Die dritte Tatbestandsvariante («auf andere Weise», fortan dritte TBV genannt) stellt laut Bundesgericht eine «gefährlich weite Formulierung» der anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit dar.1 Im Gesetzgebungsprozess heftig umstritten,2 wird das Resultat (Artikel 181 StGB) gänzlich oder zumindest hinsichtlich der dritten TBV 3 als verfassungswidrig kritisiert,4 weswegen dem Artikel gar die Anwendung zu versagen sei.5 Diese Verfassungswidrigkeit begründet sich in der Verletzung des Bestimmtheitsgebots.6 Abhilfe soll eine Pflicht zur positiven Begründung der Rechtswidrigkeit und eine «restriktive»7 oder «einschränkende»8 Auslegung schaffen. In ihrem Spannungsverhältnis zu den demokratischen Grundrechten lässt sich die bisherige Rechtsprechung zur dritten TBV von den Staatsanwaltschaften bis zum Bundesgericht mehrheitlich allerdings so zusammenfassen: in dubio pro damnatio.
«Fossil Banks – Too Big to Stay» war der Titel einer klimapolitischen «Aktion des zivilen Ungehorsams» am 8. Juli 2019.9 Bei dieser Aktion wurden gleichzeitig die Eingangsbereiche des Hauptsitzes der Grossbanken Credit Suisse (Zürich) und UBS (Basel) unter anderem mit dem Appell blockiert, dass sich der «Finanzplatz Schweiz mit sofortiger Wirkung an die Forderung des Pariser Abkommens hält».10 Der Modus Operandi der Aktion lag darin, dass sich die Demonstranten vor verschiedenen Zugängen «teilweise aneinander, teilweise an mitgebrachten Leihvelos und Pflanzenkübeln anketteten und einander an den Händen festhielten.»11 Bisher ergingen dazu zwei sich widersprechende Urteile: Das Strafgericht Basel-Stadt sprach die Beschuldigten im Januar 2021 frei, da zwar einige UBS-Mitarbeiter einen kleinen Umweg hätten in Kauf nehmen müssen, deswegen aber nicht in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt worden seien.12 Das Bezirksgericht Zürich stufte die Aktion am 14. Mai 2021 hingegen als strafbare Nötigung in der dritten TBV ein. Der Umstand, dass die Kundschaft «nur unter massiv erschwerten Umständen» und die Bankangestellten «nur via eine Passerelle» ins Gebäude gelangen konnten, habe sie «in relevanter Weise in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt».13
Rechtswissenschaftlich bemerkenswert ist die klimapolitisch motivierte Blockade der Quaibrücke in Zürich vom 20. Juni 2020: Einer der Richter änderte am 30. August 2022 seine bisherige Rechtsprechung hinsichtlich dieser Aktion. Unter Berufung auf die EGMR-Rechtsprechung qualifizierte er die dreistündige Blockade der Brücke als von den demokratischen Grundrechten geschützte Partizipationsform und kündigte an, auch künftig ähnlich gelagerte, gewaltfreie klimapolitisch motivierte Blockaden nicht als Nötigung zu werten.14
1. Straf- und zivilrechtlicher Schutzbereich
Als Grundtatbestand15 der Freiheitsdelikte schützt Art. 181 StGB die individuelle Willens- und Handlungsfreiheit.16 Jedoch steht nicht jegliche ungewollte Einflussnahme auf die persönliche «Willensrichtung» unter strafrechtlichem Schutz.17 Eine erste Einschränkung ergibt sich aus dem gesetzgeberischen Willen, Beeinträchtigungen «auf anderem Wege» dem Zivilrecht zu unterstellen.18 Ein inkriminiertes Verhalten muss nach einem «objektive[n] Massstab» geeignet sein,19 auch eine «besonnene Person» gefügig zu machen,20 wobei das BGer aber auch bereits einen individualisierten Massstab angewendet hat.21
1.1 Individueller Massstab
Ein individueller ist einem generalisierten Massstab aus zweierlei Gründen vorzuziehen. Erstens hätte eine generalisierte Auslegung unerwünschte Folgen: So wäre etwa nicht geschützt, wer mittels gezielter Ausnutzung individueller Schwächen gefügig gemacht wird,22 etwa dann, wenn einer unter Arachnophobie leidenden Person mit der Aussetzung eines Weberknechts im Schlafzimmer gedroht würde.23 Ein solches Ergebnis implizierte einen grundrechtswidrigen Verstoss gegen den aristotelischen Gleichheitssatz, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln. Richtigerweise sollten daher die «individuelle Widerstandsfähigkeit»24 und die affektiven Ausprägungen – unter Ausschluss «mimosenhafter Überempfindlichkeit»25 – einzelfallgerecht berücksichtigt werden.
Zweitens wird mit Artikel 181 StGB ein Individualrechtsgut und nicht Rechtsgüter der Allgemeinheit oder der Natur geschützt. Entsprechend drängt sich, wie etwa bei Artikel 122 Absatz 2 StGB,26 ein individualisierter Massstab geradezu auf.
1.2 Antragsprivileg
Die Qualifikation als Offizialdelikt ist – analogiter zu Artikel 122 f. StGB – nur für schwere Nötigungen angemessen. Artikel 181 schützt ein Individualrechtsgut. Die Nichtgewährung des Antragsprivilegs bei einfachen Nötigungen stellt einen unzulässigen Eingriff in die individuelle Willensfreiheit dar,27 die eigentlich mittels Artikel 181 StGB geschützt werden soll. Diese fragwürdige Qualifikation führt in der Praxis auch regelmässig zu kostspieligen Strafrechtsblüten. So beispielsweise, wenn ein Strafantrag aufgrund mehrerer Ehrverletzungsdelikte gestellt wird. Die Kombination von Offizialdelikt und dem Grundsatz in dubio pro duriore hält die Staatsanwaltschaft regelmässig dazu an, die Untersuchung von Amtes wegen zusätzlich auf Nötigung auszuweiten. Bei einer derartigen Konstellation erhärtet sich der Tatverdacht aber nur selten, sodass die Verteidigung in Folge einer Teileinstellung zuletzt mehrere Tausend Franken Entschädigung erhält.28
1.3 Zivilrechtliches
Für die Qualifikation als Antragsdelikt spricht überdies der Wille des Gesetzgebers, die leichten Fälle dem Zivilrecht zuzuteilen,29 was bei konsequenterer Umsetzung weiteren Problemen Remedur verschaffen würde. Nach ergangenem Zivilurteil könnte ein fragwürdiges Verhalten als unerlaubtes Nötigungsmittel qualifiziert werden, insbesondere wenn damit eine Strafandrohung nach Artikel 292 StGB verbunden wäre.30 Dadurch entschärft sich die Unbestimmtheitsproblematik, da individuell-konkret erkennbar ist, welches Verhalten fortan als nötigend qualifiziert sein dürfte.
