkunde zu erwirken. Für die Schweiz, die für die amtliche Anerkennung des Geschlechts einen irreversiblen Geschlechterwechsel voraussetzt, wird das Urteil Auswirkungen haben.
Urteil der 5. EGMR-Kammer N° 79885/12, 52471/13 und 52596/13 «A.P., Garçon und Nicot c. Frankreich» vom 6.4.2017
Urteil zum Verbot der Zwangsarbeit
Der EGMR hat am 30. April eines seiner seltenen Urteile zur Anwendung von Art. 4 EMRK (Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit) publiziert. Die klagende Partei bestand aus 42 Schwarzarbeitern aus Bangladesch, die in Griechenland auf einer Erdbeerfarm zu schlechten Konditionen und unter Aufsicht von bewaffneten Wachmännern arbeiteten. Den Arbeitern wurde der versprochene Lohn nicht ausgezahlt. Dennoch arbeiteten sie weiter, weil sie befürchteten, sonst nie bezahlt zu werden. Als neue Ausländer für die Arbeit rekrutiert wurden, verlangten die Kläger erneut den Lohn, worauf ein Wachmann das Feuer eröffnete und mehrere Kläger schwer verletzte.
Im folgenden Gerichtsverfahren wurde der Arbeitgeber wegen schwerer Körperverletzung sowie weiterer Delikte im Zusammenhang mit dem Eröffnen des Feuers verurteilt, nicht jedoch wegen Menschenhandels. Die Arbeiter argumentierten gestützt auf Art. 4 EMRK, zur Arbeit gezwungen worden zu sein und dass Griechenland es unterlassen habe, die positiven Verpflichtungen aus Art. 4 EMRK, eine Untersuchung zu führen, zu erfüllen. Der EGMR kam zum Schluss, dass Art. 4 EMRK einschlägig sei, dass die Kläger mithin als Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit, nicht jedoch als Leibeigene zu qualifizieren seien. Dies sei erst dann gegeben, wenn das Opfer von der Aussenwelt ausgeschlossen ist und keine Bewegungsfreiheit geniesse. Diese Schwelle zur Leibeigenschaft sei im vorliegenden Urteil nicht erreicht worden. Die Richter monierten weiter, dass die griechischen Behörden trotz Wissen um die Situation der Angestellten keine adäquate Untersuchung angeordnet hatten. Griechenland wurde aus diesen Gründen vom Gericht dazu verurteilt, die Kläger zu entschädigen.
Urteil der 1. EGMR-Kammer N°21884/15 «Chowdury und weitere c. Griechenland» vom 30.3.2017