Slowenien reagierte angemessen auf Wasserknappheit
Im Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Hudorovic et al. gegen Slowenien ging es um die Gewährung des Zugangs zu Trinkwasser und sanitären Anlagen für zwei Roma-Siedlungen in Slowenien. Der EGMR stellte fest, dass Slowenien weder Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) noch Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) oder Art. 3 EMRK (Verbot von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) verletzt hat.
Die Beschwerdeführer leben in Roma-Siedlungen in den Gemeinden Škocjan und Ribnica. Die Siedlungen bestehen hauptsächlich aus Holzhütten ohne Sanitäranlagen oder Kanalisationssysteme. Eine der Familien traf mit den lokalen Behörden eine Abmachung, gemäss derer sie die spezielle Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen für die Siedlung mitfinanzieren würde. Aufgrund von Unstimmigkeiten sei der Plan jedoch nur mangelhaft umgesetzt worden. Die andere Familie bezieht ihr Wasser von einer Quelle im Dorf; die öffentliche Versorgungseinrichtung könne sie wegen des Widerstands eines Nachbarn nicht nutzen.
Der EGMR hielt in seinem Urteil zunächst fest, dass Slowenien unter Art. 8 EMRK eine positive Leistungspflicht trifft, wenn ein langjähriger Mangel an Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung besteht, da ein solcher Mangel von Natur aus negative Auswirkungen auf Gesundheit und Menschenwürde hat. Ferner erwog der EGMR, dass vulnerable soziale Gruppen wie die Roma allenfalls zusätzliche Unterstützung benötigen, um effektiv dieselben Rechte wie die Mehrheitsbevölkerung geniessen zu können. Nichtsdestotrotz komme einem Staat bei der Planung sozio-ökonomischer Massnahmen und der Verteilung seiner begrenzten Ressourcen ein breiter Ermessensspielraum zu.
In einem nächsten Schritt anerkannte der Gerichtshof verschiedene Massnahmen, die Slowenien zur Verbesserung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie der prekären Lebensbedingungen in Roma-Siedlungen unternahm. Zudem würden ihnen Sozialhilfeleistungen ausgerichtet, womit Slowenien ihre prekäre Situation anerkannt und ihnen die Mittel zur Verbesserung ihrer Lebenssituation bereitgestellt habe.
Angesichts des weiten Ermessensspielraums bei der Priorisierung der Mittel für die Städteplanung vertrat der EGMR die Auffassung, dass nur besonders überzeugende Gründe wie etwa eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit es rechtfertigen könnten, dem Staat die Last zu überbinden, Massnahmen im Hinblick auf die spezifische Situation der Beschwerdeführenden zu ergreifen. Solche Gründe seien jedoch nicht hinreichend dargetan worden. Es obliege zwar dem Staat, Ungleichheiten bei der Bereitstellung von Zugang zu sauberem Trinkwasser, die die Roma-Siedlungen benachteiligen, anzugehen. Dies könne jedoch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass eine Verpflichtung bestehe, die gesamte Last der Versorgung der Siedlungen der Beschwerdeführenden mit Trinkwasser zu tragen.
Das Urteil wurde von zwei Richtern in einer teilweise abweichenden Meinung kritisiert. Die Richter hielten fest, dass im Fall der ersten Familie eine Anbindung an das existierende öffentliche Wasserversorgungssystem möglich gewesen wäre und in diskriminierender Weise verhindert worden sei. Das einzige Argument, das die Regierung gegen den Anschluss vorgebracht habe, sei, dass es sich bei der Roma-Siedlung um eine «informelle» Siedlung handle. Dieser Umstand müsse jedoch im Lichte der spezifischen Situation der Roma-Minderheit betrachtet werden und rechtfertige keine Einschränkung der Ansprüche unter Art. 8 EMRK.
Urteile 24816/14 und 25140/14 der 2. Kammer des EGMR Hudorovic et al. c. Slowenien vom 10.3.2020
Griechenland muss menschenwürdige Unterkünfte gewährleisten
Am 16. April 2020 erliess der EGMR im Fall E.I. et al. gegen Griechenland vorläufige Massnahmen im Sinne von Art. 39 seiner Verfahrensordnung und verpflichtete die griechische Regierung dazu, acht kranken oder verletzten Geflüchteten, die sich im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos aufhielten, eine Unterkunft im Einklang mit Art. 3 EMRK zur Verfügung zu stellen und die medizinische Behandlung der Personen sicherzustellen. Zu den Antragstellenden gehören gemäss Angaben von Pro Asyl ein schwerkranker Mann aus Afghanistan mit Familie, ein Folteropfer aus Syrien sowie ein Kleinkind und dessen Eltern aus Afghanistan.
Entscheid 16080/20 über vorläufige Massnahmen des EGMR E.I. et al. c. Griechenland vom 16.4.2020