Im Kontext des zivilen Ungehorsams erfüllt eine vorgängige zivilgerichtliche Prüfung die grundrechtliche Voraussetzung des mildesten Mittels. Mittels des Instruments der superprovisorischen Massnahme (Artikel 265 ZPO) sind auch die von zivilem Ungehorsam Betroffenen genügend geschützt: Diese müssen ihr behauptetes besseres Recht bloss glaubhaft machen (Artikel 261 Absatz 1 ZPO), können das Begehren mündlich zu Protokoll geben (Artikel 248 litera d in Verbindung mit Artikel 252 Absatz 2 Variante 2 ZPO), das angerufene Gericht muss von Amtes wegen die erforderlichen Vollstreckungsmassnahmen anordnen (Artikel 267 ZPO), die zudem auch von Amtes wegen durchzusetzen sind,31 und einem Rechtsmittel kommt ordentlicherweise keine aufschiebende Wirkung zu (Artikel 315 Absatz 4 litera b ZPO).
2. Über den Unrechtsgehalt der Nötigung
2.1 Wesen der Nötigung
Nötigend sind Handlungen, welche das «üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung […] eindeutig überschreiten.»32 Die dritte TBV muss dafür eine den ersten beiden TBV entsprechende «vergleichbare Zwangswirkung» entfalten.33 Diese Ausgleichung ist auch geboten, um das Unterlaufen des vorgesehenen Schutzbereichs mittels der dritten TBV zu vermeiden.34
Laut dem Amtsgericht Thun liegt das «Wesen der Nötigung» darin, «dass das Opfer sich sein Verhalten nicht ruhig zu überlegen vermag, sondern unter dem in die Richtung weisenden Druck der Affekte der Furcht oder Angst entscheidet. Genau das Gleiche gilt, wenn anstelle der Furcht oder Angst andere starke Affekte erregt werden, die zu einer bestimmten Entscheidung drängen.»35 Richtigerweise muss also ein inkriminiertes Verhalten aufgrund seiner Intensität auf die «Seele»36 oder auf die Psyche «gewaltähnlich»37 sein. Zuweilen prüft das Bundesgericht zudem dahingehend, ob ein Verhalten unter dem strafrechtlichen – nach Schubarth richtigerweise «eng auszulegenden»38 – Gewaltbegriff subsumiert werden könne.39
2.2 Unklarer Begriff der Gewalt
Bereits der Gewaltbegriff als vermeintlich konkretestes Nötigungsmittel ist «heftig umstritten»,40 sodass der Begriff in der Regel bei jedem einzelnen strafrechtlichen Tatbestand individuell bestimmt wird.41 Bei Artikel 181 StGB gilt wohl als kleinster gemeinsamer Nenner, dass der beispielsweise in der älteren deutschen Rechtsprechung vorherrschende «vergeistigte»42 oder «entmaterialisierte» Gewaltbegriff unzutreffend sei.43 Nötigende Gewalt wird heutzutage als «physischer Eingriff in die Rechtssphäre eines anderen»44 oder als «Einwirkungen auf den Körper eines Menschen mit physikalisch oder chemisch fassbaren Mitteln»45 definiert. Als Beispiele werden «Tränengas, Blendung»46 oder übermässiger Lärm angeführt47 sowie die aktiv herbeigeführte Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die Wegnahme von Gehhilfen.48 Einschränkend ist zu beachten, dass auch die Gewaltnötigung eine zur Brechung oder «Beugung»49 des Willens geeignete Intensität – «d’une force physique d’une certaine intensité»50 – aufweisen muss.
2.3 Kritik am Bahnschrankenurteil
Juristische Verweise auf scheinbar Materielles oder Objektives stellen häufig Scheinpräzisierungen dar, welche den zugrundeliegenden Wertungsentscheid vernebeln und sachfremden, aber scheinbar objektiven Kriterien den Weg bereiten: So beurteilte das Bundesgericht im Bahnschrankenfall das Verketten und Verkleben einer Bahnschranke fälschlicherweise als gewaltähnliches Verhalten.51 Jedoch wurde physisch nicht in die Rechtssphäre, geschweige denn in die körperliche Integrität der scheinbar Genötigten eingegriffen.
Dieser Schwerpunkt auf das Materielle ist ohnedies nicht angezeigt, da jener Aspekt durch die Delikte gegen Leib und Leben und gegen das Vermögen abgedeckt ist. Der Unrechtsgehalt einer Gewaltnötigung ergibt sich weder aus einem physikalisch-chemischen Eingriff in die Rechtssphäre noch aus einem Eingriff in die Physis. Der Unrechtsgehalt ergibt sich einzig aus der für die Willenseinschränkung ursächlichen erschütternden Wirkung auf die Psyche. Mit einer Gewalterfahrung im alltagssprachlichen Sinne geht regelmässig eine ebensolche erschütternde Wirkung auf die Psyche einher, weswegen Gewalt normalerweise zur Gefügigmachung geeignet ist. Das Nötigungsmittel Gewalt im technischen Sinn ist daher nur ein starkes Indiz für eine unzulässig-intensive Einflussnahme auf den Willen eines anderen.
