Spaniens Praxis zur Rückschiebung von Flüchtlingen verurteilt
Spaniens Push-back-Praxis und deren Vereinbarkeit mit Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) und Art. 4 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK (Verbot der Kollektivausweisung) stand im Zentrum des Streitfalls. Es geht um die Rückschiebung von aufgegriffenen Ausländern durch spanische Sicherheitskräfte auf marokkanisches Staatsgebiet entlang dem gemeinsamen Grenzgebiet. Die beiden Kläger aus Mali und der Elfenbeinküste versuchten im August 2014 über den Zaun der spanisch-marokkanischen Grenze bei Melilla zu klettern und wurden dabei von spanischen Sicherheitskräften aufgegriffen, welche die Kläger der marokkanischen Polizei übergaben. Gemäss den Klägern ereilte weitere 70 bis 80 Migranten dasselbe Schicksal.
Grundlage der Praxis ist das spanische Immigrationsgesetz, welches Grenzbeamten in Ceuta und Melilla das Recht gibt, aufgegriffene Ausländer zurückzuschieben – ausserhalb eines gesetzlich festgehaltenen Verfahrens und gerichtlicher Kontrolle.
Die Strassburger Richter bestätigten den Status der Kläger als Geschädigte nach Art. 34 EMRK. Sie entschieden, dass das Verbot der Kollektivausweisung auch auf die Rückführung zur See oder zu Land anwendbar ist. Nur durch eine solche Anwendung sei die Sicherstellung eines effektiven Schutzes der Menschenrechte möglich. Die Rückführung sei als Kollektivausweisung im Sinne von Art. 4 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK zu werten. Auch bezüglich einer Verletzung von Art. 14 EMRK liess der EGMR keine Zweifel offen. Das gänzliche Fehlen von minimaler Information bezüglich des Stellens eines Asylgesuchs lasse die Kläger ohne Möglichkeit auf wirksame Beschwerde.
Urteil der 3. Kammer des EGMR N° 8675/15 und 8697/15 «ND und NT c. Spanien» vom 3.10.2017
Schweiz verletzte Meinungsäusserungsfreiheit einer Stiftung
Der EGMR hat die Schweiz dazu verurteilt, die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) mit 5000 Euro zu entschädigen, weil sie die Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10 EMRK) der Stiftung zu Unrecht einschränkte. Die Stiftung hatte Aussagen eines SVP-Politikers auf ihrer Homepage unter der Rubrik «verbaler Rassismus» veröffentlicht. Der Politiker hatte bei einer Kundgebung für die Minarettinitiative im Jahr 2009 gesagt, «es sei an der Zeit, der Ausbreitung des Islams Einhalt zu gebieten». Ferner fügte er an, die Schweizer Leitkultur, welcher das Christentum zugrunde liege, dürfe sich nicht von anderen Kulturen verdrängen lassen. Ein symbolisches Zeichen wie das Minarettverbot sei daher ein Ausdruck für den Erhalt der eigenen Identität.
Die Stiftung übernahm diese später auf der Homepage der Jungen SVP Thurgau publizierten Aussagen. Diese forderte die Stiftung vergeblich dazu auf, den Text vom Internet zu nehmen. Die Politiker erhoben Klage wegen Verletzung der Persönlichkeit. Das Bundesgericht gab ihnen recht. Dagegen beschwerte sich die Stiftung wegen Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit beim EGMR. Dieser entschied zugunsten der Stiftung. Sowohl die Aussagen des SVP-Jungpolitikers als auch das Aufführen der Aussage auf der Website der Stiftung seien Teil einer politischen Debatte gewesen. Das Werturteil der Stiftung, wonach die Äusserungen des SVP-Jungpolitikers «verbaler Rassismus» seien, weise eine sachliche Grundlage auf. So suggeriere die Aussage, die Schweizer Leitkultur sei gegen die Expansion des Islams zu schützen, ein Negativbild des Islams, wogegen es die schweizerische Kultur zu verteidigen und zu schützen gelte. Weiter könne der Begriff des Rassismus im Rahmen einer öffentlichen Debatte nicht auf den strafrechtlichen Rassismus-Begriff verengt werden, welcher hier nicht vorliege. Ferner habe die Stiftung nie behauptet, die Aussagen des SVP-Jungpolitikers seien strafbar.
Urteil der 3. Kammer des EGMR N° 18597/13 «GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus c. Schweiz» vom 9.1.2018
Wegweisung eines christlichen Iraners in seine Heimat zulässig
Die Wegweisung eines in der Schweiz zum Christentum konvertierten Iraners verletzt weder Art. 2 (Recht auf Leben) noch 3 (Folterverbot) EMRK und war EMRK-konform. Der EGMR hob hervor, dass die Schweizer Behörden den Beschwerdeführer persönlich angehört hatten, dessen Gesuch von zwei unterschiedlichen Instanzen beurteilt worden war, und es keine Anzeichen eines fehlerhaften Verfahrens gegeben habe. Die Glaubensausübung des Beschwerdeführers sei mithin nicht als öffentlich zu qualifizieren, eine Rückkehr in den Iran daher keine Gefahr für ihn.
Der Beschwerdeführer reiste 2009 in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch. Er machte geltend, er sei bei einer politischen Demonstration festgenommen, inhaftiert und gefoltert worden. Vor dem Prozess habe er fliehen können. Nachdem sein Asylgesuch 2013 abgelehnt worden war, ersuchte er im November 2013 erneut um Asyl, unter anderem mit der Begründung, er sei nun zum Christentum konvertiert, bei einer Rückkehr in den Iran bestehe die Gefahr der Verfolgung und der Todesstrafe.
Urteil der 3. Kammer des EGMR N° 60342/16 «A c. Schweiz» vom 19.12.2017