Das Gesetz über die betriebliche Unfallversicherung (UVG) datiert von 1984. Ein erster Anlauf zur Revision wurde vom Parlament 2011 an den Bundesrat zurückgewiesen. Dies mit dem Auftrag, sich bei der Revision auf das Wesentliche zu beschränken.
Daraufhin erarbeiteten der Baumeisterverband, der Gewerbeverband und die Gewerkschaften zusammen mit der Suva und dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) einen Kompromiss. Dieser Revisionsvorschlag wurde im September 2015 vom Ständerat mit 43 Ja ohne Gegenstimmen und vom Nationalrat mit 196 Ja ohne Gegenstimmen abgesegnet. Das neue Gesetz tritt am 1. Januar 2017 in Kraft.
Den Versicherungen ging es bei der Revision vor allem um die Reduktion der gemäss bisherigem Gesetz lebenslang zu bezahlenden Renten. Auch im revidierten Gesetz wird der Anspruch auf eine Unfallrente aber erst mit dem Tod des Versicherten enden. Neu werden jedoch die Renten nach Erreichen des AHV-Alters gekürzt, wenn die versicherte Person im Unfallzeitpunkt älter als 45 Jahre war.
Kürzungen von bis zu 40 Prozent
Konkret: Beträgt der Invaliditätsgrad mindestens 40 Prozent, wird die Rente für jedes Jahr um 2 Prozent gekürzt, um das der Unfallzeitpunkt über Alter 45 lag. Die Kürzung ist also umso höher, je älter der Invalide im Unfallzeitpunkt war. Die maximale Kürzung beträgt 40 Prozent.
Bei einem Invaliditätsgrad von unter 40 Prozent beträgt die Kürzung 1 Prozent pro Jahr über dem Alter 45 im Unfallzeitpunkt. Bei den tiefen Renten beträgt also die maximale Kürzung gegenüber heute 20 Prozent.
Ueli Kieser, Rechtsanwalt und Professor an der Universität St. Gallen, stellt deshalb fest: «Insgesamt wird dies bei Unfallversicherten, die eine Rente beziehen, spürbare Auswirkungen haben.» Immerhin könnten diese Kürzungen allenfalls durch höhere Leistungen der Pensionskasse aufgefangen werden.
Positiv für die Versicherten sind einzig drei kleine Änderungen, die aufgrund redaktioneller Ungenauigkeiten im bisherigen Gesetz nötig wurden:
Neu sind Angestellte ab dem Tag versichert, an dem das Arbeitsverhältnis beginnt. Dies wirkt sich dann aus, wenn der erste Tag des Arbeitsverhältnisses auf einen arbeitsfreien Samstag oder Sonntag fällt – beispielsweise am 1. Januar, 1. Mai und 1. August. Bisher bestand die Versicherungsdeckung erst ab dem ersten Arbeitstag.
Neu dauert die Nachdeckung bei Verlassen der Stelle nicht mehr 30 Tage, sondern einen Monat. So entsteht auch bei 31-tägigen Monaten keine Versicherungslücke für Freizeitunfälle, wenn jemand zwischen zwei Stellen einen Monat Pause macht.
Eine geringfügige Verbesserung bringt die Revision auch bei unfallähnlichen Körperschäden. Neu ist klar, welche Verletzungen darunterfallen. Sie sind nun abschliessend im Gesetz aufgezählt. Zum Beispiel Knochenbrüche, Muskelrisse, Meniskusrisse oder Trommelfellverletzungen. Bei solchen Ereignissen wird die Leistungspflicht der Unfallversicherung vermutet, wenn sie nicht beweist, dass die Körperschädigung vorwiegend auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführen ist. Ein äusserer, die Verletzung verursachender Faktor ist für unfallähnliche Körperschäden nicht mehr notwendig.
Neubeurteilung des Direktschadens nötig
Der Solothurner Rechtsanwalt Rémy Wyssmann kritisiert: «Mit dem revidierten Gesetz wird einmal mehr eine einfache Lösung durch eine komplizierte ersetzt.» Zu den Auswirkungen im Haftpflichtrecht verweist er auf die Kongruenz der Unfallversicherungsleistungen nach dem AHV-Alter zum haftpflichtrechtlichen Rentenschaden. Werde die Unfallrente neu degressiv ausgestaltet, müsse der haftpflichtrechtliche Direktschaden neu beurteilt und berechnet werden.
Auch der Luzerner Haftpflichtrechtler Christian Haag zeigt auf diesen Nachteil der Revision. Bei einer Kürzung der UVG-Rente im Alter steige grundsätzlich der Rentendirektschaden aus Haftpflichtrecht.
Mit Folgen: «Die UVG-Rente wird mittels Verfügung im Rahmen der Offizialmaxime festgelegt. Eine Einsprache und das Gerichtsverfahren sind kostenlos.» Der Rentendirektschaden hingegen müsse gegen die Haftpflichtversicherung im Streitfall in einem aufwendigen und teuren Zivilprozess durchgesetzt werden. Konsequenz: Solche Prozesse könnten sich nur noch arme Parteien mit unentgeltlicher Rechtspflege, Reiche oder Rechtsschutzversicherte leisten (plädoyer 4/2012). «Zudem droht hier für Laien die Verjährungsfalle», warnt Christian Haag.
plädoyer fragte die Versicherungsgesellschaften, die mit der obligatorischen Unfallversicherung bisher ein gutes Geschäft machten, ob nun auch die Prämien sinken, wenn die Leistungen deutlich reduziert werden.
Bei der Helsana sagt Sprecher Stefan Heini: «Wir können im Moment die Kostenfolgen der Revision und die Auswirkungen auf die Prämien noch nicht abschliessend beziffern.» Auch für die Helvetia-Versicherung ist der Zeitpunkt für eine Einschätzung «zu früh». Bei der Basler-Versicherung will man zu den Prämien nichts sagen. Die Änderungen würden mittelfristig aber in die Tarifberechnungen zugunsten der Versicherten einfliessen, sagt Mediensprecher Amos Winteler.
Die Suva behauptet, es handle sich «nicht um einen Leistungsabbau». Im nächsten Satz aber spricht sie dann doch von Kürzungen: «Das Parlament hat eine eher lange Übergangsfrist von acht Jahren beschlossen. Das bedeutet, dass Personen mit einer Unfallversicherungsrente, die innerhalb von acht Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes ins Pensionsalter eintreten, nicht von der Kürzung betroffen sind», so Suva-Sprecher Takashi Sugimoto.
Nathalie Vidal von der ZürichVersicherung meint, die UVG-Revision würde auf der einen Seite zwar schon eine Senkung der Prämie bewirken. «Gleichzeitig steigen die Gesundheitskosten und beeinflussen im Bereich der Spital- und Heilungskosten den Tarif.» Dieser Einfluss sei höher als jener der Rentensenkung.
Auch Lorenz Heinzer von der Axa-Winterthur macht eine Kompensation der Einsparung der Rentenkürzung mit steigenden Aufwänden für Taggelder und Heilungskosten geltend: «Deshalb können die Prämien nicht reduziert werden.»