Vorliegend wird somit vorgeschlagen, die Tatbestandsmässigkeit der Nötigung zu «vergeistigen», woraus sich zweierlei ergibt: Erstens erübrigt sich die im Folgenden dargelegte positive Begründung der Rechtswidrigkeit. Zweitens ist konsequenterweise ein unerlaubtes Mittel nicht mehr hinreichend für die Rechtswidrigkeit.52
2.4 Positive Begründung der Rechtswidrigkeit
Bereits 1943 erwog das Bundesgericht unter konkreter Bezugnahme auf die kontroverse Entstehungsgeschichte des Nötigungsparagrafen, dass die Tatbestandsmässigkeit nicht die Rechtswidrigkeit indiziere.53 Hierfür bedarf es ausnahmsweise einer gesonderten positiven Begründung der Rechtswidrigkeit.54 Bei jener ist zu würdigen, ob das Tatmittel oder der angestrebte Zweck unerlaubt ist oder ob die Zweck-Mittel-Relation als unverhältnismässig, rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig erscheint.55
Der Begriff des unerlaubten Mittels oder Zwecks ist zumindest bestimmbar, während die Zweck-Mittel-Relation konturlos bleibt. Der Einbezug weiterer unbestimmter Rechtsbegriffe führt zu einer «Verschärfung der rechtsstaatlichen Bedenken» aufgrund der Unbestimmtheitsproblematik.56 Die Rechtsunterworfenen können eine «richterliche Entscheidung nicht mehr voraussehen,» da das Gericht das Recht nicht mehr «findet», sondern «erfindet».57 Die jeweils diametral unterschiedlichen gerichtlichen Würdigungen der Bankenblockaden in Basel und Zürich stehen dafür exemplarisch.
2.5 Petitio principii
Im Kontext von zivilgesellschaftlichen Blockadeaktionen ist in der Rechtsprechung zuweilen zu beobachten, dass die Rechtswidrigkeit solcher Meinungsäusserungen mittels Zirkelschlusses begründet wird. Konkret fiel das Bezirksgericht Zürich (wie auch zuweilen das Bundesgericht)58 in den Erwägungen zur «Rechtswidrigkeit der Nötigung» dem Petitio-principii-Fehlschluss 59 anheim, da sich die positive Begründungspflicht – wie auch in der Medienmitteilung festgehalten60 – im Verweis auf «legale» Mittel erschöpft: «Es kann in einem demokratischen Rechtsstaat vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips nicht angehen, strafbare Handlungen zulasten Einzelner als rechtmässig zu behandeln, nur weil damit eine generelle Verhaltensänderung einer Privatperson, der Allgemeinheit und/oder ein Tätigwerden des Gesetzgebers gefordert wird. Dass illegale Aktionen nicht notwendig sind, um die dem Thema angemessene Publizität zu erreichen, beweist die Klimabewegung im Übrigen seit Jahren selbst.»61
Bei einem Sitzstreik wie dem vorliegenden ist evident, dass weder das Nötigungsmittel noch der in der Einleitung wiedergegebene angestrebte Zweck unzulässig waren. Sich in Gruppen hinzusetzen, ist nicht rechtswidrig, und die damit einhergehende politische Partizipation sogar gesellschaftlich gewünscht, da «der Kern der Demokratie die öffentliche Repräsentation politischer Konflikte ist.»62 Das Bezirksgericht scheint die Rechtswidrigkeit der Aktionsform (Mittel) jedoch a priori vorauszusetzen, weswegen die positive Begründungspflicht übersprungen und sodann lediglich der Notstand als Rechtfertigungsgrund geprüft wurde.
Richtigerweise hätte die Zweck-Mittel-Relation inklusive Prüfprogramm nach Artikel 36 BV geprüft werden müssen. Alternativ wäre zu prüfen gewesen, ob eine unerlaubt intensive Willensbeeinflussung stattgefunden hat.
Für eine kritische Übersicht zum Diskussionsstand sei auf die jüngste rechtswissenschaftliche Publikation «Protestaktion und klimaspezifische Rechtfertigungsgründe» verwiesen, in welcher diese Fragen vertieft anhand des Urteils BGE 147 IV 297 (Tennisaktion in Lausanner CS-Filiale) behandelt werden.63
2.6 Gewaltähnliche Intensität ausschlaggebend
Für den Unrechtsgehalt ist ausschlaggebend, dass mittels gewaltähnlicher Intensität der Wille dahingehend beeinflusst wird, dass starke Affekte (Furcht, Scham, Zorn etc.) hervorgerufen werden, sodass ein Betroffener «sein Verhalten nicht mehr ruhig zu überlegen oder zu steuern vermag.»64
3. Besondere Formen
3.1 Handlungseinheit
In einigen Rechtsordnungen ist Stalking im Sinne einer juristischen oder «tatbestandlichen Handlungseinheit» unter Strafe gestellt.65 Bei der Nötigung ist hingegen jede einzelne «näher bestimmte» Handlung dahingehend zu untersuchen,66 ob diese eine strafwürdige Nötigungsintensität aufweist. Es darf nicht auf ein «Gesamtverhalten» abgestellt werden.67 Nach neuerer Rechtsprechung ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass aufgrund der «gesamten Umstände, namentlich der Vorgeschichte» einer einzelnen Handlung, trotzdem eine unerlaubte Zwangswirkung zukommen kann, welche für sich allein genommen nicht hinreichend intensiv wäre.68
3.2 Mittäterschaft im eigentlichen Sinn
Sitzblockaden und ähnliche zivilgesellschaftliche Aktionen mit kommunikativem Zweck entfalten ihre Wirkung erst durch das Zusammenspiel mehrerer Akteure. Sollten solche Partizipationsformen als Nötigung im Sinn von Artikel 181 StGB verstanden werden, stellt sich die Frage des Tatbeitrags jeder einzelnen Person. Konkret ist zu untersuchen, ob eine Form der Mittäterschaft vorliegt oder lediglich Gehilfenschaft, bei der eine obligatorische Strafmilderung vorgesehen ist.
