Bei der Geburt eines Kinds sehen die meisten Arbeitsverträge bisher für Väter eine bezahlte Absenz von einem oder zwei Tagen vor. Nur wenige Branchen oder Betriebe sind grosszügiger.
Ab nächstem Jahr wird das anders. Die Stimmberechtigten nahmen am 27. September den Gegenentwurf des Parlaments zur Vaterschaftsinitiative an. Der Entwurf ändert vier Artikel des Obligationenrechts (OR) und ergänzt das Erwerbsersatzgesetz (EOG) um sechs neue Artikel.
Der Bundesrat erliess die Ausführungsbestimmungen im Eiltempo. Er änderte die Verordnung zum Erwerbsersatzgesetz (EOV) bereits am 21. Oktober und setzte den Vaterschaftsurlaub per 1. Januar 2021 in Kraft.
Der Urlaub für Väter orientiert sich an demjenigen für Mütter. Der Gesetzesentwurf stammt aus der Feder der Ständeratskommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Sie schrieb im Bericht vom 15. April 2019, ein Vaterschaftsurlaub könne zu einer «partnerschaftlicheren Rollenteilung in der Familie beitragen». Er ermögliche der Mutter und dem Vater bereits unmittelbar nach der Geburt des Kindes, «sich intensiv an dessen Betreuung und Erziehung zu beteiligen».
Laut OR haben Väter neu ab der Geburt des Kinds gegenüber dem Arbeitgeber Anspruch auf zwei Wochen Urlaub. Als Vater zählt, wer bei der Geburt rechtlicher Vater des Kinds ist oder dies innert sechs Monaten wird. Der Vater kann den Urlaub an einem Stück oder tageweise beziehen. Der Angestellte muss den Urlaub beim Betrieb beantragen. Dieser entscheidet darüber, er muss aber die Interessen des Vaters berücksichtigen. Bezieht der Vater den Urlaub nicht innert sechs Monaten seit der Geburt, verfällt der Anspruch. Kündigt der Arbeitgeber den Vertrag, bevor die sechsmonatige Frist verstrichen ist, verlängert sich das Arbeitsverhältnis um die noch nicht bezogenen Urlaubstage. Es sei denn, der Angestellte verzichte darauf. Bei einer Kündigung durch den Angestellten sieht das Gesetz hingegen keine Verlängerung vor.
Urlaub gilt auch bei neuem Arbeitgeber
Wechselt der Vater innert sechs Monaten nach der Geburt die Stelle, kann er einen beim bisherigen Arbeitgeber noch nicht bezogenen Urlaubsanspruch beim neuen Betrieb geltend machen. Diese Ansicht vertreten Thomas Geiser, emeritierter Professor an der Universität St. Gallen, und Kurt Pärli, Professor an der Universität Basel, auf Anfrage von plädoyer. Wird das Kind tot geboren oder stirbt es nach der Geburt, erlischt der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub. In diesem Punkt unterscheidet sich der Urlaub des Vaters von jenem der Mutter. Angestellte im Vaterschaftsurlaub haben keinen Anspruch auf Lohn, sondern auf Erwerbsersatz der EO. Das entspricht der Regelung des Mutterschaftsurlaubs.
Einen Anspruch auf Erwerbsersatz haben Väter, die während neun Monaten vor der Geburt des Kindes AHV-versichert waren. Bei einer kürzeren Schwangerschaft reduziert sich die Versicherungspflicht. Der Vater muss während der Schwangerschaft mindestens fünf Monate erwerbstätig gewesen sein.Väter haben Anspruch auf 14 Taggelder. Für eine Kalenderwoche gibt es 7 Taggelder. Bezieht ein Versicherter den Urlaub tageweise, erhält er für je 5 Tage Urlaub zwei zusätzliche Taggelder. Ein Taggeld beträgt wie bei der Mutterschaft 80 Prozent des durchschnittlichen Einkommens, maximal 196 Franken.
Die Taggelder kann der Vater selbst oder der Arbeitgeber beantragen, sofern dieser das Taggeld vorgeschossen hat. Laut einem Kreisschreiben des Bundesamts für Sozialversicherungen kann man den Antrag erst stellen, wenn ein Vater alle Urlaubstage bezogen hat oder die sechsmonatige Bezugsfrist für den Urlaub abgelaufen ist. Der Anspruch auf Erwerbsersatz verjährt fünfeinhalb Jahre nach der Geburt des Kinds. Zuständig ist die Ausgleichskasse des Betriebs, bei dem der Angestellte den letzten Tag des Urlaubs geltend gemacht hat.
