Auf einer leichten Anhöhe thront das Schloss Hindelbank, in sicherem Abstand vom Dorf. Einst Sommerresidenz eines Schultheissen von Bern wurde es um die vorletzte Jahrhundertwende zur «Zwangsanstalt für Weiber» umfunktioniert. Damals ging es um Vergeltung und Busse. Heute vor allem um Resozialisierung.
Das klappt nicht immer. Das weiss auch Marianne Heimoz, die als Direktorin der Straf- und Massnahmenanstalt Hindelbank in wenigen Monaten in Pension gehen wird: «Ich musste erst lernen, dass es manchmal nichts nützt, wenn man den Frauen hier Chancen gibt.»
Daran dachte sie damals noch nicht, als sie am 1. Januar 1995 zum ersten Mal als neue Chefin über das Gelände der Strafanstalt Hindelbank schritt - als Quereinsteigerin im Strafvollzug und mit dem schlichten Wunsch, «wieder mehr mit Menschen zu arbeiten». Das hatte ihr als Abschlussredaktorin beim Berner «Bund» gefehlt. Und sie hatte es satt, regelmässig erst um zwei Uhr nachts das Licht zu löschen. Einen Zaun um die Anstalt gab es in jener Zeit noch nicht, Mütter aus dem Dorf schoben ihre Kinderwagen über das Schlossgelände.
Heute kann man die Anstalt nur durch eine doppelte Türschleuse betreten. Aus der offenen Anstalt ist ein geschlossener Betrieb geworden. Wer zur Direktorin will, wird von einem Mitarbeiter in ihr Büro begleitet, das selbst an einem trüben Herbsttag einladend wirkt.
Marianne Heimoz gibt sich distanziert freundlich. Seit 15 Jahren ist sie Direktorin in Hindelbank, der einzigen Strafanstalt für Frauen in der Deutschschweiz. In dieser Zeit hat sie Veränderungen beobachtet, Neuerungen eingeführt und nicht zuletzt auch sich selbst verändert.
Verändert hat sich auch das Mitarbeiterprofil: «Früher genügte oft der Wille, im Vollzug zu arbeiten. Heute suchen wir für die Betreuung gezielt Mitarbeiter mit einem sozialpädagogischen Hintergrund.» Diese Professionalisierung hängt mit einem neuen Verständnis des Vollzugs zusammen: Man will die Frauen nicht mehr einfach einsperren, sondern mit ihnen arbeiten.
Bei Amtsantritt schrieb ihr der Kanton noch vor, was die einzelnen Gewerbebetriebe einbringen mussten. «Heute ist ein Arbeitsplatz vor allem ein Lernplatz.» Die Bildung ihrer Schützlinge liegt der ursprünglichen Sekundarlehrerin besonders am Herzen. «Früher gehörte die Bildung zum Freizeitbereich der Eingewiesenen. Mit dem neuen Strafgesetzbuch sind Arbeit und Bildung gleichwertige Ziele.»
Auch die Welt ausserhalb des Zauns hat sich in den letzten 15 Jahren verändert. Und damit ihr Abbild in Hindelbank. «Vor zehn Jahren waren nur rund fünf Prozent der Insassinnen wegen Gewaltdelikten hier, heute sind es ein Drittel. Das bedeutet auch, dass wir wesentlich mehr Frauen mit langen Strafen haben», stellt Heimoz fest. Da werde die Resozialisierungsarbeit naturgemäss von einer Entfremdung begleitet.
Trotzdem sei bei langen Strafen die Rückfallquote deutlich kleiner: «Es sind die Frauen mit kurzen Freiheitsstrafen, die mehrmals kommen. Wer eine lange Strafe abgesessen hat, den sehen wir nicht wieder.» Das liege aber mehr an der Art des Delikts als am Vollzug. Präventive Wirkung zeige der Vollzug bei Drogenkurierinnen, die selbst nicht konsumiert hätten. Oft auch bei Gewalttäterinnen, falls deren psychische Erkrankung behandelbar sei. Eine Täterinnengruppe, die in den letzten Jahren gemäss Heimoz deutlich grösser geworden ist. Dass psychisch kranke Frauen durch die Haft noch kränker werden, kann Heimoz nicht ausschliessen: «Die medizinisch-therapeutische Betreuung ist aber rund um die Uhr gewährleistet.»
Die 64-Jährige stellt auch Veränderungen an sich selbst fest. Bevor sie eine Türe öffne, schaue sie heute reflexartig kurz hinter sich, und schon bald habe sie angefangen, die Insassinnen in der Öffentlichkeit zu verteidigen. «Nie ihre Straftat, die ist für mich unentschuldbar», betont Heimoz, «aber ich versuche zu erklären, dass viele von ihnen in Umständen lebten, die eine Straffälligkeit erleichtern.»
Es gibt auch Dinge, die sich nicht verändert haben: Dass die Direktorin und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen rund um die Uhr verfügbar ist. Dass Blumen und Kinderzeichnungen in Hindelbank für ein Ambiente sorgen, wie es in Männeranstalten nie zu finden ist. Dass sich die Gewalttätigkeit der Frauen innerhalb der Anstalt auf verbale Gewalt beschränkt - und dass sie sich eher voneinander abgrenzen als sich gegenseitig negativ zu beeinflussen. Unverändert ist auch Heimoz' Grundhaltung den Frauen gegenüber geblieben: «Man muss ihnen Chancen geben, selbst wenn sie vielleicht nicht genützt werden.» Der Strafvollzug sei ein Teil der Gesellschaft und - ihre ruhige Stimme wird kurz eindringlicher - vor allem auch «die da draussen» müssten den Entlassenen Chancen geben, wie zum Beispiel Arbeitsmöglichkeiten.
Ein Mitarbeiter beschreibt sie als «sehr engagiert» und als «offen und modern». Schon kurz nach ihrem Amtsantritt hat sie flache Hierarchien eingeführt. Mit ihren Mitarbeitern ist sie per Du, das iPhone beherrscht sie besser als ihre zwanzig Jahre jüngeren Kollegen. Auch im Rampenlicht hebt sie immer wieder die Arbeit ihrer Mitarbeiter hervor: «Ich selbst bin ja nicht sehr nahe an den Insassinnen.» Immer dabei ist sie aber bei den Austrittsgesprächen. «Oft bedanken sich die Frauen dafür, dass sie anständig behandelt worden sind», sagt Heimoz - und nach einer kurzen Pause fügt sie an: «Das ist viel wert.»
Als Nachfolgerin wurde explizit eine Frau gesucht. «Bei Managementaufgaben spielt das Geschlecht keine Rolle», meint Heimoz. «Aber bei persönlichen Themen öffnen sich die Insassinnen einer Frau gegenüber vielleicht eher.» Das Rennen hat ihre langjährige Mitarbeiterin Annette Keller gemacht. Sie wird das dringend nötige Ausbauprojekt umsetzen müssen. Über ihre eigenen Zukunftspläne hält sich Heimoz bedeckt. In der Ausbildung wird das Vollzugspersonal aber weiterhin von ihren Erfahrungen profitieren.
«Wir können die Frauen nicht zu besseren Menschen machen», sagt Heimoz abschliessend. «Aber der Vollzug verändert in jedem Leben etwas.» So wie im Falle der schwarzen Frau, die beim Verlassen von Hindelbank sagte: «Wenn ich rauskomme, bin ich ein anderer Mensch. Ich weiss endlich, an welcher Bushaltestelle ich stehe. Weil ich es lesen kann.» Ein scheinbar kleiner Schritt, für Marianne Heimoz führen gerade diese zum Ziel.