Weihnachtsgeschenke basieren in der Regel auf Gegenseitigkeit. Wer schenkt, will auch beschenkt werden. Und Geschenke scheinen nicht in allen Ländern auf den Familienkreis beschränkt zu sein. Deshalb wohl hat die Staatengruppe des Europarats gegen die Korruption (Greco) vor zwei Jahren die Schweiz aufgefordert, Standesregeln für die Richter der eidgenössischen Justiz zu entwickeln und zu veröffentlichen.
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Die Verwaltungskommission des Bundesgerichts setzte dazu eine Arbeitsgruppe ein. Das Ergebnis wurde im August publiziert. Titel des Dokuments: «Gepflogenheiten der Richter am Bundesgericht.» Ziffer 4 regelt die Annahme von Geschenken. Dort heisst es: «Bundesrichter nehmen Geschenke und Zuwendungen aller Art nur in sozial-üblicher Weise in einem Umfang entgegen, dass keine Zweifel an ihrer persönlichen Integrität und Unabhängigkeit geweckt werden.»
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Doch was heisst «sozial-üblich»? Gerichtssprecher Peter Josi sagt: «Die Annahme von einer oder zwei Tafeln Schokolade wäre wohl zulässig, bei Wein oder Briefmarken würde sich die Frage nach der Menge und dem Wert stellen.» Heisst das, dass die Unabhängigkeit der Richter schon ab drei Tafeln Schokolade oder mehreren Flaschen Wein gefährdet wäre? Josi präzisiert: Ein Auto als Geschenk würde sicher nicht mehr als «sozial-üblich» angesehen.
Auch Richter am Bundesverwaltungsgericht dürfen Geschenke annehmen. Laut Sprecher Rocco Maglio sind Gaben aber «nicht üblich». Bei der allfälligen Annahme würden die Richter berücksichtigen, «dass ihr Verhalten in keiner Art und Weise die unabhängige Ausübung des ihnen übertragenen Amtes in Frage stellt».
Das Bundesstrafgericht kennt hingegen bei Geschenken aller Art null Toleranz. «Richter nehmen keine Geschenke entgegen, auch nicht von geringem Wert», sagt Generalsekretärin Mascia Gregori Al-Barafi. «Eingehende Geschenke werden unverzüglich an wohltätige Vereinigungen weitergeleitet.»
Auch bei den Kantonsgerichten Aargau und St. Gallen braucht man es mit Geschenken gar nicht erst zu versuchen. Corina Trevisan Fischer, Sprecherin der Aargauer Gerichte, sagt: «Geschenke retournieren wir an den Absender.»
Im Kanton Bern erlaubt die kantonale Personalverordnung Höflichkeitsgeschenke bis zu einem Wert von 200 Franken. Doch Obergerichtssprecher Markus Roth weiss von keinem Geschenk an einen Berner Oberrichter. Auch das Zürcher Obergericht verfügt über «keine Übersicht zu solchen Höflichkeitsgeschenken».
Der Ende Jahr zurücktretende Bundesrichter Thomas Merkli hingegen hat den Überblick. Er habe während seiner knapp 30-jährigen Richtertätigkeit nie ein Geschenk erhalten. Merkli selbstkritisch: «Vielleicht habe ich etwas falsch gemacht.»