Pascale Baeriswyl sitzt entspannt am Tisch eines Restaurants im Margarethenpark mitten in ihrer Heimatstadt Basel. Bäume spenden Schatten, während sie an einem Glas Tonic-Wasser nippt. Die 56-jährige Diplomatin repräsentiert die Schweiz seit Anfang 2023 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Uno) in New York. Ihr Mandat dauert noch bis Ende 2024.
Am New Yorker East River sitzt Baeriswyl an einem Tisch mit Vertretern der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats: China, Frankreich, Grossbritannien, Russland und den USA. «Die Stimmung dort ist oft aggressiv. Es bereitet mir Sorge, wie die Ratsmitglieder – auch hinter verschlossenen Türen – bisweilen miteinander umgehen», sagt sie. Die Schweiz bekomme dies zwar nur selten direkt zu spüren. «Allerdings hat der russische Vertreter die Schweiz auch schon wegen mangelnder Neutralität im Ukraine-Krieg kritisiert.» Der Adrenalinspiegel könne in solchen Situationen steigen, formuliert es Baeriswyl diplomatisch.
«Klima der Polarisierung» verhindert Lösungen
Was Pascale Baeriswyl wirklich besorgt, ist aber etwas anderes. Im Sicherheitsrat mit seinen 15 Mitgliedstaaten werden Entscheide über Krieg und Frieden gefällt –aber dort herrsche ein Klima, bei dem «Polarisierung, Fragmentierung und geopolitische Spannungen den Multilateralismus stark schwächen und die Handlungsfähigkeit einschränken». Es mangle am politischen Willen, «konstruktiv zusammenzuarbeiten».
Dabei würde die Weltlage mit aktuell über 120 Konflikten ein solches Miteinander dringend erfordern, betont die Juristin. Schon vor 25 Jahren habe sich der damalige Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes Cornelio Sommaruga über die vielen Konflikte weltweit besorgt gezeigt – und damals seien es gerade mal 20 gewesen.
Der Vergleich zeigt auch, wie gross Baeriswyls Arbeitsvolumen ist: «Das Pensum ist sehr hoch», sagt die Baslerin. 2023 deckten sie und ihr 25-köpfiges Team in New York rund 800 Sitzungen ab. Mit welchem Ergebnis?
Vier Mal gelang es dem Sicherheitsrat, Resolutionen zum Nahostkonflikt zu verabschieden. Darunter auch zu einem Waffenstillstand, der von den Ratsmitgliedern vorgeschlagen wurde. Die Schweiz spielte dabei eine wichtige Vermittlerrolle. «Allerdings wurden diese Resolutionen bisher gar nicht oder nur ungenügend umgesetzt», kritisiert Baeriswyl.
Eine von der Schweiz eingebrachte Resolution fordert den Schutz humanitärer Helfer. Doch diese entfaltet laut Baeriswyl «erst eine begrenzte Wirkung».
Das ist eine Untertreibung, die das ganze Ausmass der vergeblichen Bemühungen kaum erfasst. Baeriswyl betont im Sicherheitsrat – «immer gemäss Instruktion aus der Berner Zentrale» – unermüdlich, dass Angriffe auf Zivilisten und humanitäres Personal sowie der Einsatz von Hunger als Kriegswaffe unbestreitbare Kriegsverbrechen sind. Doch im Gespräch schimmert die harte Realität durch: «Letzten Endes können wir nicht verhindern, dass humanitäre Helfer angegriffen werden.»
Nüchtern hält sie fest: «Der Sicherheitsrat ist nur ein Spiegelbild der weltweiten Lage. Seine Fähigkeit, diese Lage grundlegend zu ändern, ist begrenzt.» Trotzdem biete er Raum, «wo die Vertreter miteinander reden oder sich auch streiten können». Man sitze trotz allen Differenzen zusammen. Das sei sehr wichtig, um immer wieder Raum für Lösungen zu schaffen.
Mit Fondue und Jazz für den Frieden
Nicht zu unterschätzen sind auch Beziehungen zu den Ratskollegen ausserhalb des formellen Rahmens. So sass der Sicherheitsrat auch schon bei Baeriswyl am Esstisch. Die Baslerin lud die Mitglieder zu sich nach Hause zu einem Fondue ein – nachdem es im Sicherheitsrat wochenlang wüste Gefechte unter den Grossmächten gegeben hatte. Vor dem Essen habe sie mit einer Band auf dem Saxofon die Jazzballade «Search for Peace» gespielt, erzählt Baeriswyl. Das sollte symbolisch an das Mandat der Schweiz im Sicherheitsrat erinnern.
Dank dieser Art von Beziehungspflege gelinge es der Schweiz immer wieder, Erfolge zu erzielen –zum Beispiel die Verlängerung der EU-Friedensmission in Bosnien und Herzegowina oder die Resolutionen zu Waffenstillständen in Gaza oder dem Sudan.
Auch das ist Diplomatie. Und Baeriswyl scheint die Disziplin hervorragend zu beherrschen. Anders ist nicht zu erklären, weshalb eine ehemalige SP-Richterin im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) so viel Macht erhielt. Sie arbeitete als Richterin am Basler Zivilgericht, bevor sie 2000 in den diplomatischen Dienst eintrat. Der Bundesrat ernannte sie 2016 als erste Frau zur Staatssekretärin und Chefdiplomatin.
FDP-Mann Didier Burkhalter übergab ihr 2017 auch noch das EU-Dossier. Das begründet der Ex-Bundesrat heute mit ihrer «scharfen Intelligenz, ihrem Mut und der aussergewöhnlichen Arbeitskraft». Die Juristin, so Burkhalter, sei weder dogmatisch «noch verschlossen gegenüber anderen Meinungen», auch wenn sie ihre eigene leidenschaftlich verteidigen könne.
Ohne Seilschaften Botschafterin geworden
Burkhalter brach damals mit einer alten Tradition des EDA. Wer den Posten als Staatssekretär wollte, musste zum ersten Mal ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren bewältigen. Baeriswyl setzte sich durch. «Ich habe spät realisiert, wie ungewöhnlich meine Wahl war.» Das EDA sei eher traditionell, und Botschafterposten seien sehr lange auch mit Hilfe von Seilschaften verteilt worden.
Heute lebt Baeriswyl mit ihrem Mann, einem Computerwissenschafter, in New York. Die Baslerin hat zwei erwachsene Kinder und ist sich ihrer Pionierrolle mehr als bewusst. Selbstbewusst reiht sie sich neben bisherigen Grössen der Schweizer Diplomatie wie die Baslerinnen Heidi Tagliavini und Marianne von Grüningen ein. Ihnen hat sie sogar etwas voraus: «Ich war die erste Frau, die den Concours mit kleinen Kindern machte», sagt Baeriswyl. «Das war damals noch etwas exotisch. Zum Glück ist das heute völlig normal.»