Für den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Edöb) Adrian Lobsiger ist das Öffentlichkeitsgesetz eine Erfolgsgeschichte: «Das Gesetz ist mit den Jahren bekannter und beliebter geworden.» Ähnlich sieht es Martin Stoll, Journalist und Geschäftsführer des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch: «Das Öffentlichkeitsgesetz ist ein Werkzeug für immer mehr Leute und Institutionen. Medien arbeiten damit, aber auch NGOs und sogar Quartiervereine.»
Das Öffentlichkeitsgesetz des Bundes (BGÖ) trat 2006 in Kraft. In der Verwaltung fand mit dem neuen Gesetz der Wechsel vom Geheimhaltungsgrundsatz zum Öffentlichkeitsprinzip statt: Abgesehen von Ausnahmen, sollten alle Verwaltungsdokumente öffentlich zugänglich sein.
Misstrauen gegenüber mehr Öffentlichkeit
Die meisten Kantone zogen nach. Allerdings gibt es bis heute zum Teil grosse Unterschiede in der Ausgestaltung der kantonalen Öffentlichkeitsgesetze und im Umgang mit ihnen. «In einigen Kantonen wurden die Öffentlichkeitsgesetze selten angewandt», sagt Stoll, «und es herrscht teils ein Unwissen im Umgang mit dem Thema.» Bei vielen Behörden seien die Öffentlichkeitsgesetze nach wie vor unbeliebt. Man begegne ihnen mit einem gewissen Misstrauen: «Es ist ein ständiges Seilziehen zwischen Transparenz- und Geheimhaltungsinteressen.» Dieses Seilziehen zeigt sich aktuell in mehreren Kantonen – und immer wieder auch auf Bundesebene.
Nach Stolls Erfahrung wird das Öffentlichkeitsgesetz beim Bund «besser gepflegt» als auf kantonaler Ebene. Und in der Person des Edöb gibt es seit Einführung des Öffentlichkeitsgesetzes eine Schlichtungsstelle. An ihn kann sich wenden, wer von einer Behörde Dokumente herausverlangt, diese aber nicht oder nur unvollständig erhält. Das Schlichtungsverfahren ist kostenlos und einem allfälligen Gerichtsverfahren vorgelagert. Kommt es zu keiner Einigung, muss der Edöb eine Empfehlung geben.
Laut Adrian Lobsiger gab es auf Bundesebene vor sechs Jahren noch um die rund 600 Zugangsgesuche pro Jahr. Im Jahr 2022 waren es mit knapp 1200 etwa doppelt so viele. Und die Zahl sei im Jahr 2023 weiter gestiegen. Gleichzeitig gingen beim Edöb mehr Anträge auf Schlichtungsverfahren ein.
Mutlose Regelung der Kostenbefreiung
Gestärkt werden sollte die Transparenz mit einer Änderung des Öffentlichkeitsgesetzes, die seit November in Kraft ist. So gilt neu der Grundsatz, dass der Zugang zu amtlichen Dokumenten grundsätzlich kostenlos ist. Zuvor war dies die Ausnahme und eine Gebühr die Regel. Gemäss Lobsiger wurde sie allerdings nur in zwei bis drei Prozent aller Fälle erhoben. «Das Problem war die Uneinheitlichkeit», sagt der Edöb. «Es gab Departemente, die so gut wie nie Gebühren verlangten, und andere, die dies taten. Nun gilt das Prinzip der Gebührenfreiheit für die ganze Bundesverwaltung.»
Die Verordnung über das Öffentlichkeitsprinzip (VBGÖ) hält fest, dass eine Gebühr verlangt werden kann, wenn ein Zugangsgesuch mehr als acht Stunden Arbeitsaufwand verursacht. «Diese Limite ist eher niedrig, wir hätten sie bei rund 30 Stunden angesetzt», sagt Lobsiger. Jedoch müsse sich erst zeigen, wie die Behörden damit umgehen und wie rasch die «Acht-Stunden-Barriere» in der Praxis jeweils falle. Martin Stoll bezeichnet einen Arbeitsaufwand von acht Stunden als wenig und die Limite als «mutlos».
