Überwachung: Baugesetz wirksamer als Datenschutz
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Plädoyer 05/2018
22.10.2018
Letzte Aktualisierung:
06.11.2018
Gjon David
Hauptbahnhof Bern. Hier verkehren jeden Tag über tausend Züge. Mehr als 250 000 Pendler werden damit transportiert. Wer zum Bahnhof gelangen will, läuft oft unter den Lauben durch oder überquert den Bahnhofplatz. Alle diese Leute werden vom Luxushotel Schweizerhof gefilmt. Und zwar heimlich – es wird nirgends darauf hingewiesen. Das wäre in London oder in chinesischen Städten nichts Aussergewöhnliches. Aber in Bern? Undenkbar, zumindest für die St...
Hauptbahnhof Bern. Hier verkehren jeden Tag über tausend Züge. Mehr als 250 000 Pendler werden damit transportiert. Wer zum Bahnhof gelangen will, läuft oft unter den Lauben durch oder überquert den Bahnhofplatz. Alle diese Leute werden vom Luxushotel Schweizerhof gefilmt. Und zwar heimlich – es wird nirgends darauf hingewiesen. Das wäre in London oder in chinesischen Städten nichts Aussergewöhnliches. Aber in Bern? Undenkbar, zumindest für die Stadt. «Es gibt keine Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch die Stadt Bern», erklärt Léa Zürcher, Sprecherin der städtischen Sicherheitsdirektion.
Eine grossflächige Überwachung des öffentlichen Raums durch Private ist auch laut dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Adrian Lobsiger in der Regel nicht verhältnismässig und deshalb unzulässig. Er betont: «Daran ändern Sicherheitsinteressen nichts, da die Wahrung von Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum Aufgabe der Polizei ist.»
Die Berner Polizisten nehmen diese Aufgabe ernst – und benutzen die illegalen Aufnahmen des Hotels gleich für eigene Ermittlungen. Das geht aus einem Entscheid des Regionalgerichts Bern-Mittelland hervor. Es verurteilte einen 48-Jährigen wegen Landfriedensbruchs, sah aber von einer Strafe ab. Der Mann hatte an einer unbewilligten Demonstration gegen die Schweizer Flüchtlingspolitik teilgenommen. Das Beweismaterial stammte von den vier privaten Kameras des Hotels Schweizerhof. Gerichtspräsidentin Christine Schaer erachtete die Bildsequenzen als verwertbar. Laut Annina Mullis, der Rechtsanwältin des 48-Jährigen, sind die zwei Kameras in den Lauben zwar tendenziell auf das Gebäude gerichtet, erfassen aber jeweils die ganze Breite der Laube, wobei die Gesichter der Passantlnnen noch besser erkennbar sind als draussen.»
Legal, illegal, scheissegal? Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte sieht sich nicht dafür zuständig, die Rechtslage in einem Einzelfall zu beurteilen. Dies sei grundsätzlich Sache der Zivilgerichte. Wer sich durch die Videoüberwachung in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sieht, muss also am Zivilgericht klagen.
Immerhin: Aus Sicht der Stadt Bern sind baupolizeiliche Aspekte relevant. Deshalb nahm das Bauinspektorat mit dem Hotel Kontakt auf. Und bei einem Augenschein vor Ort stellte es fest, «dass es sich bei der Videoüberwachung um eine unzulässige raumwirksame Tätigkeit im Sinne einer Störung der öffentlichen Ordnung gemäss kantonalem Baugesetz handelt», so Léa Zürcher. Daraufhin deckte das Hotel die Kameras flugs ab.