Die Nachricht Ende 2014 war nicht neu, aber sie kam zum ersten Mal von offizieller Stelle in den USA: Die CIA hat nach den Anschlägen des 11. September 2001 an vielen Orten weltweit Folter angewandt. Dies dokumentiert für jeden einsehbar die eindrucksvolle Studie des Geheimdienstausschusses des US-Senats nach jahrelanger kleinteiliger Arbeit, wenn auch nur die teilweise eingeschwärzte Zusammenfassung von 500 Seiten veröffentlicht worden ist.
Der Geheimdienstausschuss untersuchte dafür das Gefangenenprogramm des Auslandsgeheimdiensts CIA und dabei vor allem dessen Geheimgefängnisse in Afghanistan, Thailand, Polen, Litauen und Rumänien. Andere US-Studien, insbesondere die überparteiliche Studie des Constitution Projects 2013 sowie der Bericht des Ausschusses über die Streitkräfte3 aus dem Jahr 2009, hatten sich bereits zuvor mit der Misshandlung von Gefangenen sowohl durch die CIA als auch das US-Militär befasst. Festzuhalten bleibt, dass die ab Ende 2001 entwickelten «erweiterten Verhörmethoden», zum Beispiel das sogenannte simulierte Ertrinken («waterboarding»), von verschiedenen US-Stellen in der globalen Terrorismusbekämpfung sowie in den bewaffneten Konflikten in Afghanistan und im Irak angewandt wurden. Eine Vielzahl dieser Verhörmethoden sowie vor allem die simultane und über einen langen Zeitraum wiederholte Anwendung mehrerer Methoden erfüllt die Definition von Folter des Artikels 1 der UN-Antifolterkonvention sowie weiterer nationaler Gesetze und völkerrechtlicher Abkommen.
Die USA haben die UN-Antifolterkonvention 1994 ratifiziert. Sie verpflichtet jeden der momentan 156 Mitgliedstaaten, Folter strafrechtlich zu sanktionieren und die auf ihrem Staatsgebiet anwesenden Täter zu verfolgen oder an einen anderen Staat zum Zwecke der Strafverfolgung auszuliefern, selbst wenn die Folter in einem anderen Land stattgefunden hat. Wenn Folter im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt begangen wurde, was auf die US-Folter in Afghanistan und im Irak zutrifft, liegt ein Kriegsverbrechen vor, das nach Artikel 146 der Dritten Genfer Konvention ebenfalls weltweit von allen Staaten strafrechtlich verfolgt und sanktioniert werden muss.
Keine Strafverfolgung in den USA
Auch nach US-Recht ist Folter strafbar und ein Verbrechen, etwa unter dem Federal Torture Statute4 oder als Kriegsverbrechen unter dem War Crimes Statute. Allerdings gibt es in den USA nicht das Legalitätsprinzip wie in vielen europäischen Staaten, wonach die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, von Amts wegen Ermittlungen aufzunehmen und Taten zu verfolgen. Es liegt vielmehr im politischen Ermessen der Strafverfolgungsbehörden auf Bundesebene, mithin des US-Justizministers selbst, eine Entscheidung über die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen zu treffen. Der Justizminister könnte die Strafverfolgung zum Beispiel an Sonderermittler delegieren, die dann unabhängiger über eine Einleitung von Strafverfahren entscheiden könnten.
Tatsächlich fanden Vorermittlungen zu CIA-Folter zwischen 2008 und 2011 durch den vom Justizministerium beauftragten Sonderermittler John Durham statt. Sie waren aber begrenzt auf unmittelbare Täter und auf Exzesstaten, die über die «erweiterten Verhörmethoden» hinausgingen. Diese Methoden selbst oder die Rolle von Entscheidungsträgern wie hochrangigen Armeeangehörigen oder politischen Beamten waren nicht Bestandteil der Vorermittlung, die rund hundert Fälle untersuchte, aber nur zwei zur Strafverfolgung vorschlug. Später wurden die Ermittlungen in diesen beiden Fällen vom Justizministerium ohne Anklagen eingestellt. So hat es bis heute keine Strafverfolgung gegen CIA-Beamte wegen Folter gegeben.
Ausgebremst mit Einstufung als «geheim»
Im Gegensatz dazu wurden Strafverfahren gegen ehemalige Beamte, die über das CIA-Folterprogramm als Whistleblower berichtet haben, eingeleitet. Die Argumentationslinie des Justizministeriums lautet: Ein Grossteil der für eine Strafverfolgung erforderlichen Beweismittel seien (streng) geheim und könnten aus diesem Grund nicht als Beweismittel in einem Strafprozess genutzt werden. Wer diese eingestuften Informationen öffentlich macht, sieht sich einer Strafverfolgung ausgesetzt. Ob die Einstufung als (streng) geheim aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich ist, wird sehr weit ausgelegt. So gelten sämtliche Aussagen von Opferzeugen als geheim. Wer in den USA eine Strafverfolgung initiieren will, muss an einer Änderung der Einstufungspraxis von Informationen ansetzen.
