«Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Bundesrichter, werte Kollegen, werte Anwesende. Ich möchte zuerst kurz unser Team vorstellen: Dazu gehören Frau Ramphos, Frau Burger und Frau Wyniger. Mein Name ist … Frau Fey.» Alle vier tragen ein graues Kostüm mit Rock oder Hose, dazu eine weisse Bluse. Fehlt nur noch dasselbe Foulard und man könnte sie von Stewardessen nicht mehr unterscheiden.
Annina Fey hält sich an ihren bunt markierten Karteikärtchen fest. Nur bei der Nennung ihres eigenen Namens gerät sie ins Stocken. Im Parteivortrag selbst sitzt aber jedes Wort. Mit einem etwas aufgesetzten sprachlichen Duktus, aber gewissenhaft einstudiert plätschert das Plädoyer vor sich hin. Die Wörter stammen allerdings nicht immer aus dem Wortschatz eines Anwalts: Da wird schon mal gefordert oder verlangt statt beantragt.
Es geht um die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, um sexuelle Belästigung, Mobbing und eine Entschädigungs- und Genugtuungsforderung. Den Fall des siebten Swiss Moot Court hat die Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten ausgearbeitet. Die Jury, so heisst das Gericht nach den Regeln des Moot Court, hört aufmerksam zu. Team 8, ebenfalls im Final, macht Notizen.
Der Bundesrichter als Jurypräsident
Thomas Koller, Professor für Privatrecht an der Universität Bern, will mitten im Parteivortrag wissen: «Hat das Bundesgericht in dieser Frage schon entschieden?» Anders als vor ordentlichen Gerichten haben sich die Teilnehmenden mitten im Plädoyer den Fragen der Jury zu stellen. Annina Fey gelingt es, sich von ihren Karteikärtchen zu lösen und die Fragen kompetent zu beantworten. Sie wird von ihrer Kollegin Rebecca Wyniger in französischer Sprache unterstützt. Verhandlungssprache ist Hochdeutsch oder Französisch – oder beides zusammen. Die Redezeit beträgt zwanzig Minuten. Eine Zeitzugabe von drei Minuten kann beantragt werden. Stellt die Jury Fragen, wird die Redezeit angehalten.
Der Jurypräsident, Bundesrichter Hans Wiprächtiger, erteilt Team 8 das Wort. Olivier Ferraz wirkt mit seinem gut sitzenden Anzug und dem perfekten Krawattenknoten wie ein Praktiker. Während er seinen Teil des Parteivortrags auf Französisch hält, wechselt seine Teamkollegin Elvira Traub mitten im Plädoyer in ihre Muttersprache Deutsch. Team 8 plädiert frei. Die fein säuberlich in einzelnen Sichtmäppchen verpackten Notizen bleiben unbenutzt auf dem Tisch liegen. Beide verleihen ihren Ausführungen durch Handbewegungen Geltung. Die Zuhörer wähnen sich in einer richtigen Verhandlung, wären da nicht die Zwischenfragen der Jury.
Die meisten der 26 Teams, die sich für die mündliche Runde qualifiziert haben, stammen von den Universitäten Freiburg und Lausanne. Drei Teams sind aus Genf, eines kommt aus Basel, ein anderes aus Bern. Fast alle studieren im dritten oder im vierten Jahr. «Von der Uni St. Gallen war erst einmal ein Team hier. Diese Uni rechnet nur zwei ECTS-Punkte für die Teilnahme an, das ist dann für die Teams zu wenig attraktiv», weiss Salomé Stähli vom Organisationskomitee. Zürcher und Luzerner Teams fehlen in diesem Jahr, weil diese Unis eigene Moot Courts organisieren.
Anders als im Gerichtsalltag sind fast alle Plätze im Saal besetzt. Kommilitoninnen und Kommilitonen drücken ihren Kolleginnen und Kollegen die Daumen. Angehörige fiebern mit. Teams, die am Vortag ausgeschieden sind, bleiben für den Final. Ein paar tragen sich schon jetzt mit dem Gedanken, im nächsten Jahr wieder mitzumachen. Team 1 repliziert, Team 8 antwortet mit einer Duplik. Ein Laie würde nicht bemerken, dass da Studierende zum ersten Mal den Ernstfall üben.
