Hätte es nicht die alten Römer gegeben, wäre aus Ulrike Babusiaux kaum eine Juristin geworden, und sie würde heute nicht in der Aula der Universität Zürich stehen, wo über vierhundert Studierende auf ihre Vorlesung «Einführung in das Privatrecht auf der Grundlage des Römischen Rechts» warten. Beinahe hätte die Rechtsprofessorin ihr Jus-Studium schon nach dem ersten Semester abgebrochen. Dabei wollte sie als Kind nichts anderes werden als Wissenschaftlerin. «Ich habe immer schon gemerkt, dass ich mich gerne in Dinge vertiefe und anders an die Dinge herangehe als andere Leute», erklärt sie sich das anspruchsvolle Berufsziel. Ein gesundes Selbstbewusstsein hat die junge Deutsche wohl schon damals ausgezeichnet. Alles wollte sie hinterfragen und hatte Streit mit dem Pfarrer, als sie ihn im Kommunionsunterricht nach der Bedeutung der Ewigkeit fragte.
Mit 16 lernte Babusiaux ihren späteren Mann, einen Franzosen, kennen. Deshalb entschied sie sich für das Doppelstudium des deutschen und französischen Rechts in Saarbrücken. Das «Klein-Klein» im Jus-Studium machte ihr anfänglich Mühe. Aus der Krise heraus halfen ihr die Rechtsgeschichte und ihr späterer Doktorvater, der ihr zeigte, wie spannend Römisches Recht sein kann. Auch nach dem Studium blieb sie den alten Römern treu. Sie schrieb Dissertation und Habilitationsschrift zum Römischen Recht. Im Juli 2009 habilitierte sie an der Universität des Saarlandes und übernahm im Oktober 2009 den Lehrstuhl für Römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Zürich.
«Eigentlich bin ich hier in der Bestimmung», sagt die 37-Jährige heute. «Es ist das, was mir Freude macht, das Hinterfragen und Nachbohren.» Das beweist Ulrike Babusiaux auch in ihren Lehrveranstaltungen: «Es gibt eine antike Lehrtradition, in der man Fragen stellt und diskutiert. Das mache ich auch mit den Studenten. Wenn man die Fragen immer wieder stellt, kommen auch neue Antworten.» Auch bei ihrer Vorlesung in der Aula mangelt es nicht an Fragen. Wie lässt sich dies oder jenes begründen? Können Sie Beispiele dafür nennen? Die Antworten sind in den hinteren Reihen kaum zu verstehen. Doch die Professorin weiss darum und wiederholt jede Antwort, bevor sie diese kommentiert.
Die junge Professorin wirkt, wie sie vorne im grossen Saal steht, klein und zierlich. Doch sobald sie zu reden beginnt, wird ihre Stärke und Präsenz deutlich. Sie spricht frei und klar strukturiert. Sie bewegt sich und wandert durch die Reihen nach hinten. Wenn der Lärmpegel ein erträgliches Mass überschreitet, bittet sie energisch um Ruhe. Fragen solle man doch an sie und bitte nicht an den Nachbarn richten, mahnt sie und fährt fort, das Pfandrecht der Römer zu analysieren.
Im Gespräch beeindruckt sie durch rasche, griffige Antworten. In wenigen Minuten wird ein breites Spektrum an Themen abgehandelt. Über besonders treffende oder leicht übertriebene Formulierungen muss sie selbst leise lachen. Was ist denn so spannend am Römischen Recht, möchte man wissen. Babusiaux bleibt bei ihrer Antwort ganz die Wissenschaftlerin: «Das Recht steht nicht fest. Wir haben diese Unsicherheit, weil wir zwar die Texte haben, aber nicht wissen, ob sie die sind, als die sie sich ausgeben.» Zudem schaue jede Zeit anders auf diese Quellen, und genau das interessiere sie. «Ich komme so in ein Gespräch mit Juristen aus zweitausend Jahren, wenn ich übertreibe», sagt sie und lacht über diese Vorstellung.
Sie habe überhaupt nicht den Anspruch, alle zum Römischen Recht zu bekehren, versichert Babusiaux: «Was ich will, ist, dass man sich der historischen Dimension des Rechts bewusst ist und erkennt, dass nicht immer alles so war wie heute.» Wichtig ist ihr, dass die Studierenden lernen, einen Text zu lesen. «Das muss man als Jurist können, doch das lernt man offenbar nicht mehr in der Schule», bedauert sie. «Ich sage den Studenten immer wieder, sie müssen nicht Augustus bewundern oder Papinian als Märtyrer des Rechts verehren, aber sie müssen diese Texte lesen, damit sie irgendwann in der Lage sind, andere Texte zu verstehen.»
Neben dem Römischen Recht gehören auch Privatrecht und Rechtsvergleichung zum Aufgabenbereich der Professorin. In diesem Semester hat sie zum ersten Mal «Comparative Private Law» in englischer Sprache gelesen. Schon in ihrem zweiten Zürcher Semester durfte die Deutsche die Vorlesung über den Besonderen Teil des Schweizer Obligationenrechts übernehmen. «Das war anspruchsvoll», gesteht sie. Sie habe sehr viel in die Vorbereitung investieren müssen: «Aber es war für mich eine spannende Veranstaltung und das Feedback der Studenten war sehr positiv.»
Vor ihrer Berufung nach Zürich lebte die Juristin mit ihrem Mann und den Kindern in Strassburg. Inzwischen wohnt die ganze Familie in Zürich, nachdem auch der Mann hier eine Arbeit als Ingenieur gefunden hat. Für die Kinder sei der Wechsel schwierig gewesen, räumt Babusiaux ein. Auch die Betreuung der heute fünf und acht Jahre alten Kinder sei in Frankreich einfacher gewesen. Auch wenn nicht immer alles reibungslos abläuft, geniesst sie das Nebeneinander von Beruf und Familie: «Ich kann mich bei den Kindern von meiner Arbeit entspannen. Und umgekehrt kann ich bisweilen an meinen Schreibtisch flüchten. Das ist doch ein Privileg.»
Die junge Professorin hat in Lehre und Forschung noch einiges vor. In Deutschland diskutiert man über reine Lehrprofessuren, doch das hält sie für einen grossen Fehler: «Nur Lehrveranstaltungen mit dem zu machen, was man sich für die Lehre erarbeitet hat, reicht nicht. Immer wenn ich über eigene Forschung spreche, bin ich so überzeugend in der Lehre, dass der Funke überspringt. Und das braucht es doch.»
Die Forscherin Babusiaux möchte unter anderem untersuchen, wie weit sich das Schweizer Privatrecht dank dem autonomen Nachvollzug dem EU-Recht angepasst hat, etwa bei den Richtlinien zum elektronischen Geschäftsverkehr. Bereits erforscht hat sie, wie die Rechtsangleichung in Deutschland und Frankreich funktioniert hat. Vertiefen will sie sich zudem ins Römische Erbrecht. Die moderne deutschsprachige Forschung befasse sich vor allem mit dem Obligationenrecht, erklärt sie. Dabei mache das Erbrecht zwei Drittel der Quellen aus, da die Römer ihr Vermögen vor allem mit Blick auf den Tod verwaltet hätten. «Da gibt es einiges zu entdecken, vor allem fehlt eine Gesamtdarstellung», sagt Babusiaux und fügt lachend an: «Das ist mein grosses Projekt. Das sind die nächsten fünfzig Jahre.»