Die wichtigsten Lobbyisten in Bundesbern sind die Parlamentarier. Als «Built-in»-Lobbyisten können sie den Gesetzgebungsprozess unmittelbar im Sinne von privaten Gruppierungen beeinflussen, deren Interessen sie vertreten. Die Verfassung verbietet solches Lobbyieren nicht, knüpft aber eine grundlegende Bedingung daran: Die Parlamentarier müssen dabei transparent sein. Artikel 161 Absatz 2 der Bundesverfassung hält fest: «Sie (die Mitglieder der Bundesversammlung) legen ihre Interessensbindungen offen.» Jedes Ratsmitglied muss bei Amtsantritt deshalb seine beruflichen Tätigkeiten sowie Mitgliedschaften in Verwaltungsräten, Stiftungsräten, Vereinsvorständen oder Geschäftsleitungen in ein öffentliches Register eintragen.
Recht der Wähler auf umfassende Information
Diese Pflicht zur Transparenz hat der Verfassungsgeber im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung von 1999 aufgrund ihrer Bedeutung ganz bewusst von der Gesetzes- auf die Verfassungsstufe gehoben. Kernanliegen dieser Regelung ist nicht die Verhinderung der Korrumpierung von Volksvertretern durch wirtschaftliche Sonderinteressen, sondern die Information der Stimmbürger. Die zuständige Kommission des Nationalrats hielt zur Einführung der Offenlegungspflicht für Lobbyingaktivitäten durch Parlamentarier fest: «Gerade dem Milizparlamentarier soll es unbenommen sein, sich im wirtschaftlichen Bereich zu engagieren; der Wähler hat jedoch ein Recht darauf, sich über diese Angelegenheiten zuverlässig und umfassend informieren zu können.»
Mutmassen, wer teure Kampagnen finanziert
Damit bringt die Verfassung zum Ausdruck, dass die Stimmbürger willens und fähig sind, ihre politischen Entscheidungen eigenständig und selbstverantwortlich zu treffen. Sie sind dafür aber auf die notwendigen Informationen angewiesen. Eine echte und kritische Auseinandersetzung mit Argumenten ist im politischen Diskurs dann möglich, wenn man ihre Urheberschaft kennt. Paradoxerweise ist der Zugang zu diesen Informationen für die Stimmbürger in der Schweiz rechtlich aber gerade dann nicht abgesichert, wenn um ihre eigene Stimme lobbyiert bzw. geworben wird.
Bis heute kennt die Schweiz auf nationaler Ebene keine Transparenzvorschriften betreffend die Finanzierung von Wahl- und Abstimmungskampagnen. Während sonst in ganz Europa solche Vorschriften eine demokratische Selbstverständlichkeit sind, können Schweizer Stimmbürger regelmässig nur darüber mutmassen, welche Interessensgruppen mit welchen Geldbeträgen teure Wahl- und Abstimmungskampagnen finanzieren.
Die Parlamentsmehrheit hat in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Vorstösse für mehr Transparenz konsequent versenkt. Aus einer verfassungsrechtlichen und demokratischen Perspektive verdient diese Verweigerungshaltung Kritik. Wenn die Verfassung Transparenz unter der Bundeshauskuppel fordert, sollte die Bundesversammlung Hand dazu bieten, diese auch bei Volkswahlen und Volksabstimmungen zu gewährleisten. Weshalb soll die Stimmbürgerschaft die Interessenbindungen von Kandidaten erst nach der Wahl erfahren dürfen? Wäre es für einen wohlinformierten Wahlentscheid nicht viel wichtiger, diese zu kennen, bevor gewählt wird? Der US Supreme Court bringt es auf den Punkt: «Transparency enables the electorate to make informed decisions and give proper weight to different speakers and messages.» Das gilt auch für Volksabstimmungen.
Transparenz macht Partikularinteressen sichtbar und erschwert damit das vordergründige Argumentieren im Sinne des Gemeinwohls. Die parlamentarische Repräsentation ist gerade auch nach schweizerischem Demokratieverständnis eine Antwort darauf, dass die Versammlungsdemokratie in einer bevölkerungsreichen und ausdifferenzierten Rechtsgemeinschaft an Grenzen stösst. Die wichtigsten demokratischen Entscheide werden in der Schweiz aber immer noch an der Urne gefällt. Bei diesen Volksabstimmungen ist Transparenz sicher nicht minder wichtig als bei Entscheidungen der Volksvertretung.
Anzeichen für ein Ja zur Initiative
Gegner von Transparenzvorschriften bringen regelmässig vor, solche Vorschriften würden den Stimmbürgern unterstellen, sie seien einfach zu kaufen und würden ihnen ihre Mündigkeit absprechen. Das Gegenteil ist der Fall. Transparenz bedeutet, die Stimmbürgerschaft ernst zu nehmen und ihr jene Entscheidungsgrundlagen zuzugestehen, die sie braucht, um das Stimmrecht verantwortungsvoll wahrzunehmen.
Voraussichtlich 2021 wird über die Transparenzinitiative abgestimmt. Sie sieht für Urnengänge auf Bundesebene eine Offenlegungspflicht für Kampagnenbeiträge von über 10 000 Franken vor. Der Bundesrat empfahl die Initiative ursprünglich ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung, unterstützte schliesslich aber einen indirekten Gegenvorschlag des Ständerats, der Offenlegungspflichten ab 25 000 Franken vorsah. Im Nationalrat war dieser Gegenvorschlag chancenlos.
Kommt es zur Volksabstimmung, werden die Gegner die Initiative wohl mit einem satten Kampagnenbudget bekämpfen, dessen Höhe und Herkunft sie nicht preisgeben werden. Gleichzeitig werden sie behaupten, dass Geld keinen Einfluss auf den Ausgang von Volksabstimmungen und Wahlen habe. Vieles weist darauf hin, dass die Stimmbürger diesen Widerspruch mit einem Ja an der Urne quittieren werden.
Kantone als progressive Laboratorien
So waren Volksinitiativen für eine transparente Politikfinanzierung in jüngerer Zeit in verschiedenen Kantonen und für viele überraschend erfolgreich (Schwyz, Freiburg, Schaffhausen). Andere Kantone kennen Transparenzvorschriften schon länger (Genf, Neuenburg, Tessin). Im September 2020 hat die Stadt Bern eine Transparenzvorlage mit fast 90 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen.
Es scheint, dass die Kantone einmal mehr als progressive Laboratorien der schweizerischen Demokratie wirken, wie sie das in der Vergangenheit auch schon, etwa in Bezug auf das Frauenstimmrecht, getan haben – damals wie heute ganz im Sinne der Verfassung.