Aus den Reihen des US-Militärs und der Privatfirmen, die für das Militär gearbeitet haben, sind allein ein paar Wenige wegen Folter im US-Gefängnis in Abu Ghraib im Irak verurteilt worden. Zwischen 2005 und 2007 wurden elf Ex-Soldaten von Militärgerichten mit geringen Strafen und disziplinarischen Massnahmen belegt. Sie gelten seither im US-Sprachgebrauch als schwarze Schafe («rotten apples»). Doch höherrangige Verantwortliche für die Einführung und Nutzung der erweiterten Verhörmethoden wurden in den USA zu keinem Zeitpunkt verfolgt.
Ansätze zu einer Strafverfolgung im Ausland
Da alle Staaten verpflichtet sind, Folter und Kriegsverbrechen strafrechtlich zu sanktionieren, und in vielen Staaten das Legalitätsprinzip gilt, hat es wegen des US-Folterprogramms weltweit einige Ermittlungsverfahren und Verurteilungen von CIA-Agenten in Abwesenheit gegeben. Verantwortliche für das Folterprogramm der CIA wurden in Italien in Abwesenheit zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, da sie den Ägypter Abu Omar in Mailand entführt und dann zur Folter nach Ägypten verschleppt hatten.
Ebenso wurde in Deutschland gegen die Entführer und Folterer des deutschen Staatsbürgers Khaled El Masri ermittelt, der 2003 in Mazedonien entführt und nach Afghanistan verschleppt wurde. 13 Haftbefehle gegen CIA-Mitarbeiter waren das Resultat der Ermittlungen, allerdings weigert sich die deutsche Bundesregierung bis zum heutigen Tag, entsprechende Auslieferungsersuchen an die USA zu stellen. Ermittelt wird momentan noch in Polen und Litauen zu den dortigen Geheimgefängnissen, in die die CIA Personen verschleppte und folterte. Im Fokus der Ermittlungen steht auch die Verantwortlichkeit polnischer beziehungsweise litauischer Offizieller, die die Einrichtung der Geheimgefängnisse zu verantworten haben. Das Verfahren kommt aber nur schleppend voran, was Polen bereits eine Verurteilung wegen Verletzung des Beschwerderechts7 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eintrug.
Es ist dennoch offensichtlich, dass auch in Europa bislang nur Einzeltäter in einzelnen Fällen ins Visier der Ermittler geraten sind. Die Verantwortlichen für das Folterprogramm auf höheren und höchsten Ebenen konnten sich einer Verfolgung erfolgreich entziehen. Dies könnte sich nun durch den Bericht des Geheimdienstausschusses des US-Senats ändern. Denn der Bezug zu einzelnen Personen auf mittlerer Ebene, etwa im Fall El Masri, ist im Bericht recht klar. In der veröffentlichten Fassung sind die entsprechenden Stellen zwar geschwärzt, durch Medienberichte in den letzten Jahren sind die Verantwortlichkeiten aber eruierbar.
Die deutsche Bundesanwaltschaft hat angekündigt, die gesamte Studie anzufordern, um die Wiederaufnahme von Ermittlungen zu prüfen. Letztlich wird sich auch der damalige CIA-Direktor George Tenet erneut mit Fragen zu seiner Verantwortung für das Folterprogramm konfrontiert sehen. Er ist einer der Hauptverdächtigen, die in einer Strafanzeige8 der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Deutschland als Reaktion auf die Veröffentlichung des US-Senatsberichts genannt werden. Andere CIA-Verantwortliche wie der langjährige CIA-Chefberater John Rizzo haben angekündigt, nicht mehr nach Europa reisen zu wollen, da sie Festnahmen befürchten. Dasselbe dürfte für mehrere hundert Agenten des CIA-Folterprogramms gelten.
Auch gegen Angehörige der US-Armee wird wegen Anwendung der «erweiterten Verhörmethoden» weltweit ermittelt. In keinem der Verfahren gibt es jedoch Haftbefehle oder Verurteilungen. So ermitteln seit Jahren spanische und französische Richter wegen Folter an spanischen und französischen Staatsbürgern im US-Gefangenenlager in Guantánamo Bay (Kuba).9 In diesen Verfahren wurden die Aussagen von Folterüberlebenden aufgenommen, öffentlich zugängliche Dokumente und Materialien ausgewertet und Sachverständige angehört. Zudem wurden mehrfach Rechtshilfeersuchen an die USA gestellt, um Zugang zum Haftlager in Guantánamo sowie weitere Unterlagen und Beweismittel zu erhalten. Diese Rechtshilfeersuchen wurden bislang jedoch in keinem einzigen Fall beantwortet.