Die neuen Regeln zum Vaterschaftsurlaub sagen nichts zum Übergangsrecht. In Artikel 16 j EOG heisst es lediglich: «Für den Bezug der Vaterschaftsentschädigung gilt eine Rahmenfrist von sechs Monaten.» Sowie: «Die Rahmenfrist und der Anspruch beginnen am Tag der Geburt des Kindes.» Das Erwerbsersatzgesetz lässt demnach die Frage offen, ob Väter bei einer Geburt des Kindes im zweiten Halbjahr 2020 nach Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2021 Anspruch auf Urlaub innert der Rahmenfrist haben. Die Materialien des Gesetzgebers schweigen sich dazu ebenfalls aus.
Die Frage betrifft viele Familien. Laut Bundesamt für Statistik ist in der zweiten Jahreshälfte 2020 mit über 40 000 Geburten zu rechnen. Diese Väter haben laut Bundesamt für Sozialversicherungen keinen Anspruch auf Erwerbsersatz. «Die Entschädigung kann erst für Geburten ab 2021 geltend gemacht werden», sagt Sprecher Harald Sohns. Ebenso sieht das Daniela Aloisi von der SVA Zürich, der grössten kantonalen Ausgleichskasse. «Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass auch Väter Vaterschaftsurlaub beziehen könnten, deren Kind im zweiten Halbjahr 2020 zur Welt gekommen ist, müsste dies im Gesetz geregelt worden sein», sagt sie. Das sei nicht der Fall: «Deshalb kann der Anspruch erst mit Geburten ab dem 1. Januar 2021 entstehen.»
Mehrere Professoren sehen dies anders. Thomas Gächter von der Universität Zürich sagt: «Entscheidend ist der Zeitpunkt des Urlaubsbezugs in der sechsmonatigen Rahmenfrist – nicht die Geburt.» Der Vaterschaftsurlaub gelte deshalb auch für Geburten im Jahr 2020, sofern der Bezug innert der sechsmonatigen Frist möglich sei.Thomas Geiser ist gleicher Meinung: Weil das Gesetz keine Übergangsbestimmungen enthalte, sei auf die allgemeinen Regeln des intertemporalen Rechts abzustellen. Das bedeute, dass der Vater Anspruch auf die nach dem 1. Januar 2021 verbleibenden Tage des Vaterschaftsurlaubs habe, sofern die Rahmenfrist noch nicht abgelaufen sei.
“Gleich regeln wie bei der Mutterschaftsversicherung”
Kurt Pärli stimmt ihm zu: «Da die Rahmenfrist für den Bezug des Vaterschaftsurlaubs sechs Monate dauert und am Tag der Geburt des Kindes zu laufen beginnt, kann das Kind auch im Jahr 2020 geboren sein und es kann trotzdem 2021 ein Anspruch auf Vaterschaftsurlaub entstehen.»
Patricia Usinger-Egger, Dozentin an der Universität Luzern, kommt zum gleichen Resultat. Der Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats vom 15. April 2019 spreche an mehreren Stellen von einer analogen Anwendung der Regeln zur Mutterschaftsentschädigung. Auch sie sah für Geburten vor Inkrafttreten der Änderungen einen Anspruch vor.
Ueli Kieser, Titularprofessor an der Universität St. Gallen, ist skeptischer: «Es wäre einfach und klar, nur bei Geburten ab nächstem Jahr einen Anspruch anzuerkennen.» Hingegen entspräche es der Zielsetzung des Gesetzes, auf die sechsmonatige Rahmenfrist abzustellen. Sein Fazit: «Es ist offen, wie die Gerichte entscheiden werden.»
Die Beiträge für den Erwerbsersatz steigen 2021 von 0,45 auf 0,5 Prozentpunkte. Geht man vom Medianlohn laut Bundesamt für Statistik für das Jahr 2018 aus (78 456 Franken), steigt der Beitrag für Erwerbstätige nächstes Jahr durchschnittlich um knapp 40 Franken auf 392 Franken. Arbeitgeber und Angestellte teilen sich den Beitrag.