Hanspeter Zablonier ist seit über 25 Jahren verwahrt. Dabei hatte das Zürcher Obergericht den heute 54-Jährigen nur zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. «Man nahm mir meine Freiheit und somit mein Leben», sagt der Langzeitgefangene. Zwei Mal habe man ihm das Leben zerstört. Er meint damit sein Schicksal als Verdingkind und als Verwahrter.
Zablonier lebt in einer Zelle von 10 Quadratmetern in der Strafvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH. «Ich habe meine Strafe schon längst verbüsst.» Doch die Justiz entlässt ihn nicht, weil sie befürchtet, er könnte rückfällig werden. Zablonier sitzt also für Taten, die er nicht begangen hat, aber eventuell begehen könnte.
Zahl stationärer Therapien hat sich vervierfacht
Im Jahr 2000 waren in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik 108 Personen nach Artikel 64 Strafgesetzbuch (StGB) verwahrt. Im gleichen Jahr befanden sich 100 weitere Inhaftierte in einer stationären therapeutischen Massnahme nach Artikel 59 StGB, einer sogenannten kleinen Verwahrung. Zehn Jahre später stieg die Zahl der Verwahrten auf 137, die Zahl der stationären Therapien vervierfachte sich auf 447. Bis 2022 stieg diese Zahl weiter auf 713, die der Verwahrten auf 145.
Die Verurteilungen gestützt auf die Artikel 59 und 64 haben eines gemeinsam: Die Betroffenen werden auf unbestimmte Zeit inhaftiert.
Welche Delikte führen zu den vermehrten Verwahrungen und stationären Massnahmen? Gemäss den Zahlen des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2022 waren bei 100 der 147 zu einer stationären Massnahme Verurteilten das schwerste Anlassdelikt ein Verbrechen mit Beeinträchtigung oder Gefährdung der körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität einer Person. Darunter waren 33 vorsätzliche Tötungen, 17 schwere Körperverletzungen, 16 Sexualverbrechen und 12 Mal Raub.
Wegen Drohung in einer stationären Massnahme
In elf Fällen waren Verbrechen wie Diebstahl (acht Fälle), Betrug, Betäubungsmitteldelikte sowie falsche Anschuldigung die schwerste Anlasstat. Hinzu kommen in einzelnen Fällen noch weitere Vergehen, in vier Fällen etwa einfache Körperverletzungen und bei der falschen Anschuldigung noch eine Beschimpfung.
Bei 36 der 147 Personen, die 2022 in die kleine Verwahrung geschickt wurden, sind die Anlasstaten lediglich Vergehen. Das entspricht einem Viertel aller stationär Verwahrten.
Darunter finden sich neun Fälle mit einfachen Körperverletzungen, teils in Kombination mit weiteren Vergehen wie Sachbeschädigung, Drohung, Nötigung oder Ehrverletzungsdelikten. Für eine kleine Verwahrung kann es genügen, nur einen einzigen Vergehenstatbestand zu erfüllen.
2022 landeten zwei Beschuldigte einzig wegen Drohung in einer stationären Massnahme, einer wegen Nötigung und einer wegen Hausfriedensbruchs. Drei Verurteilte wiederum wurden wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte stationär weggesperrt.
Die Luzerner Strafrechtsprofessorin Anna Coninx bestätigt, dass die Hürde der Anlasstat bei der stationären Massnahme wesentlich tiefer ist als bei der Verwahrung. Während bei der Verwahrung Katalogstraftaten vorgesehen seien, «sind bei den stationären Massnahmen nach Artikel 59 Absatz 1 StGB aufgrund der gesetzlichen Formulierung – Verbrechen oder Vergehen – lediglich die Übertretungen ausgenommen».
Entsprechend kann gemäss Coninx prinzipiell jedes Vergehen als Anlasstat angesehen werden, sofern die Anordnung insgesamt als verhältnismässig beurteilt wird. In der Lehre werde allerdings kritisiert, «dass diese offene Formulierung zu weitgehend sei, da auch Vergehen darunter subsumiert werden könnten, die typischerweise nicht mit einer grösseren Gefährlichkeit einhergehen».
Vor allem bei Anlasstaten, bei denen das Opfer nicht in seiner körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität geschädigt werde, sei die stationäre Massnahme unverhältnismässig, sagt Coninx. Im Rahmen der Neuformulierung dieses Tatbestands sei zunächst ein einschränkender Straftatenkatalog vorgesehen gewesen, der allerdings nach Intervention der Arbeitsgruppe Verwahrung wieder aufgehoben wurde.
Verwahrung wird selten ausgesprochen
Im Unterschied zur stationären Massnahme wird die Verwahrung deutlich restriktiver gehandhabt. Vorausgesetzt wird ein schweres Verbrechen wie Mord oder Raub oder ein Delikt mit einer Strafandrohung von mindestens fünf Jahren.
Ein Blick auf die Anordnungen zu einer Verwahrung zwischen 2008 und 2023 zeigt: Bei rund der Hälfte der insgesamt 64 Anordnungen ist das Anlassdelikt Tötung oder schwere Körperverletzung. Bei der anderen Hälfte befinden sich unter den Anlasstaten viele Sexualdelikte wie Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung.
Hanspeter Zablonier versucht, seine Freiheit mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückzuerlangen. «Ich hoffe, die Richterinnen und Richter geben mir mein Leben zurück – oder zumindest das kleine Stück, das davon noch übrig bleibt.»