Beschwerde gegen die Schweiz wegen unfairen Verfahrens abgewiesen
Der EGMR hat eine Beschwerde gegen die Schweiz abgewiesen, in der ein Kläger die Verletzung von Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) gerügt hatte. Der in erster Instanz wegen Mordes verurteilte Kläger hatte in zweiter Instanz moniert, dass seine Angehörigen, die als Zeugen einvernommen worden waren, nicht auf ihre Rechte gemäss Art. 36 der Wiener Konvention über konsularische Beziehungen aufmerksam gemacht worden waren. Diese Bestimmung ermöglicht ausländischen Staatsangehörigen konsularische Unterstützung bei Strafverfahren in der Schweiz. Dieser prozessuale Fehler sei schwer, die Zeugenaussagen der Angehörigen seien deshalb nicht verwertbar.
Der EGMR hielt fest, dass der Kläger diese Rüge nicht substanziiert vorgebracht und darüber hinaus nicht aufgezeigt habe, wie sich der prozessuale Fehler auf das Verfahren ausgewirkt habe. Zudem hätten sich die Urteile der Schweizer Gerichte auf viele weitere Beweise gestützt, sodass die gerügte Missachtung von Art. 36 der Wiener Konvention über konsularische Beziehungen nicht das gesamte Verfahren als unfair erscheinen lasse.
Urteil 63896/12 der 3. Kammer des EGMR Shala c. Schweiz vom 25.7.2019
Verweigerung einer Auslieferung verstösst gegen die Konvention
Der EGMR hat zum ersten Mal einen Staat verurteilt, weil dieser die Auslieferung einer tatverdächtigen Person verweigerte und damit Grundrechte verletzte. Üblicherweise betreffen Beschwerden im Zusammenhang mit Auslieferungen die umgekehrte Situation: Der EGMR muss beurteilen, ob die Auslieferung in ein Land, in dem der auszuliefernden Person droht, Opfer unmenschlicher Behandlung oder Folter zu werden, an und für sich EMRK-widrig ist. Der Ausgangsfall betraf die Klage von Nachkommen eines 1981 getöteten spanischen Militärleutnants gegen belgische Behörden. Letztere weigerten sich, die tatverdächtige Person, die sich nach einer Flucht nach Mexiko in Belgien niedergelassen hatte, auszuliefern. So lehnten die Behörden zwei von Spanien ausgestellte europäische Haftbefehle ab, da die auszuliefernde Tatverdächtige in Spanien dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sei. Dabei beriefen sich die Behörden auf Berichte des Europäischen Komitees für die Verhinderung von Folter und des Uno-Menschenrechtskomitees über die rechtswidrige Inhaftierung und Behandlung von Terrorverdächtigen.
Die Kläger gelangten darauf vor den EGMR und rügten die Verletzung von Art. 2 EMRK (Recht auf Leben). So verunmögliche die Weigerung der belgischen Behörden, dem europäischen Haftbefehl Folge zu leisten und die tatverdächtige Person auszuliefern, eine Untersuchung des Todes des Vaters der Kläger. Das Gericht stellte fest, dass Belgien gegen prozessuale Verpflichtungen des europäischen Haftbefehls verstosse, und sah darin eine Verletzung von Art. 2 EMRK in prozessualer Hinsicht. Den Einwand Belgiens, die Auslieferung sei mit Art. 3 EMRK (Folterverbot) nicht vereinbar, lehnte das Gericht ab. Die belgischen Behörden hätten die Ablehnung des europäischen Haftbefehls nicht ausreichend substanziiert.
Urteil 8351/17 der 2. Kammer des EGMR Romeo Castaño c. Belgien vom 9.7.2019.
Ehe von ehemals Verschwägerten zu Unrecht annulliert
Gemäss dem EGMR ist ein Verbot einer Ehe zwischen Verschwägerten nicht mit Art. 12 EMRK und dem Recht auf Eheschliessung vereinbar. Aufgrund eines solchen im griechischen Zivilrecht enthaltenen Verbots wurde eine Ehe zwischen zwei ehemals verschwägerten Partnern von den zuständigen Behörden annulliert.
Der männliche Kläger war zunächst mit der Schwester der weiblichen Klägerin verheiratet gewesen. Einige Jahre nach der Scheidung des Klägers von der Schwester der Klägerin heirateten Kläger und Klägerin. Ein Jahr nach dieser Hochzeit beantragte die Schwester der Klägerin bei der zuständigen Behörde die Annullierung der Ehe zwischen Kläger und Klägerin mit Verweis auf die Bestimmung im Zivilgesetzbuch, die die Ehe zwischen Verschwägerten verbietet. Beide Kläger fochten die Annullierung vor dem EGMR an. In seinem Urteil wies der EGMR darauf hin, dass bei den Mitgliedstaaten des Europarates weitgehend Konsens bestehe, dass ein Verbot von Ehen zwischen ehemals verschwägerten Parteien nicht mit der EMRK vereinbar sei. Weiter hätten die Behörden bei der Eintragung der Ehe keinerlei Anstalten gemacht, die Eintragung abzulehnen, obwohl die Behörden verpflichtet seien, Hinderungsgründe zu prüfen. Die Kläger seien damit bereits in Genuss der Vorteile der Ehe gekommen. Eine Annullierung sei auch vor diesem Hintergrund stossend.
Urteil 57854/15 der 1. Kammer des EGMR Theodorou und Tsotsorou c. Griechenland vom 5.9.2019.
Publikation der Entscheide
Die Entscheide des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) finden sich im Internet auf folgender Webseite:
www.echr.coe.int