Vernünftige Familiensache
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Plädoyer 03/2021
25.05.2021
Benjamin Rothschild
Der Zweckbeschrieb der Zuger Landtwing-Familienstiftung vermittelt einen Hauch aus Gotthelfs Zeiten: Da ist von den «Ärmeren» die Rede und von Söhnen, die «vorzügliche Geistesanlagen zeigen», die vom Stiftungsertrag profitieren sollen. Die «weibliche Nachkommenschaft» ist von den Stiftungsgeldern ausgeschlossen. Ausnahme: Nur «wenn einmal der ganz Zins disponibel ist, mag Töchtern von wirklichen Anteilhabern im Falle der Verar...
Der Zweckbeschrieb der Zuger Landtwing-Familienstiftung vermittelt einen Hauch aus Gotthelfs Zeiten: Da ist von den «Ärmeren» die Rede und von Söhnen, die «vorzügliche Geistesanlagen zeigen», die vom Stiftungsertrag profitieren sollen. Die «weibliche Nachkommenschaft» ist von den Stiftungsgeldern ausgeschlossen. Ausnahme: Nur «wenn einmal der ganz Zins disponibel ist, mag Töchtern von wirklichen Anteilhabern im Falle der Verarmung eine milde Unterstützung gereicht werden».
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Das klingt nach frühem 19. Jahrhundert. Die Stiftungsurkunde datiert denn auch vom 25. Oktober 1828. Trotzdem wurde die Stiftung erst jüngst ins Handelsregister des Kantons Zug eingetragen und der Zweckbeschrieb am 5. Februar 2021 im Amtsblatt publiziert. Aber ist eine derart anachronistische Ungleichbehandlung der Geschlechter heutzutage überhaupt noch zulässig?
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Der aktuelle Registereintrag geht auf eine Änderung des Zivilgesetzbuchs zurück. 2016 erhielten Familienstiftungen in der Schweiz fünf Jahre Zeit, ihre Rechtspersönlichkeit durch den Eintrag zu bestätigen. Hintergrund ist eine Empfehlung der Financial Action Task Force, einer Institution, die sich den Kampf gegen Geldwäscherei auf die Fahnen geschrieben hat. Dominique Jakob, Leiter des Zentrums für Stiftungsrecht an der Universität Zürich: «Es gibt viele Stiftungen, die seit Urzeiten im Vertraulichen existierten und nun plötzlich ans Tageslicht traten.» Die Landtwing-Familienstiftung ist eine davon.
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Der Zweck einer Stiftung darf laut Artikel 52 ZGB weder unsittlich noch widerrechtlich sein. An den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz ist ein privater Stifter laut Jakob aber nicht gebunden. Kommt hinzu, dass der Wille des Stifters die oberste Richtschnur darstellt und nur unter besonderen Voraussetzungen abgeändert werden kann. Familienstiftungen stehen im Gegensatz zu anderen Stiftungen nicht unter staatlicher Aufsicht. Deshalb müssten Gerichte über die Widerrechtlichkeit des Stiftungszwecks entscheiden, wenn sie von Benachteiligten angerufen werden.
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Im Falle der Zuger Landtwing-Stiftung wären die Chancen für eine klagende «weibliche Nachkommenschaft» also unsicher. Der Stiftungsrat wollte sich nicht zur Problematik des Stiftungszwecks äussern. Der Eintrag im Handelsregister zeigt, dass im Stiftungsrat heute mehrere Frauen sitzen. Beim Bürgerrat der Stadt Zug, bei dem die Stiftung ihr Domizil hat, hat eine Mitarbeiterin eine klare Meinung zum männerfreundlichen Zweck der Stiftung: «Früher waren die Leute eben noch vernünftig!»