Keine Diskriminierung von Auslandschweizern durch IV
Die Schweiz hat durch die Entscheidung, IV-Zahlungen an die Klägerinnen aufgrund ihres Wohnsitzes im Ausland einzustellen, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK sowie das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 14 EMRK nicht verletzt. Dies hält der EGMR fest. Die Klägerinnen – eine seit der Geburt aufgrund einer Behinderung urteilsunfähige Frau sowie ihre Mutter – wohnen seit 1982 in Brasilien. Die Tochter bezog dabei IV-Leistungen und reiste mehrmals im Jahr zu ihrem Vater in die Schweiz. Im Jahr 2010 wurden die ausserordentlichen IV-Renten gemäss Art. 39 IVG in Verbindung mit Art. 42 AHVG eingestellt, weil die IV-Bezügerin keinen Wohnsitz in der Schweiz hatte. Die Tochter respektive ihre Mutter machten geltend, die Einstellung dieser IV-Zahlungen verletze ihr Recht auf Achtung des Familienlebens. Weiter sei das Erfordernis des Schweizer Wohnsitzes bei ausserordentlichen Renten diskriminierend, denn ordentliche Renten könnten unabhängig vom Wohnsitz geleistet werden. Gemäss dem Gericht beruht die Diskriminierung auf einem objektiven Grund. So seien unterschiedliche Voraussetzungen für die Gewährung von Renten nötig, um die Solidarität und die Unterstützung der sozialstaatlichen Werke zu bewahren. Weiter basiere die Beeinträchtigung des Familienlebens auf dem freien Entscheid der Mutter, in Kenntnis der Rechtsgrundlagen nach Brasilien zu ziehen.
Urteil der 3. Kammer des EGMR N° 65550/13 «Belli und Arquier-Martinez c. Schweiz» vom 11.12.2018
Ungarisches Recht verletzt Meinungsäusserungsfreiheit
Der EGMR hält fest, dass Ungarn das Recht auf freie Meinungsäusserung gemäss Art. 10 EMRK verletzt hat. Dies, indem das Setzen eines Hyperlinks dem Verbreiten von verunglimpfenden Aussagen in haftungsrechtlicher Hinsicht gleichgestellt werde. Nach ungarischem Recht ist für das Verbreiten von verunglimpfenden Aussagen eine verschuldensunabhängige Haftung vorgesehen, was in diesem Fall die nötige Abwägung mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung der Klägerin verhindert habe.
Im Ausgangsfall hatte ein Unternehmen, welches einen Blog betreibt, einen Artikel publiziert. Darin wurde mittels eines Hyperlinks auf ein Video verwiesen, dessen Inhalt später gerichtlich als Verunglimpfung qualifiziert wurde. Die Blogbetreiberin wurde daraufhin verklagt und dazu verurteilt, das Urteil zu publizieren und den Hyperlink zu entfernen. Sie erhob dagegen Klage und machte vor dem EGMR geltend, die Meinungsäusserungsfreiheit sei verletzt worden.
Das Gericht führte zunächst aus, dass Hyperlinks für das Funktionieren des Internets unerlässlich seien. Im Bereich der Medien seien Hyperlinks eine Besonderheit, indem sie selbst keinerlei inhaltliche Informationen darstellten und auf Inhalte verwiesen, die sich der Kontrolle desjenigen, der den Hyperlink setzt, entzögen. Dadurch könne das Setzen eines Hyperlinks auch nicht mit dem Verbreiten verunglimpfender Information gleichgesetzt werden. Vielmehr sei eine fallspezifische Betrachtung im Kontext von Art. 10 EMRK angezeigt. In casu hatte der Blog bloss auf die Existenz des Videos aufmerksam gemacht, auf das via Hyperlink verwiesen wurde. Weiter stand zum Zeitpunkt des Setzens des Hyperlinks noch nicht fest, dass das Video verunglimpfende Aussagen enthalte. Gemäss dem EGMR verunmögliche das ungarische Haftungsrecht in diesem Bereich eine Abwägung mit der Meinungsäusserungsfreiheit. Das Gericht befand, dass eine unverhältnismässige Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit vorliege und Art. 10 EMRK verletzt worden sei.
Urteil der 4. Kammer des EGMR N° 11257/16 «Magyar Jeti Zrt. c. Ungarn» vom 4.12.2018
Ausschaffung in Türkei war rechtens
Der EGMR entschied, dass die Ausschaffung eines in Deutschland geborenen Türken in die Türkei nicht mit Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) in Konflikt gerät. Der Türke, der eine permanente Aufenthaltsbewilligung in Deutschland und mit einer deutschen Frau eine Tochter hatte, sollte aufgrund schwerer Drogendelikte ausgeschafft werden, wogegen er mit Verweis auf Art. 8 EMRK ein Rechtsmittel einlegte. Das zuständige Verwaltungsgericht urteilte, dass der Kläger ein Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellte. Er besuche die angeordnete Therapie nicht vollständig, der Kontakt mit seiner Tochter sei unregelmässig.
Der EGMR stützte die Ansicht des Verwaltungsgerichts und führte weiter aus, dass der Kläger nur schwach in die Gesellschaft integriert sei. Angesichts der strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers, der unzureichenden familiären Verankerung in Deutschland und des Rechts von Staaten, den Aufenthalt von Ausländern auf seinem Territorium zu kontrollieren, kam der EGMR zum Schluss, die Ausschaffung sei mit der EMRK vereinbar.
Urteil der 5. Kammer des EGMR N° 18706/16 «Cabucak c. Deutschland» vom 20.12.2018