Sexualkundeunterricht ist nicht diskriminierend
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) musste in seinem Urteil abwägen, ob die Pflicht, den Sexualkundeunterricht zu besuchen, das Recht auf Privat- und Familienleben von Artikel 8 EMRK verletzen könnte. Der EGMR verneinte diese Frage und stützte die Urteile der schweizerischen Vorinstanzen.
Zwei Basler Elternpaare hatten ein Gesuch gestellt, ihre Kinder vom Sexualkundeunterricht in der Primarschule zu dispensieren. Die Schulleitungen lehnten dies ab. Die Eltern gelangten mit Beschwerden an den Regierungsrat, das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt und das Bundesgericht – stets erfolglos. Das Bundesgericht hielt in seinem Entscheid vom 15. November 2014 fest, dass die Verpflichtung, im Rahmen der obligatorischen Schule an einem Unterricht teilzunehmen, der mit den eigenen Wertvorstellungen in Widerspruch steht, einen Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit darstellen könne. Dieser Eingriff sei vorliegend allerdings gerechtfertigt. Die Mutter aus einer der beiden betroffenen Familien zog den Fall schliesslich gemeinsam mit ihrer Tochter an den EGMR weiter.
Der EGMR entschied, die Beschwerde sei unzulässig. Die gerügten Verletzungen von Artikel 8 EMRK (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Artikel 9 EMRK (Gedankens-, Gewissens- und Religionsfreiheit) seien offensichtlich unbegründet. Die gerügte Verletzung von Artikel 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) wurde vom EGMR nicht untersucht, da eine Verletzung des Diskriminierungsverbots vor dem Bundesgericht nicht geltend gemacht worden war. Damit sei der innerstaatliche Rechtsweg nicht ausgeschöpft worden.
Der EGMR führte in seinem Entscheid aus, sexuelle Gewalt und Ausbeutung seien eine reale Bedrohung für die geistige und körperliche Gesundheit von Kindern, vor der sie in jedem Alter geschützt werden müssten. Kinder würden nicht isoliert von der restlichen Gesellschaft leben. Sie seien einer Vielzahl äusserer Einflüsse und Informationen ausgesetzt, welche eine Konfrontation mit dem Thema legitimieren. Somit würden im vorliegenden Fall mehrere legitime öffentliche Interessen verfolgt.
Im Zusammenhang mit der gerügten Verletzung von Artikel 9 EMRK hält Strassburg fest, dass die Grundwerte der Erziehung grundsätzlich durch die Gedanken- und Gewissensfreiheit geschützt sind. In Bezug auf die Gewissensfreiheit sei allerdings erforderlich, dass der geltend gemachten Überzeugung ein notwendiges Mass an Stichhaltigkeit, Ernsthaftigkeit und Konsistenz zugrunde liege. Die Beschwerdeführerin habe es im vorliegenden Fall unterlassen, die gerügte Verletzung von Artikel 9 EMRK genügend zu substanziieren. Sie habe lediglich in abstrakter Weise auf Grundwerte, Ethik und Moral verwiesen, ohne näher darauf einzugehen, inwiefern diese Werte durch die Teilnahme am Sexualkundeunterricht beeinflusst werden.
Urteil der 3. Kammer des EGMR N° 22338/15 «A.R. und L.R. c. Schweiz» vom 19.12.2017, veröffentlicht am 18.1.2018
Profisportler müssen Dopingkontrollen zulassen
Der EGMR musste sich mit der Frage beschäftigen, ob Aufenthaltsvorschriften gegenüber professionellen Sportlern gerechtfertigt sind oder einer Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben aus Artikel 8 EMRK gleichkommen, wenn sich diese Sportler Dopingtests unterziehen müssen.
Mehrere Sportler und französische Sportverbände beschwerten sich gegen das «Whereabouts-System», das Dopingkontrollsystem der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Die WADA bestimmte im Anti-Doping-Kodex, dass Profisportler im Voraus angeben sollen, wo sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhalten werden, um unangekündigte Dopingkontrollen zu ermöglichen. Zudem müssen sie für jeden Tag ein 60-minütiges Zeitfenster angeben, in dem sie für eine unangekündigte Kontrolle zur Verfügung stehen. Die Bestimmungen sind für alle Profisportler in Frankreich verbindlich.
Der EGMR wertete die Massnahmen als Einschränkungen des in Artikel 8 EMRK geschützten Privatlebens, die aber gerechtfertigt seien. Hauptargument ist das Wohl der Sportler. Die Kontrollinstrumente sehen laut EGMR explizit deren Gesundheit als Grund für die Einschränkungen vor, da diese durch ständiges Doping beeinträchtigt werden könne. Auch die Gesundheit von Amateursportlern und speziell Kindern könne durch die Verbreitung von Doping gefährdet werden. Unangekündigte Kontrollen seien im Kampf gegen Doping ein international als notwendig anerkanntes Mittel. Im Übrigen ist das Recht der Sportler auf individuelle Freiheit aus Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 EMRK durch die 60-minütigen Zeitfenster, in denen sie sich für Kontrollen bereithalten müssen, laut Gerichtshof nicht beeinträchtigt.
Der EGMR wies die Beschwerde vollumfänglich ab.
Urteil der 5. Kammer des EGMR N° 48151/11 und 77769/13 «Fédération nationale des associations et des syndicats sportifs (FNASS) u.a. c. Frankreich» vom 18.1.2018jr