Explorationsgespräche fallen nicht unter den Schutzbereich von Artikel 179ter des Strafgesetzbuches (StGB). Das zeigt eine rechtskräftige Verfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz vom 29. Juni 2017.
Der Sachverhalt: Eine Versicherte hatte die IV-Begutachtung in einer medizinischen Abklärungsstelle (Medas) insgeheim akustisch aufgezeichnet. Aufgrund von streitigen Divergenzen zwischen den Aussagen der Gutachter anlässlich der Begutachtung, dem effektiven Ablauf der Begutachtung und dem Inhalt des Gutachtens erstattete die Versicherte Strafanzeige gegen die Gutachter wegen Widerhandlungen gegen die Artikel 307, 309, 317, 318 und 146 StGB. Im Strafverfahren gab sie auch die akustische Aufnahme der Begutachtung zu den Akten.
Die Gutachter ihrerseits erstatteten gegen die Versicherte Strafanzeige wegen unbefugten Aufnehmens von Gesprächen (Artikel 179ter StGB).
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz erliess am 29. Juni 2017 eine Nichtanhandnahmeverfügung (SUB 2017 397 JJ). Sie ist heute rechtskräftig. Sie begründete die Nichtdurchführung der Strafuntersuchung so: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind nur Gespräche im privaten Bereich geschützt. Derartige Gespräche sind etwa Äusserungen persönlicher Natur, aber auch geschäftliche Besprechungen. Anders verhalte es sich dagegen unter anderem bei der dienstlichen Befragung zum Beispiel durch einen Polizeibeamten oder Untersuchungsrichter, soweit es sich um Äusserungen handelt, die im Rahmen des hängigen Verfahrens gemacht werden. Ein aus öffentlich-rechtlicher Verpflichtung geführtes Gespräch falle nicht in die Privatsphäre der Gesprächsteilnehmer, da diese durch die Aufnahme nicht «in ihrer persönlichen Freiheit in der Mitteilung an andere» beeinträchtigt sind. Soweit die Ausführung des dienstlichen Auftrages durch die Aufnahme des Gesprächs gestört oder behindert wird, betreffe dies nicht den Schutzbereich von Artikel 179ter StGB (BGE 108 IV 161).
In Deutschland ist Begleitperson zulässig
Die Gutachterstelle und ihre Gutachter amteten vorliegend als Verwaltung der Invalidenversicherung, nämlich als Teil des Abklärungsverfahrens der IV. Die Gutachter der Medas hätten folglich Beamtenstellung, weil die ihnen übertragene Funktion amtlicher Natur sei (BGer-Urteil 6B. 1110/ 2014 vom 19.8.2015). Die Ausgestaltung der Medas als privatrechtliche Aktiengesellschaft ändere nichts daran, dass sie während der Begutachtung eine öffentlich-rechtliche Funktion wahrgenommen habe. Ein Explorationsgespräch im Rahmen einer Medas-Begutachtung sei ein Gespräch aus öffentlich-rechtlicher Verpflichtung. Solche Gespräche fielen nicht unter den Schutzbereich von Artikel 179ter StGB.
Immer wieder berichten Versicherte, dass der Inhalt eines medizinischen Gutachtens nicht mit dem Ablauf der Begutachtung übereinstimmt. Oft gibt es laut Versicherten bei der Anamnese, aber auch bei den Befunden Divergenzen zwischen Begutachtung und schriftlichem Gutachten. Versicherte haben aber ein Beweisproblem, wenn es um den Nachweis von Fehlern, Unwahrheiten oder Unzulänglichkeiten eines medizinischen Gutachtens geht. Sie dürfen sich zur Begutachtung nicht begleiten lassen – im Gegensatz zu Deutschland. Gemäss Beschluss des OLG Hamm vom 3.2.2015 ist einem medizinisch oder psychologisch zu begutachtenden Beteiligten bei einem Untersuchungstermin bzw. Explorationsgespräch des Sachverständigen die Anwesenheit einer Begleitperson ohne Äusserungs- und Beteiligungsrecht zu gestatten.
Die Befragung eines Dolmetschers zu streitigen Aussagen und Vorkommnissen an der Begutachtung ist nur möglich, wenn überhaupt eine Fremdsprache vorlag. Die Gutachterperson ihrerseits wird kaum je zugeben, ihr Gutachten sei falsch, weil sie sich damit strafbar machen könnte, allenfalls sogar bei Fahrlässigkeit.
Bis anhin mussten Anwälte ihre Klientschaft damit vertrösten, die Aussage des Gutachters gelte als neutral und unabhängig und wahr, während ihre Behauptung als Parteibehauptung grundsätzlich kaum oder gar keine Beweiskraft habe. Und sie trage die Folgen der Beweislosigkeit ihrer Behauptung zum Widerspruch zwischen Ablauf der Begutachtung und effektivem Gutachten.
Wichtiger Entscheid für die Verfahrensfairness
Diese Beweisproblematik wird mit dem Schwyzer Entscheid relativiert. Das ist erstens formal richtig und auch sachgerecht. Im Strafprozess wird etwa sogar eine Befragung zu einer Parkbusse protokolliert und eine Unterzeichnung des Protokolls verlangt. In jedem Zivilprozess wird die Gerichtsverhandlung protokolliert. Gleiches gilt im öffentlichen Recht, zum Beispiel für eine Baueinspracheverhandlung oder einen Augenschein betreffend ein Fahrverbot. Jede Parteibefragung erfordert zudem die Unterzeichnung des Protokolls durch die Partei. Mit der Unterzeichnung wird sichergestellt, dass das Protokoll korrekt ist. All dies gilt unabhängig vom Streitwert.
Gutachter haben ein sehr grosses Ermessen
Es ist nicht einzusehen, wieso bei lebenslangen, existenziellen Rentenansprüchen medizinische Gutachter weiterhin in einer Dunkelkammer arbeiten sollen, zumal die fachfremde Materie für die Justiz kaum überprüfbar ist und Gutachter ein sehr grosses Ermessen haben. Es ist im Hinblick auf die Verfahrensfairness, die Interessen der Prämien- und Sozialhilfe finanzierenden Steuerzahler und die Beweisnot der Versicherten zu begrüssen, dass eine staatliche Tätigkeit wie die Begutachtung kontrollierbar ist und demnach auch straffrei aufgezeichnet werden darf. Verhält sich die Gutachterperson korrekt und entspricht das Gutachten dem Geschehensablauf, hat die Gutachterperson nichts zu befürchten.
Einer Berücksichtigung solcher Aufzeichnungen steht sodann nichts entgegen, wenn das Beweismittel nicht illegal ist. Dies gilt umso mehr, wenn sogar seitens der Sozialversicherung ohne gesetzliche Grundlage erhobene Beweismittel je nach Ergebnis berücksichtigt werden dürfen (BGer 9C_806/2016). Idealerweise würden Sozialversicherungsgutachter von sich aus die Begutachtung aufzeichnen. Dies würde das Vertrauen in die Begutachtung erhöhen, eine Vielzahl von Gerichtsverfahren verhindern, eine Qualitätsprüfung ermöglichen und ein korrektes Verfahren sicherstellen.