Das Schweizer Justizsystem ist reformbedürftig», sagt Werner Zumbrunn. Der streitbare 71-jährige Baselbieter Elektroingenieur hatte als Mitarbeiter der Industriellen Werke Basel Verstösse gegen das Wettbewerbsrecht offengelegt. Er wurde entlassen, fand eine neue Stelle an einer Fachhochschule, bekam wieder Ärger mit den Vorgesetzten und wurde erneut entlassen.
Grund für das Zerwürfnis: der Streit über eine Erfindung Zumbrunns, konkret über die Patentanmeldung der Fachhochschule in den USA und über die Höhe des ihm zustehenden Erlöses. Der Elektroingenieur wirft mehreren Vorgesetzten ungetreue Geschäftsbesorgung und Veruntreuung vor, seiner Arbeitgeberin Persönlichkeitsverletzung und eine missbräuchliche Kündigung.
Ein einsamer Kampf gegen die Justiz
Spätestens seit diesem zweiten Grosskonflikt am Arbeitsplatz führt der unnachgiebige Senior und mehrfache Grossvater einen unermüdlichen Kampf gegen die Justiz – allein, ohne Rechtsbeistand. Einen Rechtsanwalt könne er sich längst nicht mehr leisten, sagt Werner Zumbrunn. Er hat zahlreiche Zivil- und Strafklagen eingereicht, zieht sämtliche rechtlichen Register – und verliert in den meisten Fällen. Inzwischen vermutet Zumbrunn in der Strafverfolgung wie auch in der hiesigen Gerichtsbarkeit flächendeckend Willkür, Unfähigkeit, Lug und Trug – von der ersten bis zur letzten Instanz.
Eine von Werner Zumbrunns jüngsten Fehden endete vor Bundesgericht. Der Rechtsstreit betraf seine Strafanzeige gegen die Vorgesetzten an der Fachhochschule oder vielmehr die Einstellungsverfügung der zuständigen Staatsanwaltschaft. Die Strafverfolger hätten gar nie richtig untersucht, sagt Zumbrunn.
Teils Zivilforderung nötig für Gang ans Bundesgericht
Mit seinem erfolglosen Kampf für die Durchführung einer Strafuntersuchung berührt Zumbrunn eine aktuelle Problematik: die geplante Einschränkung der Beschwerdelegitimation von Geschädigten.
Nach den Vorstellungen des Bundesrats soll das Rad wieder zurückgedreht werden. Im Rahmen der Revision des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) schlägt er vor, Artikel 81 dahingehend einzuschränken, dass fast nur noch Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes zur Strafrechtsbeschwerde ans Bundesgericht legitimiert sind. Alle anderen Geschädigten dürften sich bloss noch dann ans höchste Gericht wenden, wenn ihre Straf- oder Zivilklage im angefochtenen Entscheid materiell beurteilt wurde. «Damit entfällt für sie das Beschwerderecht, wenn ein Strafverfahren nicht eingeleitet oder eingestellt worden ist oder wenn eine Vorinstanz auf die Beschwerde nicht eingetreten ist», schreibt das Bundesamt für Justiz im Vernehmlassungsbericht. Im Juni dieses Jahres veröffentlichte der Bundesrat seine Botschaft zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes (siehe Unten).
Beim Umgang mit der Beschwerdelegitimation in Strafsachen herrscht ein Hin und Her. Seit der Einführung der eidgenössischen Strafprozessordnung, also seit Januar 2011, sind Geschädigte zur Beschwerde ans Bundesgericht berechtigt, wenn sie kumulativ zwei Voraussetzungen erfüllen: Sie haben erstens am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen oder dafür keine Möglichkeit erhalten, und sie haben zweitens in materieller Hinsicht ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids.
Konkret verlangt die heutige Bundesgerichtspraxis eine Zivilforderung des Geschädigten oder Privatklägers, um etwa mit einer Beschwerde gegen einen Freispruch das oberste Gericht anrufen zu können. Dies im Unterschied zu den kantonalen Verfahren, die sich nach der Strafprozessordnung und nicht nach dem BGG richten. In kantonalen Verfahren sind Zivilforderungen keine notwendige Voraussetzung für die Legitimation von Geschädigten.
Anwaltsverband kritisiert “unakzeptable Änderung”
In der ursprünglichen, 2007 in Kraft getretenen Fassung des BGG waren grundsätzlich nur Opfer im Sinn des Opferhilfegesetzes zur Beschwerde ans Bundesgericht berechtigt. Diesen früheren Zustand will der Bundesrat mit seiner Botschaft zur Revision des BGG nun wiederherstellen.
Sowohl die Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS) als auch der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) kritisieren die geplante Einschränkung. Die DJS schreiben in ihrer Stellungnahme, wenn nur noch Geschädigte zugelassen würden, deren Anliegen von der Vorinstanz materiell geprüft worden seien, entstehe ein «gewisses Missbrauchspotenzial». Dadurch hätten es die Vorinstanzen in der Hand, selber zu bestimmen, ob ihre Entscheide einer bundesgerichtlichen Kontrolle unterliegen oder nicht.
Der SAV wiederum schreibt von einer «nicht akzeptablen» Änderung, die zudem im Widerspruch zur Strafprozessordnung stehe und nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche.
Das letzte Wort in Sachen Artikel 81 BGG ist auf jeden Fall noch nicht gesprochen, die parlamentarischen Beratungen stehen noch aus.
Revisionsvorlage: Nur noch Fälle von “grosser rechtlicher Bedeutung” fürs Bundesgericht
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Revision des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) steht unter dem Motto: Konzentration auf Fälle von grosser Bedeutung – Entlastung von vermeintlich kleinen Fällen. «Das Bundesgericht soll seine Kapazität damit gezielter einsetzen können, ohne dass der Rechtsschutz eingeschränkt wird», heisst es in der Medienmitteilung zur Mitte Juni veröffentlichten Botschaft.
Zu den genannten «einfachen Fällen» gehört auch die Beschwerdelegitimation von Geschädigten im Strafverfahren. Die heute geltende Regelung von Artikel 81 BGG habe zu einem deutlichen Anstieg der Beschwerden geführt, wird in der Botschaft des Bundesrats vermerkt. Häufig gehe es nicht um materielle Strafurteile, sondern um Nicheintretensentscheide oder um die Einstellung von Strafverfahren. Die Erfolgsquote dieser Beschwerden sei jedoch klein: Gemäss Bundesrat gingen 2017 beim Bundesgericht 334 Beschwerden von Privatklägern gegen Einstellungsverfügungen und Nichteintretensentscheide ein. Davon stammten 66 von Opfern im Sinn des Opferhilfegesetzes, 268 von anderen Geschädigten. Von den rund 250 Beschwerden, die 2017 behandelt wurden, sprach das Bundesgericht weniger als 9 Prozent gut. Betrachtet man sämtliche Beschwerden in Strafsachen, beträgt die Gutheissungsquote im gleichen Zeitraum 16 Prozent.
Deutlich eingeschränkt werden soll nach dem Willen des Bundesrats mit der Revision des BGG auch die Beschwerdelegitimation im Ausländerrecht. Wer sich weniger als zehn Jahre rechtmässig in der Schweiz aufhält oder noch keine Niederlassungsbewilligung besitzt, kann faktisch kaum mehr das höchste Gericht anrufen.