Deutsche Steuerbehörden dürfen Beweismittel aus illegalen Quellen verwenden
Ein auf gestohlenen Daten basierender Hausdurchsuchungsbefehl zum Zwecke der Sicherstellung von Beweismitteln hat die Praxis deutscher Steuerbehörden ins Scheinwerferlicht gerückt, entwendete Datenträger zur Verfolgung von Steuersündern zu nutzen. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob damit Grundrechte verletzt werden.
Ein deutsches Ehepaar sah sich durch die Hausdurchsuchung in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) verletzt und monierte, der Durchsuchungsbefehl beruhe auf unzulässig erlangten Informationen. In der Tat hatte die Auswertung einer Daten-CD aus Liechtenstein den entsprechenden Verdacht aufgeworfen. Die CD war von einem Bankmitarbeiter an den deutschen Nachrichtendienst verkauft worden.
Das Bundesverfassungsgericht befand, dass die Informationen zwar aus illegaler Quelle stammten, die Hausdurchsuchung aber dennoch rechtens gewesen sei. Dieser Ansicht folgte der EGMR. Die Strassburger Richter argumentierten mit Verweis auf die Schwere des in Frage stehenden Delikts der Steuerhinterziehung, dass das deutsche Gesetz die Benutzung von Beweismitteln aus illegalen Quellen in Strafverfahren nicht grundsätzlich verbiete. Das Gericht stellte keine Verletzung von Art. 8 EMRK fest und wies die Beschwerde ab.
Urteil der 5. EGMR-Kammer N° 33696/11 «K.S. und M.S. c. Deutschland» vom 6.10.2016
Führerscheinentzug und Busse sind keine Doppelbestrafung
Im Urteil vom 4. Oktober bestätigten die Strassburger Richter die EMRK-Konformität des doppelten strafrechtlichen und administrativen Verfahrens bei Strassenverkehrsgesetzwiderhandlungen. Ein Kanadier mit Wohnsitz in der Schweiz wurde infolge Verletzung des Strassenverkehrsgesetzes im doppelten strafrechtlichen sowie administrativen Verfahren verurteilt. So wurde ihm im strafrechtlichen Verfahren mit Entscheid des Polizeiamts des Kantons Genf vom 6. Juli 2010 eine Busse von 600 Franken auferlegt, welche er bezahlte. Im Administrativverfahren wurde ihm vom Strassenverkehrsamt des Kantons Waadt per Entscheid vom 2. September 2010 der Führerausweis wegen einer mittleren Geschwindigkeitsübertretung für einen Monat entzogen.
Gegen den Entzug legte der Betroffene Beschwerde beim Kantonsgericht Waadt ein, da er darin eine Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem erkannte. Dieses in Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls der EMRK enthaltene Prinzip besagt, dass Behörden eines Staates eine Rechtsverletzung nicht verfolgen oder strafrechtlich bestrafen dürfen, wenn jemand dafür bereits einmal gebüsst hat oder verurteilt wurde. Sowohl das Kantonsgericht als auch das Bundesgericht lehnten diesen Einwand ab, weshalb der Verkehrssünder an den EGMR gelangte.
Der Gerichtshof bestätigte in seinem Urteil, dass der vom Kläger angerufene (und von der Gegenpartei auch nicht bestrittene) Grundsatz ne bis in idem grundsätzlich anwendbar sei, da die den Verfahren zugrunde liegenden Fakten identisch seien. Die Richter kamen jedoch zum Schluss, dass im konkreten Fall keine doppelte Bestrafung vorliege, da zwischen den beiden Verfahren ein genügend enger inhaltlicher und zeitlicher Zusammenhang liege. So stelle der Entzug des Führerausweises die Folge der strafrechtlichen Verurteilung dar.
Urteil der 3. EGMR-Kammer N° 21563/12 «Rivard c. Schweiz» vom 4.10.2016
Observation von Versicherten verletzt Recht auf Privatleben
Am 18. Oktober hielt der EGMR in einem Urteil fest, dass die Schweiz das in Art. 8 EMRK verbriefte Recht auf Achtung des Privatlebens im Zusammenhang mit Observationen von Versicherten durch Private nicht ausreichend geschützt hat. Eine private UVG-Versicherung hatte die Überwachung einer Versicherten mit Foto und Video angeordnet, weil sie Zweifel an ihrer Arbeitsunfähigkeit hatte. Die Versicherte war am 28. August 1995 auf einem Fussgängerstreifen von einem Motorrad erfasst worden und dabei mit dem Hinterkopf auf die Strasse geprallt. In der Folge wurde die Verunfallte als 100 Prozent arbeitsunfähig qualifiziert und bezog Taggelder.
Nach einem vergeblichen Versuch der Versicherung, die Leistungen zu kürzen, entschied sie, dass die Versicherte nur noch zu 10 Prozent arbeitsunfähig sei. Das untermauerte sie durch ein neurologisches Gutachten, welches auf einen Überwachungsbericht abstellte. Der Bericht erhob Zweifel an den von der Versicherten geltend gemachten gesundheitlichen Einbussen. Das zuletzt mit der Sache betraute Bundesgericht in Luzern stützte die Auffassung der Versicherung in weiten Teilen mit Verweis auf die von ihm aufgestellten einschlägigen Voraussetzungen für die Beschattung einer versicherten Person.
Die Versicherte focht das Urteil in der Folge an und monierte die Verletzung ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens. Auch sah sie sich in ihrem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) verletzt, da sich das Bundesgericht auf das von der Versicherung auf unzulässige Art und Weise erlangte Gutachten gestützt hatte.
Der EGMR ging in seiner Urteilsbegründung insbesondere auf das Verhältnis zwischen Eingriff in das Privatleben der Versicherten und das Erfordernis einer genügenden gesetzlichen Grundlage ein. Nach Auswertung der entsprechenden Grundlagen kamen die Richter zum Schluss, dass die gesetzliche Grundlage nicht hinreichend präzis sei. So sei weder eine maximale Dauer der Überwachung noch eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit vorgesehen, was der Versicherung einen zu grossen Spielraum einräume. Eine Verletzung von Art. 6 EMRK stellte das Strassburger Gericht hingegen nicht fest, da die Versicherte im innerstaatlichen Verfahren die Gelegenheit hatte, das umstrittene Gutachten in Frage zu ziehen.
Urteil der 3. EGMR- Kammer N° 61838/10 «Vukota-Bojic c. Schweiz» vom 18.10.2016.