Das Vorliegen von Mittäterschaft ist anhand der «Tatherrschaftslehre» zu beurteilen.69 Mittäter ist, wer kraft eines «massgebenden» Tatbeitrages70 als ein «Hauptbeteiligter» erscheint,71 was eine «Mit-Tatherrschaft»,72 wenn nicht gar einen beinahe unverzichtbaren («plus ou moins indispensable»73) Tatbeitrag voraussetzt, durch den das Gesamtunterfangen «steht oder fällt».74
Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung zur Nötigung in politischen Kontexten die Frage der Mittäterschaft beim Fall AKW-Castor mangels begründeter Rüge nur oberflächlich gestreift und bei der Niederschreien-Rechtsprechung a priori angenommen.75 Im Baregg-Urteil wurde bei den Erwägungen zur Tatbestandsmässigkeit zudem darauf hingewiesen, dass (scheinbar korrekterweise) strafrechtlich lediglich die «für die Planung, Vorbereitung und Organisation verantwortlichen Gewerkschaftsfunktionäre» verfolgt wurden, aber nicht die Teilnehmer.76
3.3 “Sippenhaft” aufgrund Mittäterschaftskonstruktion
Das Bezirksgericht Zürich folgte jedoch nicht diesem höchstrichterlichen Wink, sondern der seit 2016 vorherrschenden, bisweilen scharf kritisierten baslerischen Tendenz, bei politischen Kundgebungen eine Mittäterschaftskonstruktion anzuwenden.77 Der ehemalige Basler Strafgerichtspräsident Peter Albrecht befürchtete bereits zu Beginn dieser Tendenz die Einführung einer «Sippenhaft».78
Anders als bei Demonstrationen – bei denen die fehlende Tatherrschaft eines Mitdemonstranten augenscheinlich ist – vermag die Prüfung hinsichtlich mittäterschaftlicher Tatbegehung bei einer Blockadeaktion jedoch nicht zu erstaunen. Fraglich erscheint hingegen, ob aus dem Umstand, dass «das Wegfallen einiger weniger Personen den Effekt deutlich geschmälert hätte»,79 tatsächlich eine Tatherrschaft und eine Hauptbeteiligung abgeleitet werden kann. Im Licht der bisherigen Mittäterschaftsrechtsprechung dürfte dies in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht zu verneinen sein: Der Tatbeitrag eines einzelnen Teilnehmers stellt keine Conditio sine qua non für die Blockade dar, und ein beliebiger Teilnehmer dürfte schwerlich als Organisator beziehungsweise als Hauptbeteiligter erscheinen.
3.4 Keine Tatherrschaft bei Blockadeteilnahme
Es ist anzunehmen, dass den Teilnehmern einer Sitzblockade normalerweise keine Tatherrschaft zugerechnet werden kann, sondern – in Anlehnung an die Baregg-Rechtsprechung 80 – lediglich den Organisatoren und ähnlich zentralen Personen. Bei einer Nötigung ist diese Frage jedoch untergeordnet, da bei dieser nur die jeweilige Einzelhandlung hinsichtlich einer unerlaubten Nötigungsintensität zu prüfen ist.
4. Indizien für unerlaubte Intensität
4.1 Sachgerechtes Verhältnis
Im AKW-Castor-Urteil wurde auf ein «sachgerechtes Verhältnis» der gewählten «politischen Einflussnahme» abgestellt, deren «Intensität und Dauer» jedoch das «duldbare Mass» überschritten habe.81 Der Fall betraf Blockadeaktionen gegen den Transport von nuklearen Brennelementen in den Jahren 1997 und 1998.
4.2 Dauer der Einwirkung nicht ausschlaggebend
Trotz der häufig anzutreffenden Formulierung «Intensität und Dauer»82 ist es falsch, der Dauer eine eigenständige Bedeutung zukommen zu lassen. Gemäss dem Baregg-Urteil ist die Dauer lediglich dahingehend «von Bedeutung, soweit sie Rückschlüsse auf die Intensität zulässt.»83 Die mangelnde eigenständige Bedeutung der Dauer ergibt sich auch aus dem Fakultätssitzungs-Urteil. Dort wurde festgehalten, dass ein «relativ kurzfristiges» Verweilen (fünf bis zehn Minuten) zwar «faktisch die reguläre Durchführung der Sitzung» verunmöglichte, weswegen die Sitzung in ein anderes Gebäude verlegt wurde.84 Es fehlten jedoch «schlüssige Anhaltspunkte dafür», dass die Anwesenden dieses Verweilen als ein «schwerwiegendes Druckmittel empfunden hätten.»85
4.3 Lähmende Wirkung durch Niederschreien
Bei Vorträgen stellen «einzelne Zwischenrufe, Pfiffe etc.» keine ausreichend intensive Einflussnahme dar, wohingegen aber ein regelrechtes «Niederschreien» eine «lähmende Wirkung» entfaltet und dazu führt, dass Betroffene «keine klaren Gedanken» mehr fassen können.86 Es darf davon ausgegangen werden, dass bereits ein systematisches Niederschreien durch eine einzelne Person hinreichend intensiv für starke, den Willen beeinträchtigende Affekte ist. Entsprechend stellen sich in der Regel keine mittäterschaftlichen, sondern allenfalls grundrechtliche Fragen.
5. Demokratische Grundrechte
Der Rechtsprechung zu zivilgesellschaftlichen Aktionsformen werden unter anderem in Anlehnung an die EGMR- und EuGH-Rechtsprechung87 grundrechtliche Defizite attestiert.88 Insbesondere Blockaden mit kommunikativem Zweck seien von den Kommunikationsgrundrechten geschützt.89
5.1 Einschränkung des Schutzbereichs
Einige Stimmen wollen den Schutzbereich auf die «rechtlich garantierte Freiheit»90 und diesen aus grundrechtlicher Sicht mittels einer «verfassungskonformen teleologischen Reduktion» auf die grundrechtlich geschützten Formen der Willensbildung und -betätigung einschränken.91 Diese Lösung würde jedoch dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, der eine solche Einschränkung explizit nicht gewünscht hat.92 Zudem würde der Unrechtsgehalt der Nötigung mit neuer Unbestimmtheit aufgeladen, da der Umfang grundrechtlich garantierter Freiheiten konturloser und vor allem einem schnelllebigeren politisch bestimmten Wandel unterworfen ist als jener der individuellen Freiheit.
Da ein Strafverfahren immer auch einen Grundrechtseingriff bedeutet, gilt es aber trotzdem, die demokratischen Grundrechte eines Blockadeteilnehmers mit den grundrechtlich garantierten Freiheitsrechten der Betroffenen abzuwägen.