Gut auch für ein späteres Bewerbungsdossier
Unter den Zuschauern sind auch Eliane Fischer und Caroline López. Sie haben den Swiss Moot Court vor sieben Jahren als Studentinnen der Universität Freiburg aus der Taufe gehoben. Die Idee hatten sie nach der Teilnahme an internationalen Moot Courts. «Irgendwann mal fanden wir, so etwas müsste es bei uns auch geben», sagt Eliane Fischer. Caroline López arbeitet mittlerweile als Rechtsanwältin bei Lenz & Staehelin in Genf. Ihr Spezialgebiet ist das Prozessrecht. «Durch die Teilnahme an verschiedenen Moot Courts habe ich meine Leidenschaft fürs Prozessieren und Plädieren entdeckt», sagt sie. Und durch die Moot Courts konnte sie bei ihrem heutigen Arbeitgeber ein Praktikum machen. In einem Bewerbungsdossier werde schon auf eine Teilnahme an einem Moot Court geschaut, verrät sie.
Nicht nur Lenz & Staehelin, einer der Sponsoren des Swiss Moot Court, rekrutiert dort künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch die anderen Sponsoren Baker & Mc Kenzie, Homburger sowie Wartmann & Merker suchen da nach zukünftigen Mitarbeitern. Mit Ausnahme von Lenz & Stae-helin sind diese Sponsoren alle in der Jury vertreten.
Überdurchschnittlichengagiert und exponiert
Bei Jurymitglied Peter Hafner von Wartmann & Merker steht aber nicht allein die Rekrutierung künftiger Mitarbeiter im Vordergrund, wie er betont. «Finde ich einen Teilnehmer oder eine Teilnehmerin besonders gut, dann gebe ich ihm oder ihr meine Visitenkarte. Ich lade sie ein, mich für ein Vorstellungsgespräch anzurufen, verspreche aber nicht sogleich eine Arbeits- oder Praktikumsstelle.» Angehenden Juristinnen und Juristen rät er allerdings, nicht zu viele Moot Courts zu besuchen. «Wichtig ist uns, dass Praktikanten das theoretische Rüstzeug mitbringen, das Prozessieren bringen wir ihnen dann bei.»
Ähnlich verfährt Baker & Mc Kenzie: «Die Unterstützung des Swiss Moot Court durch unsere Kanzlei ist nicht ganz uneigennützig», gibt Franz Schenker zu. «Wer hier mitmacht ist überdurchschnittlich engagiert, zeigt mehr Leistung, um zu seinen ECTS-Punkten zu kommen und ist auch bereit, sich zu exponieren. Solche Leute suchen wir.»
In den letzten Jahren hat Baker & Mc Kenzie immer wieder Teilnehmende von Moot Courts eingestellt. Für Schenker hat der Swiss Moot Court noch einen weiteren Effekt: «Mit einem Fall wie diesem, wo es um das Gleichstellungsgesetz geht, setze ich mich in meiner Praxis selten auseinander. Ich kann mich also auch immer wieder in mir weniger vertrauten Rechtsgebieten weiterbilden.»
Ergänzt ideal universitäre Veranstaltungen
Dass nur renommierte Anwaltskanzleien auf der Suche nach zukünftigen Mitarbeitern in der Jury vertreten sind, lässt Jurypräsident, Hans Wiprächtiger als Einwand gelten. «Ein Generalist fehlt tatsächlich im Spruchkörper», sagt er.
Ein anderes Jurymitglied ist Leiterin eines Rechtsdienstes. Sie hat noch nie Mitarbeiter über den Moot Court rekrutiert. Die ehrenamtliche Arbeit von drei Tagen – anderthalb Tage nimmt die Korrektur der schriftlichen Arbeiten in Anspruch, anderthalb Tage muss die Jury dann in Luzern die Plädoyers abnehmen – mache ihr einfach Spass, sagt sie. «Für die Studierenden ist das eine tolle Erfahrung. Und auf diese Weise können sie prüfen, ob sie für diesen Beruf auch wirklich geeignet sind», sagt sie.
Ein Team am Start hat auch Jurymitglied Professor Thomas Koller. Ein spezielles Coaching durch ihren Lehrer erfahren seine Studierenden aber nicht. «Das Verfassen von Rechtsschriften und das Plädieren kann in den Vorlesungen und Übungen nicht geboten werden. Der Swiss Moot Court ist deshalb auf Bachelor-Niveau eine ideale Ergänzung zu den universitären Veranstaltungen», ist Koller überzeugt.
