Kritik an Behörden muss zulässig bleiben
Der Beschwerdeführer ist Journalist und Herausgeber eines Newsletters zu den kriegerischen Ereignissen in Tschetschenien. Er wurde von einem russischen Gericht aufgrund einiger Beiträge während des Tschetschenienkriegs wegen Verherrlichung des Terrorismus und Aufruf zu Hass zu einer fünfjährigen Haftstrafe und einem Verbot journalistischer Tätigkeit für drei Jahre verurteilt. Vor dem EGMR machte der Verurteilte geltend, dass sein Recht auf freie Meinungsäusserung (Art. 10 EMRK), seine Versammlungsfreiheit (Art. 11 EMRK) sowie sein Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) verletzt worden seien.
Der Gerichtshof erklärte die Beschwerde bezüglich Art. 11 und Art. 6 EMRK als teilweise unzulässig. Er liess die Beschwerde jedoch unter dem Aspekt einer möglichen Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10) zu. Der Gerichtshof katalogisierte die Newsletter des Klägers in drei Gruppen. In der ersten Gruppe wurden Beiträge erfasst, welche nach Auffassung des Gerichtshofs klar als Aufruf zu Hass und als Unterstützung von Terrorismus zu verstehen sind.
Weitere Beiträge richteten sich gegen die orthodoxe Kirche und gegen ethnische Russen. Da entschied der Gerichtshof, die russischen Gerichte hätten in diesen Fällen eine angemessene Strafe verhängt, weil die Berichte als Aufruf zu Hass zu werten seien.
In einer dritten Gruppe wurden Beiträge erfasst, welche die Handlungen der russischen Behörden offen kritisieren. In einem Beitrag kritisiert der Beschwerdeführer die Freilassung eines russischen Armeeangehörigen, nachdem dieser eine Tschetschenin erwürgt hatte. Da entschied der Gerichtshof, dass solche Kritik durch Art. 10 EMRK geschützt sei und nicht eingeschränkt werden könne.
In seinem Urteil hielt der Gerichtshof abschliessend fest, dass Staaten in ihrer Gesetzgebung den Begriff von «Hate-Speech» klar eingrenzen sollen, damit erlaubte Kritik an die Behörden eines Staates davon nicht erfasst werde.
Urteil der 3. EGMR-Kammer N° 52273/07 «Stomakhin c. Russland» vom 9.5.2018
Die CIA-Gefängnisse verletzten EMRK
Ein saudischer Staatsbürger wurde 2002 in Dubai von CIA-Beamten festgenommen. Anschliessend transportierte die CIA den Verhafteten in geheime Gefängnisse nach Afghanistan und Thailand, wo er gefoltert wurde. Am 5. Dezember 2002 wurde der Beschwerdeführer in ein geheimes Gefängnis nach Polen gebracht, wo ihn die US-Beamten weiter folterten. Um den 6. Juni 2003 unterstützten rumänische Behörden die CIA bei einer Überführung des Opfers in ein geheimes Gefängnis in einem rumänischen Regierungsgebäude in Bukarest. Dort wurde der Festgenommene nochmals gefoltert und dann zwangsernährt. Später brachte die CIA den Mann ins Militärgefängnis Guantánamo auf Kuba.
Der Gerichtshof hatte auf Antrag des Verschleppten eine Reihe möglicher Verletzungen der EMRK durch Rumänien zu überprüfen. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass das Folterverbot von Art. 3 EMRK, das Recht auf Freiheit und Privatleben von Art. 5 und 8 EMRK und das Recht auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 und 13 EMRK verletzt wurden. Auch habe Rumänien Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK missachtet. Es verbietet die Todesstrafe und die Überführung in ein Land, in welchem einem Angeklagten die Todesstrafe droht.
Der Gerichtshof konnte den Beschwerdeführer nicht vorladen, er musste seine Urteilsfindung auf Zeugen- und Expertenaussagen sowie auf einen Bericht des US-Senats zur Folter durch die CIA stützen. Einen wichtigen Beitrag spielten hier auch Berichte und Aussagen des ehemaligen Tessiner Staatsanwalts Dick Marty, welcher den Fall im Auftrag der parlamentarischen Versammlung des Europarats untersuchte. Damit entgegnete der Gerichtshof auch dem Einwand Rumäniens, den Aussagen des Beschwerdeführers könne man keinen Glauben schenken.
In seinem Urteil hielt der Gerichtshof fest, dass Rumänien für sämtliche Verletzungen der Rechte des Beschwerdeführers verantwortlich ist. Insbesondere dafür, dass das Land keine Untersuchungen angestrengt hatte, weil die Behörden in Rumänien mit den US-Behörden kooperierten und über die Vorgänge in Geheimgefängnissen im Bild waren. Der Gerichtshof ruft Rumänien an, die Sache glaubwürdig zu untersuchen und die Verantwortlichen in Rumänien zur Rechenschaft zu ziehen. Zudem hält der EGMR Rumänien an, von den USA Garantien einzuholen, dass der Beschwerdeführer nicht zum Tod verurteilt wird.
Dieses Urteil reiht sich in eine Serie von Urteilen gegen Staaten in Europa, welche mit der CIA bei der Betreibung von illegalen Geheimgefängnissen kooperierten. Gleichentags wurde ein ähnliches Urteil in einem ähnlich gelagerten Sachverhalt gegen Litauen gefällt (Urteil der 1. Kammer des EGMR N° 46454/11 «Abu Zubaydah c. Litauen» vom 31.5.2018).
Urteil der 1. EGMR-Kammer N° 33234/12 «Al Nashiri c. Rumänien» vom 31.5.2018