5.2 Verfassungsmässigkeit ist zu prüfen
Bei der dritten TBV scheint eine grundrechtliche Prüfung oft vergessen zu gehen, obschon das Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage (Artikel 36 Absatz 1 BV, Artikel 7 Ziffer 1) nur eine der notwendigen Voraussetzungen für ein rechtmässiges Strafverfahren darstellt. Bei strafrechtlich vermittelten Grundrechtseingriffen im Rahmen politischer Partizipation ist eine solche Prüfung noch mehr als sonst angezeigt: Die Zivilgesellschaft gilt gemäss dem EGMR als öffentlicher Wachhund («public watchdog») und wird «in ihrer Relevanz für eine pluralistische Demokratie mit politischen Parteien und der Presse gleichgestellt.»93 Den einhergehenden besonders ausgeprägten Schutz geniessen zivilgesellschaftliche Akteure insbesondere, wenn diese «die Aufmerksamkeit auf Themen von öffentlichem Interesse ziehen,»94 weswegen sich der EGMR in solchen Fällen nicht auf die Prüfung eines «acceptable assessment» beschränkt.95
Zudem gilt im Rahmen von Artikel 10 EMRK auch hinsichtlich strafrechtlich vermittelter Grundrechtseingriffe eine höhere Kontrolldichte.96 Gerichte haben diese erhöhten grundrechtlichen Anforderungen insbesondere hinsichtlich der «Natur und Schwere der Sanktion», also im Rahmen der der Erforderlichkeits- und der Zumutbarkeitsprüfung, zu berücksichtigen.97
Artikel 36 BV und Artikel 10 EMRK sind deswegen nicht nur im Rahmen der Zweck-Mittel-Relation und bei der Rechtfertigungsprüfung nach Artikel 14 StGB zu berücksichtigen, sondern im Besonderen auch bei einer allfälligen Strafzumessung. Daraus folgt, dass den Artikeln 48 und 52 StGB und – in Fällen kollektiver politischer Meinungsäusserung – dem Artikel 25 StGB eine zentrale Rolle zukommt. So ist es möglich, die Grundrechtskonformität entweder mittels Strafbefreiung (Artikel 52 StGB) oder allenfalls zumindest in Anwendung von Artikel 48a StGB die Strafart auf eine Übertretung zu reduzieren.98
5.3 Rechtsprechung zu den Grundrechten
Im Baregg-Urteil wurde darauf hingewiesen, dass beim Vorliegen eines sachlichen Konnexes zwischen der politischen Meinungsäusserung und dem politisch verhandelten Gegenstand «in der Regel» keine strafbare Nötigung gegeben ist, da «der Zusammenhang mit dem Protestzweck auch für unbeteiligte Dritte sinnfällig zum Ausdruck kommt. Die daraus für Dritte resultierenden Behinderungen sind grundsätzlich hinzunehmen».99
Im Menschenteppich-Urteil qualifizierte das Bundesgericht die Aktion als nicht von den Grundrechten geschützt, unter anderem da die unmittelbaren Adressaten in eine «vorgedachte Rolle» gezwungen wurden und die Teilnehmer nie einen Meinungsaustausch beabsichtigt hätten.100
Ähnlich im Bahnschranken-101 und im Baregg-Urteil:102 Dort wurde der grundrechtliche Schutz der politischen Meinungsäusserung verneint, weil die meisten betroffenen Autofahrer die Meinungsäusserung gar nicht wahrnehmen konnten. Im gleichen Baregg-Urteil wurde überdies das Unterlassen einer vorgängigen Ankündigung der Blockade als ein «wesentlicher» Unterschied «in tatsächlicher Hinsicht» zur Brennerblockade angesehen. In jenem Fall hatte der Europäische Gerichtshof eine «30-stündige Blockade der Brenner-Autobahn durch Umweltschützer» im Verhältnis zum Recht auf freien Warenverkehr zu beurteilen.103
5.4 Grundrechtliche Defizite
Die dritte TBV solllte aufgrund der verfassungs- und grundrechtlichen Problematik von den Gerichten nicht angewendet werden,104 da sonst der Gesetzgeber nie veranlasst wird, Artikel 181 StGB zu reformieren.105 Bis dahin sollte eine grundrechtskonforme Anwendung aber nicht über die Einschränkung des Schutzbereiches, sondern über das Prüfprogramm von Artikel 10 EGMR und über Artikel 36 BV erfolgen. Die Gerichte haben daher bei der Zweck-Mittel-Relation Artikel 14 StGB noch stärker zu berücksichtigen. Insbesondere scheint fraglich, ob die Qualifizierung als Vergehen nicht das Prinzip des mildesten Mittels und der Zumutbarkeit verletzt. Diesem Problem kann bei der Strafzumessung mittels Strafbefreiung aufgrund von Artikel 52 StGB und mittels Strafmilderung aufgrund der Artikel 24 und 48 StGB begegnet werden.
Ebenso zweifelhaft erscheint erstens, ob die Pönalisierung solcher Partizipationsformen tatsächlich den «demokratischen Rechtsstaat»106 oder nicht eher ein spezifisches Verständnis von Demokratie oder das «Sittlichkeitsgefühl des Gerichts»107 schützt. Und zweitens, ob dieses Argument nicht schlechterdings unzulässig ist, da der Schutzbereich von Artikel 181 StGB auf ein spezifisches Individualrechtsgut beschränkt ist.
Im Bankenblockade-Fall ist zuletzt speziell, dass sich aus der «unbestimmten Vielzahl an betroffenen Personen»108 bis auf die Credit Suisse keine einzige natürliche Person als Privatkläger konstituiert hat. Es ist daher fraglich, ob überhaupt eine hinreichend intensive Beeinträchtigung des Willens vorlag, welche die Voraussetzung der «pressing social needs»109 nach Artikel 10 EMRK für eine Strafverfolgung begründen würde.
6. Fazit für den Bankenblockade-Fall
Im November 2022 wird das Bankenblockade-Urteil vor dem Obergericht Zürich verhandelt. Dabei wird zu berücksichtigen sein: Die Aktion war friedlich, und auch sonst bestehen keine Anzeichen dafür, dass die Intensität auf den Willen der Betroffenen gewaltähnlich war. Auch das Sichgemeinsam-Hinsetzen war offensichtlich erlaubt. Und beim Durchschnittsteilnehmer müsste in Anwendung von Artikel 47 Absatz 1 StGB korrekterweise das jeweilige Individualverhalten allenfalls im Sinne einer Gehilfenschaft nach Artikel 24 StGB beurteilt werden. Der «Zweck» der Meinungsäusserung, den Pariser Klimazielen Nachachtung zu verschaffen, war wiederum ebenso erlaubt, wenn nicht sogar sozial erwünscht.
