Der Einzelrichter des Handelsgerichts Zürich kam zu einem deutlichen Verdikt: «Der Rechtsstandpunkt der Beklagten beruht auf haltloser Rabulistik.» Mit diesen Worten kommentierte er die Einwände des Anwalts des Schweizer Schriftstellers Thomas Mannhart gegen den Vorwurf des Plagiats.
Das Gericht hat mit diesem Entscheid vorsorglich den Verkauf des Mannhart-Romans «Bergsteigen im Flachland» verboten. Kläger war der österreichische Journalist Thomas Brunnsteiner, von dessen Reisereportagen sich Mannhart «inspirieren» liess.
Laut Duden wird jemand als Rabulist bezeichnet, der in «spitzfindiger, kleinlicher und rechthaberischer Weise argumentiert und dabei oft den wahren Sachverhalt verdreht».
Weshalb die klaren Worte des Gerichts? Zahlreiche Sätze im Roman Mannharts sind offensichtlich nicht in seinem Kopf entstanden – aber auch nicht als Zitate ausgewiesen. Im kürzlich veröffentlichten Entscheid sind einige Textstellen nachzulesen (ZR 114 NR. 19):
- Brunnsteiner-Reportage: «Und weit draussen steht ein dunkles, schönes Mädchen mit schwarzem Haar bis zu den Hüften in der sanften Brandung.»
Mannhart-Roman: «Hundert Meter weiter vorne, im gleissenden Licht des Nachmittags, stand ein dunkles Mädchen mit schwarzem Haar bis zu den Hüften in der Brandung.»
- Reportage: «Alexej Walentinowitsch Sokov, ein offener Mann Mitte 30, gestutzter honiggelber Bart, vife blaue Augen.»
Roman: «Professor Alexej Walentinowitsch Sokov, der beredte Mitarbeiter des Schirschow-Instituts, der ihnen in seinem Büro mit honiggelbem Bart und vifen blauen Augen gegenübersass.»
- Reportage: «Da sehen Sie den Wasserstand des Kaspischen Meers. Von 900 nach Christus bis heute.»
Roman: «Und damit meine ich den Wasserstand der vergangenen tausendzweihundert Jahre.»
- Reportage: «Der Dom Sowjet ist halb stalinistische Repräsentationsarchitektur, halb orientalisches Schloss. Das haben deutsche Kriegsgefangene gebaut.»
Roman: «Dom Sowjet, einem Gebäude, das, halb stalinistische Repräsentationsarchitektur, halb orientalisches Schloss, erbaut worden war von deutschen Krieggefangenen.»
- Reportage: «Sie müssen sich den Kaukasus vorstellen wie Sizilien für Mitteleuropäer».
Roman: «Man müsse sich, sagte Dschamset, den Kaukasus vorstellen wie Sizilien für einen Mitteleuropäer.»
Das Handelsgericht kommentiert dies so: «Die bewusste Übernahme von – wenn auch veränderten – Textteilen ist offensichtlich.» Der beklagte Autor argumentierte, bei den in Frage stehenden Textteilen handle es sich um «kurze, aus dem Kontext gerissene Wortfolgen, denen keinerlei individuelles Gepräge» zukomme. Die inkriminierten Werkteile hätten keine Werkqualität, deshalb sei die Werknutzung durch den Schriftsteller nicht unerlaubt. Das Gericht dazu: Das Urheberrecht schütze das ganze Werk, und zwar auch vor kommentarloser Übernahme einzelner Teile. Mit Hinweis auf die Lehre folgert es: Es liege ein Plagiat und damit eine Urheberrechtsverletzung vor, wenn die Kenntlichmachung als Zitat fehle.
Mannharts Verlag schrieb in einer Presseerklärung nach dem Auslieferungsverbot, das Urteil und die Begründung seien bei Autor und Verlag auf «grosses Unverständnis» gestossen. Von den vom Kläger angeführten «114 Textfetzen», die ein Plagiat belegen sollten, seien im Urteil gerade einmal 6 berücksichtigt. Das Gericht verkenne, dass es sich bei Mannharts Buch um ein fiktionales Werk handle, das wie fast jedes andere fiktionale Buch auch Material nicht-fiktionaler Werke wie eben auch aus Reportagen aufnehme. Und weil Angriff häufig die beste Verteidigung ist, fährt der Verlag fort: Darum komme dem Versuch des Journalisten, «Kapital für sich aus Mannharts Werk zu schlagen, in unsern Augen grundsätzliche Bedeutung zu, die über den Einzelfall hinaus reicht».
Möglicherweise kommt dem Endurteil über die Zulässigkeit des Abschreibens tatsächlich grundsätzliche Bedeutung zu. Der Vorwurf der Rabulistik ist im vorliegenden Fall aber wohl nicht ganz aus der Luft gegriffen. Vielleicht hätte der Titel des Romans statt «Bergsteigen im Flachland» besser «Argumentieren in luftiger Höhe» heissen sollen. Oder schlicht und einfach: «Windige Passagen.»