«Manchmal müssen wir die Teams auf Kleinigkeiten hinweisen. So dass man sich gegenüber der Gegenpartei im Ton nicht vergreifen darf, oder dass die Hand nicht in die Hosentasche gehört», sagt Hans Wiprächtiger. Als er im Anwaltspraktikum war, kam er nie in den Genuss, vor Gericht aufzutreten. Und nach dem Staatsexamen schlug er eine Justizkarriere ein. «Ich bin also gar nie zum Plädieren gekommen», sagt er.
Damit steht er nicht alleine da. Nicht selten plädieren angehende Anwältinnen und Anwälte beim Probevortrag am Staatsexamen – sofern ein solcher überhaupt vorgesehen ist – das erste Mal.
Nach dreissig Minuten geheimer Beratung steht der Sieger fest: Team 8 hat mit einem souveränen Auftritt, einer materiell stimmigen Begründung und dem eleganten Sprachwechsel die Jury überzeugt. Gefehlt hat der Jury allerdings bei beiden Teams der Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung. Aber auch Team 1 wird von der Jury gelobt.
Anders als bei einer Gerichtsverhandlung klatschen die Anwesenden nach dem Urteilsspruch der Jury. Der Vorsitzende bleibt dem Verfahrensablauf treu und schliesst nach Verklingen des Applauses ganz offiziell die Verhandlung.
Imposante Erfahrung im Gerichtssaal
An die Zahl der investierten Stunden kann sich Elvira Traub nicht mehr erinnern. «Wir haben unheimlich viel Zeit investiert. Aber es hat sich gelohnt», sagt sie, und kann den Sieg immer noch nicht ganz fassen. «Endlich konnte ich eine Falllösung auch mal mündlich vortragen», sagt sie. Und Olivier Ferraz schwärmt: «In einem richtigen Gerichtssaal vor richtigen Juristen zu plädieren, das ist schon imposant.»
Beide studieren im dritten Jahr. «Ich hoffe, dass sich einige Türen für mich öffnen. Als Anfänger ist es ja schwierig in dieser Szene Fuss zu fassen», sagt er. Als Preisgeld erhalten beide von Sponsor Helbing Lichtenhahn einen Büchergutschein im Wert 800 Franken.
Letztlich auch ein Sieg für die Uni
Team 1 nimmt den Sieg von Team 8 sportlich: «Wir studieren alle im gleichen Semester. Letztlich ist es auch ein bisschen ein Sieg für unsere Uni», sagt Sophia Ram-phos. Simone Burger ergänzt: «Eigentlich ist es zweitrangig, dass wir nicht gewonnen haben. Wir hatten nämlich gar nicht damit gerechnet, dass wir es bis in den Final schaffen.» Und Rebecca Wyniger schwärmt: «Es ist eine super Erfahrung, vor echten Bundesrichtern zu plädieren und von ihnen ein Feedback zu bekommen.»
Einer Trophäe gleich lassen die vier die Visitenkarten von Homburger in ihren Kostümen verschwinden, nicht ohne vorher noch einmal mit einem beseelten Lächeln auf dem Gesicht einen Blick darauf zu werfen.
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So funktioniert der Moot Court
Moot Court bedeutet «fiktives Gericht». Die Idee kommt aus den USA. Für den Swiss Moot Court (www.swissmootcourt.ch) müssen die Teams (zwei bis vier Studierende) eine Rechtsmittelbeschwerde und eine Beschwerdeantwort zu einem vorgegebenen Fall schreiben. Die Jury, bestehend aus Rechtsanwälten, Bundesrichtern und Professoren aus der deutschen und der französischen Schweiz, lädt die zwölf besten Teams ans Bundesgericht Luzern zum Plädieren ein.
Die zwei besten Teams treten am zweiten Tag im Final gegeneinander an. Die Teilnahme wird von den Universitäten als Seminararbeit, Wahlfach oder Intensivkurs anerkannt (2–6 ECTS).
Weitere Moot Courts: Telders International Law Moot Court; European Law Moot Court; Jean Pictet Competition; Willem C. Vis Moot Court (Vienna Moot Court).