Bei der Zweck-Mittel-Relation ist zu berücksichtigen, dass zwischen der Meinungsäusserung und dem politischen Gegenstand ein sachlicher Konnex bestand, der Inhalt der Meinungsäusserung für alle Betroffenen erkennbar war und die Teilnehmer vermutlich sogar den Dialog mit den Betroffenen gesucht haben dürften. Diese wurden jedenfalls nicht in eine vorgedachte Rolle gezwängt oder aktiv derart angegangen, dass bei ihnen eine lähmende Wirkung eingesetzt hätte.
1 BGE 107 IV 113, E. 3 b).
2 Vgl. hierzu z. B.: Andreas Moppert, «Grenzen des strafbaren Zwangs bei Nötigung», in: ZStrR 1972, S. 174–178.
3 Günter Stratenwerth / Jenny Guido /Felix Bommer, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, Bern 2010, § 5 N 1.
4 Vgl. auch BSK-StGB-Delnon /Rüdy, Art. 181, N 6, welche die einhergehende «Rechtsunsicherheit» kritisieren, da dem «Sittlichkeitsgefühl […] des angerufenen Gerichts» zu grosser Raum gegeben wird.
5 Martin Schubarth, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Besonderer Teil, 3. Band, Bern 1984, Art. 173–186 StGB, Art. 181, N 41; hiervon ausgenommen ist evtl. die «eng ausgelegte» Gewaltnötigung [ders., N 72].
6 Art. 1 StGB und Art. 7 EMRK, konkret: nullum crimen sine lege stricta et sine lege certa.
7 BGE 141 IV 437, E. 3.2.1; BGE 119 IV 301, E. 2. a).
8 BGE 129 IV 6, E. 2.2.; BGE 129 IV 262, E. 2.1.
9 Collective Climate Justice, «Fossil Banks – Too Big to Stay» www.climatejustice.ch/archiv/archiv-2019/aktionstage-2019 (letztmalig aufgerufen: 6.5.2022).
10 Ebd., «Forderungen des Collective Climate Justice (Juli 2019)» www.climatejustice.ch/archiv/archiv-2019/forderungen-2019 (letztmalig aufgerufen: 6.5.2022).
11 Bezirksgericht Zürich, 9. Abteilung, Einzelgericht, GG200191 vom 14.5.2021, E. 3.10. und E. 4.1.2.
12 Brigitte Hürlimann, «Schuldsprüche für Klimaaktivisten hier, Freisprüche dort», in: Republik vom 14.5.2021; eine schriftliche Urteilsbegründung wurde nicht ausgestellt.
13 Bezirksgericht Zürich, GG200191 vom 14.5.2021, E. 3.10.
14 Bezirksgericht Zürich, 10. Abteilung, Einzelgericht, GG20099 vom 30.8.2022 (Staatsanwaltschaft hat Berufung angemeldet). Am 19.9.2022 erging ein weiterer Freispruch hinsichtlich der Blockade der Rudolf-Brun-Brücke vom Oktober 2021 (GB220088), die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.
15 Stratenwerth et. al., a.a.O., § 5 N19.
16 BGE 129 IV 6, E. 2.1.; BGE 96 IV 58, E. 1.
17 Botschaft des Bundesrates vom 23.7.1918 an die Bundesversammlung zu einem Gesetzesentwurf enthaltend das Schweizerische Strafgesetzbuch, BBl 1918, S. 39.
18 Ebd.
19 BGE 122 IV 322, E. 1. a).
20 BGer 6B_150/2021 vom 1.1.2022, E. 2.3.; BGE 122 IV 322, E. 1. a).
21 So müsse bei physischem Zwang z. B. berücksichtigt werden, ob sich dieser gegen ein unerfahrenes oder schwächeres Opfer richtet (BGE 101 IV 42, E. 3. a).
22 Reto Heizmann / Julia Lüönd, «Art. 181 Nötigung», in: Damian Graf (Hrsg.), StGB, Annotierter Kommentar, Bern 2020, N 9.
23 Seinerzeit Vorlesungsbeispiel von Prof. Riedo.
24 Stratenwerth et al., a.a.O., § 5 N 9.
25 Schubarth, a.a.O., N 36.
26 Hinsichtlich Wichtigkeit eines Organs werden z. B. die Freizeitaktivitäten des Geschädigten und dergleichen berücksichtigt (BGE 105 IV 179, S. 180).
27 Vgl. m.w.H. BSK-StGB-Riedo, Art. 30 StGB, N 2, gemäss welchem ein subjektives Recht darauf besteht, dass nicht ohne bzw. gegen den Willen des Geschädigten ein Strafverfahren geführt wird; oder vertieft: Christof Riedo, «Der Strafantrag», Basel/Genf/München 2004, zugl. Diss., S. 135–139.
28 So z. B. in der Einstellungsverfügung 2021/10005561 der StA Limmattal/Albis vom 17.3.2022.
29 BBl 1918, S. 39.
30 Vgl. Andreas Dietschi, «Nötigung durch wiederholte, nicht tatbestandsmässige Einzelhandlungen?», nicht publizierte Masterarbeit vom 18.2.2018, Ref. Christof Riedo, Kapitel C.V. Eigener Lösungsvorschlag: Die Nötigungsschwelle (Stalkingschwelle), N 72–89.
31 BSK-ZPO-Sprecher, Art. 267, N 4.
32 BGE 141 IV 437, E. 3.2.1.
33 Ebd., E. 3.2.2; BGer 6B_852/2019 vom 16.7.2020, E. 3.2.
34 Ebd.
35 Amtsgericht Thun, in: ZBJV 1954, S. 468.
36 Emil Zürcher, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Erläuterungen zum Vorentwurf vom April 1908, Bern 1914, S. 197.
37 BGer 6B_320_2007 vom 16.11.2007, E. 4.2.; Jonas Weber / René Wiederkehr, Urteilsbesprechung BGE 129 IV 6, in: AJP 2003, S. 435.