Allgemein sei der Aufwand für die Verwaltung mit den Jahren gestiegen, sagt Lobsiger. Nicht nur wegen mehr Zugangsgesuchen, sondern auch, weil häufiger Dokumente über einen längeren Zeitraum, die in grossen Mengen anfallen können, herausverlangt würden – etwa E-Mail-Kommunikationen. Auch die Rechtsfragen seien im Laufe der Jahre anspruchsvoller geworden. Dieser Mehraufwand führe bei manchen Behörden zu einem Abwehrreflex – und immer wieder zum Versuch, in Spezialgesetzen den Zugang auszuschliessen. In einigen Fällen geschah dies per Notrecht wie zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Axpo-Rettungsschirm oder im Fall Credit Suisse.
Lobsiger publizierte im jüngsten Tätigkeitsbericht eine Übersicht über die «spezialgesetzlichen Vorbehalte». Es sind rund 30 – und die Liste werde länger. «Solche Ausnahmen vom Geltungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes führen zu einer Schwächung des Öffentlichkeitsprinzips und der damit bezweckten Verwaltungstransparenz», sagt Lobsiger.
Niederlagen vor Gericht mit Gesetz übersteuert
Den Grund für dieses Vorgehen sieht Lobsiger unter anderem in einer «gewissen Frustration», die sich in einigen Verwaltungseinheiten breitgemacht habe. Trotz teils kostspieliger anwaltlicher Vertretung unterlägen diese in Rechtsstreitigkeiten immer wieder auf dem Rechtsweg.
So etwa das Bundesamt für Verkehr und die SBB, die sich gegen die Veröffentlichung von Störungs- und Gefährdungsmeldungen im öffentlichen Verkehr wehrten. Nachdem das Bundesgericht zu ihren Ungunsten entschieden hatte, verankerte das Parlament auf Vorschlag der ehemaligen Mitte-Bundesrätin Doris Leuthard den Ausschluss des Öffentlichkeitsgesetzes in verschiedenen Transportgesetzen wie dem Eisenbahn- und dem Seilbahngesetz.
Mittlerweile versuchten einige Behörden, Niederlagen vor den Gerichten zu vermeiden, indem sie auf eine Gesetzesänderung hinwirken, sagt Lobsiger. Dies in der Annahme, der Edöb und die Gerichte gäben ihnen sowieso nicht recht. Dabei treffe es nicht zu, dass der Edöb dazu neige, den Gesuchstellern recht zu geben. Es gebe zum Teil durchaus berechtigte staatliche Interessen an einer Geheimhaltung, sagt Lobsiger. «Teile der Bundesverwaltungen neigen aber dazu, ihre Argumente nicht sauber darzulegen.»
Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen bleiben geheim
Die Wogen hochgehen liess die Diskussion über Transparenz jüngst auch in einigen Kantonen.Im Kanton Zürich entdeckte Martin Stoll im Entwurf des neuen Gesetzes über die Information und den Datenschutz (IDG) plötzlich einen Paragrafen 18b. Diesem zufolge sind «bei den übrigen öffentlichen Organen die Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen vom Informationszugang ausgenommen.» Der entsprechende Passus wurde erst nach durchgeführtem Vernehmlassungsverfahren in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Wer dies anregte, ist unklar.
Stoll kennt entsprechende Regelungen aus Öffentlichkeitsgesetzen anderer Kantone, bezeichnet den Ausschluss von Sitzungsprotokollen aber gleichwohl als «einschneidend». «Damit wird der Grundgedanke des Öffentlichkeitsprinzips torpediert: Entscheide der Behörden nachvollziehen zu können», sagt er.
Zwar seien die Protokolle von Behördensitzungen in den letzten Jahren ohnehin summarischer geworden, da die Verantwortlichen aufgrund der Öffentlichkeitsgesetze vorsichtiger geworden seien. Statt Wortprotokollen würden vorwiegend Beschlussprotokolle angefertigt. Doch auch diese könnten aufschlussreich sein, so Stoll.
Öffentliches Interesse als Vorwand für Geheimhaltung
Den Entwurf des Zürcher IDG kritisiert Stoll auch wegen Paragraf 11, der die «überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen» auflistet, die der Bekanntgabe einer Information entgegenstehen können. Ein solches Interesse ist laut Entwurf die Beeinträchtigung des «Kollegialitätsprinzips eines öffentlichen Organs».
