Wer an der Universität Zürich das Jus-Studium abschliesst, muss mindestens ein einjähriges Praktikum absolvieren, um zur Anwaltsprüfung zugelassen zu werden – bei einer Anwaltskanzlei oder einer Behörde. Bei einem Gerichtspraktikum nehmen die Auditoren zum Beispiel an Verhandlungen teil, schreiben Protokolle und begründen Urteile. Offenbar ist ein solches Praktikum nicht mehr so begehrt.
Vor allem ländliche Bezirksgerichte im Kanton Zürich würden händeringend nach Auditoren suchen, berichtete der «Tages-Anzeiger» Anfang September. Dafür verantwortlich seien auch Anwaltsfirmen, die Studenten abwerben, indem sie zum Beispiel Sommerpraktika anböten.
Auch der Lohn sei in den Kanzleien attraktiver als beim Kanton. Gemäss dem Gerichtspräsidenten von Andelfingen ging die Zahl der Bewerbungen in den letzten drei Jahren massiv zurück.
Unterschiedliche Regeln für Jus-Absolventen
Andere grosse Deutschschweizer Kantone kennen dieses Problem nicht, wie eine Umfrage von plädoyer ergab. Das dürfte auch an den unterschiedlichen Regeln für Jus-Absolventen liegen. Im Kanton Bern beispielsweise ist ein dreimonatiges Praktikum bei einem Gericht obligatorisch, um für die Anwaltsprüfung zugelassen zu werden.
Basel und St. Gallen kennen kein obligatorisches Gerichtspraktikum für angehende Anwälte. Trotzdem herrscht kein Mangel an Bewerbern.
Luzern wiederum setzt ein obligatorisches Praktikum von neun Monaten bei einer Kanzlei voraus. Die restlichen drei Monate können bei einem Gericht oder einer Behörde absolviert werden.
Die Luzerner Behörden können ihre freien Praktikumsplätze nicht immer besetzen. Auch im Kanton Aargau werden die Praktikantenstellen seit neustem ausgeschrieben, weil es nicht genügend Bewerber gibt. Zurzeit könne man die Stellen aber noch besetzen, schreibt die Medienstelle der Gerichte Aargau.
Weshalb müssen die Zürcher Gerichte heute derart um Auditoren buhlen? Im vergangenen Jahr schlossen an Schweizer Universitäten 1924 Juristen ihr Masterstudium ab. In den letzten zehn Jahren wuchs die Zahl insgesamt um 10 Prozent. In Zürich betrug die Zunahme in diesem Zeitraum sogar 13 Prozent.
Mit den steigenden Zahlen der Uniabgänger nahmen aber auch die offenen Stellen zu: An den Zürcher Bezirksgerichten stieg die Zahl der Vollzeitstellen für Gerichtssektärinnen und -sekretäre in den vergangenen vier Jahren von 231 auf 255. Das ist eine Zunahme von mehr als 10 Prozent. Im selben Verhältnis stieg auch die Anzahl Richter.
Gleich viele Stellen, aber mehr Teilzeitler
Eigentlich hätte die Zahl der Auditoren in gleichem Masse zunehmen müssen. Denn laut der kantonalen Verordnung darf sie die Zahl des juristischen Kanzleipersonals nicht «wesentlich unterschreiten».
Das Obergericht spricht in seinen Jahresberichten von einer Mindestzahl von 80 Prozent Auditoren. Diese Vorgaben werden gemäss Obergericht nur erfüllt, wenn leitende Gerichtsschreiber nicht zum Kanzleipersonal gerechnet werden. Die Pensen für Auditoren an den Zürcher Bezirksgerichten stagnieren seit zehn Jahren und liegen bei rund 160 Vollzeitstellen.
Wenn trotzdem nicht alle offenen Stellen besetzt werden können, deutet das darauf hin, dass viele Studienabgänger ihre ersten Jobs in Anwaltskanzleien, der Verwaltung oder der Wirtschaft antreten.