Erst Vorermittlungen der internationalen Strafjustiz
Auf Ebene der internationalen Strafjustiz hat der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag (Niederlande) seine eingeschränkte Zuständigkeit hinsichtlich einiger Aspekte des US-Folterprogramms festgestellt und Vorermittlungen aufgenommen. Hierbei geht es um Folter als Kriegsverbrechen durch US-Militärs in Afghanistan, seit 2003 Mitgliedsstaat des Römischen Statuts des Gerichtshofs.
Die Folterfälle durch US-Personal im Irak sind für die ICC-Ermittler ausser Reichweite, da weder die USA noch der Irak das Statut unterzeichnet haben. Immerhin hat der ICC Vorermittlungen wegen Folter durch britische Truppen im Irak aufgenommen, da das Vereinigte Königreich das Statut ratifiziert hat. In den Vorermittlungen bezüglich Afghanistan prüft die Anklagebehörde, ob es in den USA oder andernorts eine hinreichende Strafverfolgung gibt und welche Tätergruppen die Hauptverantwortung für die Folter in US-Einrichtungen tragen. Da es keine hinreichenden Ermittlungen zu Folterungen in Afghanistan gibt, lohnt es sich, näher zu verfolgen, wie die USA mit dieser Situation umgehen und ob die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs den nächsten Schritt hin zu einem formellen Ermittlungsverfahren gehen wird.
Im Rahmen der Vereinten Nationen haben Sonderberichterstatter die «erweiterten Verhörmethoden» durch die USA immer wieder kritisiert und als Folter eingestuft. Hierbei ist vor allem der gemeinsame Bericht von mehreren Berichterstattern und Arbeitsgruppen von 2010 zu nennen. Auch der UN-Antifolterausschuss rügte die USA mehrfach. Zuletzt haben Vertreter der US-Regierung in der turnusmässigen Anhörung der USA im November 2014 eingeräumt, dass Foltermethoden angewandt wurden.
Die Anwälte von Folteropfern sowie internationale Menschenrechtsorganisationen erhalten den Druck auf die USA aufrecht und unterstützen damit die Aufnahme und Fortführung von Ermittlungen weltweit. Dabei geht es vor allem um die «Architekten» des Folterprogramms, darunter der damalige Präsident George W. Bush, Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der damalige CIA-Direktor George Tenet sowie Berater und Juristen im Weissen Haus, im Verteidigungs- und Justizministerium sowie bei der CIA.
Verhaftung Bushs in der Schweiz angestrebt
Anfang 2010 versuchten die beiden Menschenrechtsorganisationen European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Center for Constitutional Rights als Vertreter ehemaliger und aktueller Guantánamo-Insassen in der Schweiz Ermittlungen gegen George W. Bush zu erwirken, sobald er Schweizer Boden betritt. Kurz vor dem Termin der Charity-Veranstaltung sagte Bush seine angekündigte Teilnahme ab.
Unmittelbar nach Veröffentlichung des Berichts des Geheimdienstausschusses des US-Senats stellte das ECCHR in Deutschland erneut Strafanzeige gegen die Hauptverantwortlichen des Folterprogramms und einzelne Mitarbeiter von Militär und CIA. Durch das Weltrechtsprinzip in Bezug auf Folter als Kriegsverbrechen ist für ein Ermittlungsverfahren nicht erforderlich, dass sich Tatverdächtige im Land aufhalten. So ermittelt der deutsche Generalbundesanwalt etwa seit Jahren zu Kriegsverbrechen in Syrien und sichert Beweismittel, obwohl es weder Tatverdächtige in Deutschland gibt, noch Täter oder Opfer deutsche Staatsangehörige sind.
Nach diesem Vorbild müsste er auch im Falle der US-Folter Ermittlungen beginnen und zumindest in Deutschland lebende Zeugen vernehmen. Künftige Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs zu Afghanistan oder die Bemühungen der spanischen und französischen sowie der polnischen und litauischen Justiz zu Guantánamo und den CIA-Geheimgefängnissen würden so unterstützt. Andere Länder könnten folgen und durch die Sicherung von Beweismitteln auf internationalem Rechtshilfeweg zu einzelnen Ermittlungen beitragen. Justizbehörden weltweit könnten so entscheidend dazu beitragen, massives Unrecht und systematische Verstösse gegen das globale und absolut geltende Folterverbot strafrechtlich aufzuarbeiten und zu sanktionieren.
Andreas Schüller
European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)