Das Antidiskriminierungsrecht gewinnt in der juristischen Forschung und Ausbildung in der Schweiz an Bedeutung. Im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA, Kanada, Indien, Südafrika und diversen EU-Staaten ist die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Recht und Diskriminierung jedoch noch stark unterentwickelt. Weltweit ist das Antidiskriminierungsrecht seit Mitte der Siebzigerjahre Bestandteil der Forschung und Lehre.
Ausgehend von den Critical Legal Studies befassten sich anfänglich vor allem die US-amerikanische Critical Race Theory, die Legal Gender Studies in den USA und Europa sowie der Legal Pluralism in Grossbritannien, Indien, Kanada, Australien und den USA mit dem Verhältnis von Recht und Diskriminierung. Anfang der Neunziger gewannen auch die Disability Legal Studies, die Theories on Law and Ageing und die Theories on Law and Class an Bedeutung.
Und jüngst entwickelte sich der Strang der Postcolonial Theory and Law. Ab dem Jahr 2000 fand eine Dynamisierung der Forschung und des Lehrangebots in vielen EU-Staaten statt, was unter anderem auf die Einführung der Antidiskriminierungsrichtlinien zurückzuführen ist.
Bei Gender Studies halten Schweizer Unis mit
Eine vom Zentrum für Sozialrecht durchgeführte Studie hat untersucht, wie das Antidiskriminierungsrecht in Organisation, Lehre und Forschung an den juristischen Fakultäten der Schweiz und an den zwei Fachhochschulen mit rechtswissenschaftlichen Lehrgängen (Kalaidos, ZHAW) verankert ist. Resultat: Die Schweiz kann im Bereich der Legal Gender Studies international mithalten. Vergleichsweise unerforscht sind Diskriminierung aufgrund einer Behinderung sowie Rassen-, Alters- und Klassendiskriminierung.
Mit Ausnahme der ZHAW verfügt keine der Hochschulen über institutionelle Vorkehrungen in der Organisationsentwicklung, die alle Diskriminierungsverhältnisse abdecken. Hingegen führten sämtliche Universitäten und Fachhochschulen Stellen ein, die sich mit der Gleichstellung von Frau und Mann befassen.
Zunehmend Thema ist auch die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen – alle Universitäten und Fachhochschulen stellen in unterschiedlicher Form eine Anlaufstelle für Studierende mit Behinderung zur Verfügung. Die Universität Zürich verfügt gar über eine langjährige und ausgebaute Fachstelle und Kommission Studium und Behinderung.
Neben dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte – einem Verbund der Unis Bern, Freiburg, Neuenburg und Zürich – haben die Universität Basel und die School of Management and Law der ZHAW einen thematisch breiten Schwerpunkt zum Antidiskriminierungsrecht in Forschung und Lehre.
Das Gleichstellungsrecht wird von allen Universitäten und Fachhochschulen abgedeckt. Insbesondere an den Unis Basel, Bern, Genf und Zürich wird das Thema auch interdisziplinär im Rahmen der Legal Gender Studies bearbeitet. Die Uni Basel legt zudem den Fokus auf das Behindertengleichstellungsrecht. Die Unis Freiburg und Neuenburg und die ZHAW befassen sich ausserdem intensiv mit dem Antirassismusrecht. Die Uni Lausanne legt einen Schwerpunkt auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, die Unis Bern, Luzern und Neuenburg auf das Migrationsrecht.
Schliesslich gibt es an allen Universitäten eine Reihe von Zentren, Instituten und Lehrstühlen, die Forschungsarbeiten zum Schutz vor Diskriminierungen leisten. Ein typischer neuer Bereich mit Berührungspunkten zum Diskriminierungsschutz ist jener des Gesundheitsrechts sowie der Bio- und Reproduktionstechnologie.
Soziale Diskriminierung noch kaum ein Thema
Der Fokus der Forschung lag in den letzten Jahren neben dem Völker-, Verfassungs- und Gleichstellungsrecht vermehrt auch im Gender-Recht, dem Antirassismus und der Behindertengleichstellung. Weiterhin mit wenigen Ausnahmen kaum ein Thema ist die Diskriminierung aufgrund der sozialen Stellung und des Lebensalters.
In der Lehre lässt sich auf Masterebene eine Diversifizierung des Angebots beobachten, das über eine Thematisierung in den allgemeinen Fächern wie Verfassungs- und Völkerrecht hinausgeht. Mittlerweile zum Mainstream an allen Universitäten und Fachhochschulen zählen Veranstaltungen zum Menschenrechtsschutz, Migrationsrecht und Gleichstellungsrecht. Von zunehmender Relevanz sind Veranstaltungen mit spezifischen Schwerpunkten auf Gleichheit, Nichtdiskriminierung und Diversität. Die Veranstaltungen hängen stark von den Schwerpunkten der Dozenten ab und können von Semester zu Semester stark variieren.
Die Uni Basel fällt auf mit interdisziplinären Angeboten etwa zu Blasphemie, Armut, Selbstbestimmungsrecht und postkolonialen Theorien, die Uni Genf mit Vorlesungen und Seminaren zu Droit des mineurs, Corporate Social Responsibility und Droit des personnes vulnérables.
Auch die Uni St. Gallen bietet eine Reihe von Veranstaltungen mit interdisziplinärer Ausrichtung etwa zu Women, Gender and Responsibility in China, zum transkulturellen Management sowie im Kurs «The Best Man? – The U.S. Presidential Contest Re-Imagined». Die Uni Neuenburg organisiert Kurse zu Familles et égalité de traitement, Les personnes atteintes de maladies rares et les assurances, Droit des migrations und La Commission du droit international des Nations Unies.
Die Uni Freiburg hat vor allem Angebote zu Religion und Recht sowie zu Föderalismus und Diversität. Der Lehrplan der Uni Luzern enthält Vorlesungen zum Biomedizinrecht, Sozialhilferecht und zu Law, Religion and the Modern State. Die Uni Zürich organisiert Veranstaltungen zu Demokratie, transnationalem Recht und Menschenrechtsschutz mit aktuellen Schwerpunkten. Die Uni Bern bietet Seminare zu Law of armed conflicts, zum öffentlichen Gesundheitsrecht und zum Migrationsrecht. Über ein vergleichsweise knappes Angebot verfügt die Uni Lausanne.
Die Untersuchung des Zentrums für Sozialrecht zeigt: Einerseits wird Diskriminierung vermehrt Thema an Hochschulen, andererseits ist Antidiskriminierungsrecht weiterhin ein Orchideenfach. Angesichts der in der Bundesverfassung sowie im Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz verankerten Verpflichtung zur Umsetzung des Diskriminierungsverbotes ist es erforderlich, das Thema Diskriminierung in der Forschung und Lehre, in der Organisationsentwicklung und in der Weiterbildung weiter auszubauen.