Gemäss Stoll war es erneut ein Bundesgerichtsurteil, das zu dieser Bestimmung führte: Das höchste Schweizer Gericht stützte im Juli 2021 die Argumentation des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch, wonach auch Dokumente interkantonaler Organisationen – konkret ging es um die Gesundheitsdirektorenkonferenz – dem Öffentlichkeitsprinzip unterliegen. «Mit der Aufnahme des Kollegialitätsprinzips als möglichem Ausschlussgrund im Gesetz will der Kanton Zürich solche Dokumente vom Öffentlichkeitsprinzip ausnehmen.» Erneut erfolge auf eine Rechtsprechung im Sinne der Transparenz eine Gegenreaktion Richtung Geheimhaltung via Gesetzgebung.
Beim Zürcher IDG ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das Gesetz wird in der Kommission für Staat und Gemeinden im Kantonsrat behandelt. Kantonsrätin Judith Stofer (AL) kritisiert am Gesetzesentwurf auch, dass zwar neu die Stelle eines Öffentlichkeitsbeauftragten geplant ist, der bei Streit vermitteln soll. Ein Schlichtungsverfahren, wie es der Bund und auch andere Kantone kennen, sei aber nicht vorgesehen.
«Tradition der Geheimniskrämerei»
Luzern gehört zu den letzten Kantonen, die über kein Öffentlichkeitsgesetz verfügen. Mehrere Versuche einer Einführung scheiterten. Im letzten Jahr legte die Regierung mit dem geänderten Gesetz über die Organisation von Regierung und Verwaltung (OG) eine neue Vorlage vor.
Viel Kritik gibt es von den Grünen. Laut Kantonsrat Gian Waldvogel handle es sich um eine «absolute Minimalvariante»: «Es ist fraglich, ob man diesen Erlass als Öffentlichkeitsgesetz bezeichnen kann.» Waldvogel spricht von einer «Tradition der Geheimniskrämerei in diesem urkatholischen Kanton», die im Gesetzesentwurf zum Ausdruck komme.
Ein konkreter Kritikpunkt ist der enge Geltungsbereich des neuen OG. So sollen zum Beispiel Spitäler nicht unter das Gesetz fallen. Auch stösst sich Waldvogel an den vielen Ausschlusskriterien. So soll der Zugang zu Dokumenten aufgeschoben werden können, «wenn zunächst die Öffentlichkeit informiert werden soll». Der Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch schreibt in seiner Vernehmlassung, die Bestimmung lege nahe, «dass die Verfasser den Geist und die zentrale Absicht des Öffentlichkeitsprinzips nicht verstanden haben».
Einen anderen Weg beschreitet der Kanton Uri. Dort reagierte die Regierung positiv auf die Motion eines Landrats, die «zeitgemässe Anpassungen» im Öffentlichkeitsgesetz fordert. So soll eine Informationsanfrage neu auf elektronischem Weg möglich sein. Und die Rolle des Datenschutzbeauftragten als Schlichter bei allfälligen Einigungsversuchen soll gestärkt werden.
Mehr Verfügungsmacht für obersten Datenschützer
Im Zusammenhang mit einer Erpressungsaffäre rund um den ehemaligen Bundesrat Alain Berset waren Dokumente aus dem Eidgenössischen Departement des Innern «nicht mehr auffindbar».
Der Sachverhalt landete vor dem Edöb. Auch die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats versuchte, der Sache auf den Grund zu gehen.
In einem Bericht vom Oktober 2023 befasst sich die Kommission auch mit der Rolle des Edöb und hält fest, dass das Generalsekretariat von Bersets Departement des Innern sich weigerte, dem Edöb Einsicht in Dokumente zu gewähren. Damit sei es «seinen rechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen». Die Kommission lädt den Bundesrat ein, «eine Änderung des BGÖ zu prüfen, wonach dem Edöb ein Interventions- und Verfügungsrecht eingeräumt wird, wenn sein Einsichtsrecht nicht respektiert wird».
Anfang 2024 erklärte sich der Bundesrat bereit, Interventionsmöglichkeiten des Edöb zu prüfen, und beauftragte das Justizdepartement, entsprechende Abklärungen zu machen.