38 Schubarth a.a.O., N 72.
39 BGE 141 IV 437, E. 3.2.1.
40 Stefan Trechsel / Martino Mona in: Stefan Trechsel /Mark Pieth (Hrsg.), Schweizerisches Strafgesetzbuch Praxiskommentar, Basel 2021, Art. 181, N 2.
41 Mark Pieth, Strafrecht Besonderer Teil, Basel 2014, S. 55.
42 Deutsches Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 104, 92 vom 24.10.2010, E. B.I.1. a.
43 Delnon/Rüdy a.a.O., N 20; leicht a.M. Martino Imperatori, «Das Unrecht der Nötigung», in: ZStStr Band 13, Zürich 1987, zugl. Diss., S. 46, gemäss welchem ein entmaterialisierter Gewaltbegriff ebenso «plausibel und so ‹richtig›» sei wie einer, «der sich mit der Physis verbindet».
44 Stratenwerth et. al., a.a.O., § 5 N 6, Hervorhebung des Autors.
45 Andreas Donatsch, Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, 10. Aufl., Zürich 2013, S. 426; gl. M. Bernard Corboz / Emmanuel Piaget, «Les infractions en droit Suisse», Art. 181 CP La Contrainte, Bern 2010, N 3.
46 Andreas Donatsch, StGB/JStGB-Kommentar, 20. Aufl., Zürich 2018, Art. 181, N 2.
47 BGE 101 IV 167, E. 2.a), subsumiert übermässigen Lärm unter Variante 3.
48 Imperatori, a.a.O., S. 52, 175.
49 Zürcher, a.a.O., S. 196.
50 Seit BGer 6B_1188/2017 vom 5.6.2018, E. 3.1., häufig verwendeter, sich auf BGE 101 IV 42, E. 3.a), beziehender Textblock. Letztmalig in BGer 6B_1336/2021, E. 1.1 vom 24.3.2022.
51 BGE 119 IV 301, E. 3.a).
52 So wurde z. B. in BGer 6B_560/2009 vom 10.11.2009, E. 4.3, dem Art. 181 StGB bereits die Anwendung versagt trotz rechtswidrigem Nötigungsmittel i.S. einer Verletzung von Art. 90 Abs. 2 SVG mittel Schikanestopp. Kritisch hierzu Gerhard Fiolka / Philippe Weissenberger, «Rechtmässige Nötigung trotz rechtswidriger Nötigungsmittel?», in: Forumpoenale 2010, S. 237–242.
53 BGE 69 IV 168.
54 Vgl. ausführlich m.w.H. Dietschi, a.a.O., Kapitel B.VII. Positive Begründung der Rechtswidrigkeit und Rechtfertigungsgründe, N 40–61.
55 BGer 6B_28/2021 vom 29.4.2021, E. 2.1., m.w.H. auf neuere Leitentscheide; BGE 105 IV 120, E. 2.a), m.w.H. auf die Lehre.
56 Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht. Allgemeiner Teil I: Die Straftat, Bern 2011, § 5 N 17; Emanuel Cohen, Im Zweifel für die Strafe?, Zürich 2015, zugl. Diss., S. 5, kritisiert die «Unberechenbarkeit der richterlichen Entscheidungen».
57 Jiri Ehrlich, Der sozialwidrige Zwang als tatbestandsmässige Nötigung gemäss Art. 181 StGB, Diessenhofen 1984, zugl. Diss, S. 57.
58 So z. B. BGE 129 IV 6, E. 3.1, E. 3.5.
59 «Immanuel Kants Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen, herausgegeben von Gottlob Benjamin Jäsche, § 92 Petitio principii – Circulus in probando», in: Julius Kirchmann (Hrsg.), Philosophische Bibliothek, Berlin 1869, S. 150.
60 Patrick Strub, Medienmitteilung Bezirksgericht Zürich zum Urteil GG200191 vom 14.5.2021.
61 Bezirksgericht Zürich, GG200191 vom 14.5.2021, S. 36, E. 4.3.2.d).
62 Iva Stamenkovic / Philippe Stawiski, «Die rechtliche Dimension der Klimastreikbewegungen», in: Ylber Hasani / Stefanie Hug / Jascha Zalka (Hrsg.), Recht und Umwelt, Zürich 2021, S. 104.
63 Andreas Noll, Protestaktion und klimaspezifische Rechtfertigungsgründe, Bern 2022.
64 Amtsgericht Thun, S. 468.
65 BGE 129 IV 262, E. 2.4; vgl. zur Rechtsfigur der Handlungseinheit Jürg-Beat Ackermann, in: Marcel Niggli et al., Basler Kommentar Strafrecht I, 4. Aufl., Basel 2019, Art. 49, N 24; zu Stalking insb. Orlando Vanoli, «Stalking. Ein ‹neues› Phänomen und dessen strafrechtliche Erfassung in Kalifornien und in der Schweiz», in: ZStStr Band 50, Zürich 2009, zugl. Diss.; Aurelia Gurt, «Stalking. Eine Analyse der gegenwärtigen Gesetzeslage und die Frage nach einem Revisionsbedarf im Schweizer Recht», in: ZStStr Band 110, Zürich 2020, zugl. Diss.
66 BGE 129 IV 262, E. 2.4.
67 BGE 141 IV 437, E. 3.2.2.
68 Ebd.
69 Micha Nydegger, Vorbemerkung zu Art. 24 ff., in: Damian Graf (Hrsg.), StGB, Annotierter Kommentar, Bern 2020, N 5.
70 «Manière déterminante» BGE 135 IV 152, E. 2.3.1.
