Bevor gegen einen Bundesangestellten ermittelt werden kann, ist eine Ermächtigung nötig. Die Strafverfolgung wegen strafbarer Handlungen, die sich auf die amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen, bedarf laut Artikel 15 des Verantwortlichkeitsgesetzes einer Ermächtigung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements – ausgenommen sind Verletzungen des Strassenverkehrsgesetzes.
Muss vor der Eröffnung einer Strafuntersuchung eine Ermächtigung eingeholt werden, spricht man von relativer Immunität. Absolute Immunität liegt vor, wenn jemand wegen eines bestimmten Verhaltens vollständig vor einer Strafuntersuchung gefeit ist. Von einem solchen Privileg profitieren vor allem Parlamentarier.
Basis ist Artikel 7 der Strafprozessordnung. Er erlaubt es, die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitgliedern der gesetzgebenden und richterlichen Behörden sowie der Regierungen für Äusserungen im kantonalen Parlament auszuschliessen oder zu beschränken, ihnen also absolute oder relative Immunität zu gewähren.
Absolute Immunität haben Parlamentarier für Äusserungen im Parlament und in dessen Kommissionen in den Kantonen Aargau, Bern, Luzern, St. Gallen, Thurgau und Zürich. In Luzern geniessen auch die Mitglieder des Regierungsrats und des Kantonsgerichts für Voten im Parlament absolute Immunität, in St. Gallen und Zürich nur jene der Regierung.
Relative Immunität für Polizisten
Laut Strafprozessordnung können die Kantone auch vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollzugs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde abhängt. Aus strafprozessualer Sicht handelt es sich bei diesem Strafverfolgungsprivileg für Behörden um eine Prozessvoraussetzung – ohne deren Vorliegen kann das Verfahren nicht eröffnet werden. Einige Beispiele:
Im Kanton Aargau bedarf die strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern des Obergerichts wegen Verbrechen oder Vergehen im Amt der Ermächtigung durch den Grossen Rat.
Im Kanton Bern muss das Parlament die Ermächtigung erteilen, damit ein Mitglied des Obergerichts, des Verwaltungsgerichts oder der Generalstaatsanwaltschaft wegen Verbrechen oder Vergehen im Amt strafrechtlich verfolgt werden kann.
Im Kanton Luzern kann Regierungsräten oder Kantonsrichtern im Zusammenhang mit der Amtstätigkeit Rechtsschutz gewährt werden, wenn ein Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet wird.
Im Kanton St. Gallen entscheidet die Anklagekammer über die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Behördenmitglieder oder Angestellte von Kanton und Gemeinden wegen strafbarer Handlungen, die deren Amtsführung betreffen, soweit nicht das Parlament zuständig ist. Ausnahme: Strassenverkehrsdelikte.
Im Thurgau bedarf die Strafverfolgung von Mitgliedern des Parlaments, der Regierung und der kantonalen Gerichte wegen strafbarer Handlungen in der amtlichen Tätigkeit der Ermächtigung durch den Grossen Rat.
Im Kanton Zürich entscheidet das Obergericht über die Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen. Häufig ist das bei Strafanzeigen gegen Polizisten der Fall.
Alter Zopf aus Zeiten eines labilen Rechtsstaats
Ist es gerechtfertigt, dass Strafuntersuchungen gegen Behördenmitglieder und Beamte erst nach speziellen Ermächtigungsverfahren – oder bei absoluter Immunität gar nicht – möglich sind? Der emeritierte Strafrechtsprofessor Franz Riklin verneint. Zwar werde argumentiert, dass es um den Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit im Parlament gehe und verhindert werden müsse, dass Behörden von ihren Amtspflichten abgehalten werden. Doch: «Diese Ausnahmen vom Legalitätsprinzip sind nicht mehr zeitgemäss, die Eliminierung wäre ohne Schaden für unsere Institutionen.» Sie seien ein alter Zopf und stammten zum Teil aus Zeiten, in denen noch Zustände herrschten, die mit den heutigen gefestigten rechtsstaatlichen Gegebenheiten in der Schweiz nicht vergleichbar sind.
Riklin fragt sich, warum etwa ein Parlamentarier im Unterschied zu einem Normalbürger straflos bleiben soll, wenn er in einer Parlamentsdebatte eine klare Ehrverletzung, einen schlimmen Geheimnisverrat oder einen krassen Verstoss gegen die Rassendiskriminierungsnorm begeht. Und bei Beamten dürften laut Bundesgericht in Ermächtigungsverfahren nur strafrechtliche Gesichtspunkte massgebend sein. Das heisst: Es müssten genügend Hinweise auf ein strafbares Verhalten vorliegen. Riklin: «Das können ohne Weiteres die ordentlichen Strafverfolgungsbehörden prüfen.» Er würde ein Modell vorziehen, wonach strafrechtliche Ermittlungen ohne besondere Ermächtigung möglich sind, ausser wenn der Betroffene – oder die Behörde, der er angehört – überprüfbar geltend machen kann, dass er wegen des Verfahrens in der Einhaltung der Amtspflichten stark behindert wird.
Privileg für oberste Behörden unnötig
Auch Strafrechtsprofessor Christof Riedo sagt, er habe die Immunitätsregeln der Strafprozessordnung immer als stossend empfunden. «Streng beim Wortlaut genommen, hätte die Regelung eine Rechtsungleichheit zur Folge, die so nicht haltbar ist.» Allerdings habe das Bundesgericht klargestellt, dass man die Ermächtigung aus politischen Gründen nicht verweigern dürfe, ausser bei obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden (BGE 137 IV 269). «Wenn ein geeigneter Anfangsverdacht vorliegt, muss die Ermächtigung bei ‹gewöhnlichen› Staatsbeamten erteilt werden.» So interpretiert, habe er keine Mühe mit der geltenden Rechtslage. Sie führe nur zu einer zusätzlichen Überprüfung, ob ein geeigneter Anfangsverdacht vorliege. Das müsse im Strafverfahren ohnehin abgeklärt werden. Im Ergebnis sei es also nicht ein unverdientes Privileg, sondern ein «durchaus sinnvoller Schutzmechanismus». Zu diskutieren bleibe einzig die Regelung für oberste Vollziehungs- und Gerichtsbehörden. «Ich sehe keinen Grund, weshalb diese Behördenmitglieder besondere Strafverfolgungsprivilegien geniessen sollten.»