71 Nydegger a.a.O., N 18; bzw. «participants principaux» BGE 135 IV 152, E. 2.3.1.
72 Donatsch, StGB/JStGB-Kommentar, a.a.O., Art. 24, N 8.
73 BGE 120 IV 17, E. 2.d).
74 BGE 133 IV 76, E. 2.7.
75 BGE 129 IV 6, E. 5.1, BGE 101 IV 167, E. 2.b).
76 BGE 134 IV 216, E. 4.4.4.
77 Seit 2016 werden in Basel-Stadt Demonstrationsteilnehmer «pauschal» als Mittäter für jegliche Vorkommnisse angeklagt, so insbesondere in den Verfahren rund um den «Saubannerzug von 2016» und um die «Gegendemonstration gegen die Pnos (2018)» (Silvana Schreier / Benjamin Rosch, «Hart auf hart: Linksextreme Gewalt in Basel nimmt zu», in: bz – Zeitung für die Region Basel vom 4.7.2020). Durch diese Mittäterschaftskonstruktion wurde u. a. für Personen, denen «keine individuelle Tat» nachgewiesen wurde, der Weg für hohe Strafen geebnet, mit welchen dem «Sicherheitsgefühl der Bevölkerung» Nachachtung verschafft werden sollte (Gerichtspräsident Dominik Kiener zit. nach: Merièm Strupler, «Im Zweifel für die Staatsanwaltschaft», in: WOZ vom 31.1.2019). Erschwerend kommt hinzu, dass trotz Mittäterschaftsvorwurf bei den Verfahren gegen die Pnos-Gegendemonstranten kein vereinigtes Verfahren durchgeführt wurde (Daniel Kipfer, «Bericht der Aufsichtskommission Staatsanwaltschaft über ihre Tätigkeiten und Feststellungen für das Jahr 2020/2021» vom 1.9.2021, Rz. 2.23).
78 Zit. nach: Catherine Weyer, «Wieso sich der Rechtsstaat derart schwer tut mit dem Saubannerzug», in: Tageswoche vom 26.10.2018.
79 Bezirksgericht Zürich, GG200191 vom 14.5.2021, E. 4.1.2.
80 BGE 134 IV 216, E. 4.4.4.
81 BGE 129 IV 6, E. 3.7.
82 BGE 129 IV 262, E. 2.5; BGE 129 IV 6, E. 2.6.
83 BGE 119 IV 301, E. 3.b).
84 BGE 107 IV 113, E. 3.c).
85 Ebd.
86 BGE 101 IV 167, E. 2.a).
87 EGMR 24838/94 (Steel c. Vereinigtes Königkreich) vom 23.9.1998, Ziff. 92; EGMR 73333/01 (Ciloglu c. Türkei) vom 6.3.2007, Ziff. 5 und 39–41; EuGH Rs. C-112-00 (Schmidberger c. Österreich) vom 12.6.2003, N 79, 90 f.
88 Weber / Wiederkehr, a.a.O., S. 434; Jörg Müller / Paul Schefer, «BV 22», in: Grundrechte in der Schweiz: im Rahmen der Bundesverfassung, der EMRK und der Uno-Pakte, Bern 2008, S. 592; Schubarth, a.a.O., N 39.
89 Ebd.
90 Trechsel/Mona, a.a.O., N 1; Ehrlich, a.a.O., S. 7–9; Schubarth, a.a.O., N 1.
91 Jonas Weber / Peter Wiederkehr, «Ende der Blockade bei der Nötigung? Versuch einer einschränkenden Auslegung des Art. 181 StGB», in: Recht 2001, insb. S. 225–227.
92 BBl 1918, S. 38.
93 Patricia Wiater, «Politische Teilhabe der Zivilgesellschaft. Menschenrechtliche Rahmenbedingungen für die Behandlung gemeinnütziger Organisationen. Ein Rechtsgutachten im Auftrag der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. vom 19.10.2021, S. 7, 10 f.; vgl. zur zentralen Rolle zivilgesellschaftlicher Partizipation in einer Demokratie auch Europäisches Parlament, «Entschliessung des Europäischen Parlaments vom 8.3.2022 zum schrumpfenden Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft in der EU (2021/2103 INI)».
94 EGMR 48876/08, (Animal Defenders International c. Vereinigtes Königreich) vom 22.4.2013, Ziff. 103, Übersetzung des Autors.
95 EGMR 56925/0, Bédat c. Suisse vom 29.3.2016, Ziff. 48.
96 Christian Mensching, «Art. 10 EMRK», in: Ulrich Karpenstein /Franz Mayer (Hrsg.), EMRK, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Kommentar, München /Basel 2022, N 52.
97 Ebd., N 64.
98 Ebd., Art. 10.
99 BGE 134 IV 216, E. 5.1.2.
100 BGE 108 IV 165, E. 3.b).
101 BGE 119 IV 301, E. 3.b).
102 BGE 134 IV 216, E. 5.3.2.
103 Ebd., E. 6.3, der EuGH argumentierte, dass «strengere Auflagen hinsichtlich des Ortes [… und der] Dauer [… eine] übermässige Beschränkung» der politischen Grundrechte darstellen können, weil hierdurch «der Aktion ein wesentlicher Teil ihrer Wirkung» genommen würde. Es gelte, das Interesse der Demonstranten, «die öffentliche Meinung auf die Ziele ihrer Aktion aufmerksam zu machen», i. C. mit der «Freiheit des Verkehrs» abzuwägen. Die Nachteile, die «eine derartige Aktion gewöhnlich für unbeteiligte Personen» mit sich bringt, können «grundsätzlich hingenommen werden, wenn damit im Wesentlichen der Zweck verfolgt wird, auf rechtmässige Weise eine Meinung öffentlich zu äussern.»; EuGH Rs. C-112-00 (Schmidberger c. Österreich) vom 12.6.2003, N 91 f.
104 Schubarth, a.a.O., N 39. Eine Nichtanwendung ist auch unter Berücksichtigung von Art. 190 BV möglich, da Art. 1 StGB aufgrund der Lex-superior- und der Lex-posterior-Regel ebenfalls als Bundesgesetz dem Art. 181 StGB vorgeht.
105 Gl. M. im Allgemeinen hinsichtlich zu unbestimmten Strafnormen: Cohen, a.a.O., S. 208; im Besonderen hinsichtlich dritter TBV: Marc Spescha, «Nötigung gemäss Art. 181 StGB – Maulkorb für Politisches?» in: plädoyer 6/1994, S. 35.
106 Bezirksgericht Zürich, GG200191 vom 14.5.2021, E. 4.3.2.d).
107 Delnon / Rüdy, a.a.O., N 6.
108 Bezirksgericht Zürich, GG200191 vom 14.5.2021, E. 3.10.
109 Mensching, a.a.O., N 52.