Staats-/Verwaltungsrecht
Die mit der Volksinitiative «Keine Steuergelder für die Berner Reithalle!» vorgeschlagenen Regelungen schränken die Entscheidungsfreiheit der Stadt Bern im Bereich der Kulturförderung zwar weder förmlich noch rechtlich ein. Sie zielen indessen darauf ab, die Stadt Bern unter finanziellen Druck zu setzen, um auf diese Weise auf ihr Verhalten im Bereich der Kulturförderung Einfluss zu nehmen. Die neuen Bestimmungen hätten eine Schlechterstellung der Stadt Bern in der Höhe von 54 Millionen Franken pro Jahr zur Folge. Die Initiative kommt deshalb einem ungerechtfertigten Eingriff in die Gemeindeautonomie der Stadt Bern gleich. Sie verstösst überdies gegen das Rechtsgleichheitsgebot, weil sie einzig auf die Kulturförderung in der Stadt Bern Einfluss nimmt – andere Gemeinden wären von der Initiative selbst dann nicht betroffen, wenn auf ihrem Gebiet ähnliche Einrichtungen vorhanden wären.
1C_221/2017 und 1C_223/2017 vom 18.4.2018
Zivilrecht
Die Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung des Arbeitnehmers ist unzulässig. Denn gemäss Art. 321e OR haftet der Arbeitnehmer nur, wenn er den Schaden dem Arbeitgeber absichtlich oder fahrlässig zufügt. Ein Verschulden des Arbeitnehmers ist also zwingend vorausgesetzt. Dementsprechend erweist sich auch eine verschuldensunabhängige Konventionalstrafe mit Ersatzcharakter als unzulässig. Im konkreten Fall hatte eine arbeitsvertraglich vereinbarte Konventionalstrafe vorgesehen, dass die Pflicht zur Zahlung einer Konventionalstrafe «bei Zuwiderhandlungen gegen diesen Vertrag» ausgelöst wird. Damit wurde rechtsgeschäftlich eine verschuldensunabhängige Haftung des Arbeitnehmers vereinbart, was eine unzulässige Haftungsverschärfung bedeutet.
4A_579/2017 und 4A_581/2017 vom 7.5.2018
Aus der blossen Tatsache des Bestehens einer «Facebook-Freundschaft» zwischen einer Partei und einem Richter kann nicht auf eine freundschaftliche Beziehung geschlossen werden, welche den Anschein von Befangenheit begründen vermöchte. Bei einer freundschaftlichen Verbindung ist eine gewisse Nähe erforderlich, die über eine blosse Bekanntschaft oder ein «Duzverhältnis» hinausgeht. Eine Freundschaft auf Facebook für sich allein weist noch nicht auf freundschaftliche Beziehung im traditionellen Sinn hin.
5A_701/2017 vom 14.5.2018
Das Bundesgericht hat die jahrzehntelange, in der Lehre stark kritisierte Praxis zum Regress einer Schadensversicherung auf Dritthaftpflichtige aufgegeben. Neu ist die private Schadensversicherung im Verhältnis zum kausal haftpflichtigen Unfallverursacher gestützt auf Art. 72 Abs. 1 VVG gleich zu behandeln wie die Sozialversicherung, welche insoweit in die Stellung der geschädigten Person subrogiert, als sie diese entschädigt hat. Im konkreten Fall war eine ältere Dame in einem Bus gestürzt, weil dieser «ruppig» anfuhr. Die Privatversicherung der Frau bezahlte Rechnungen im Betrag von über 33 000 Franken. Aufgrund der Praxisänderung hat die Privatversicherung nun ein Regressrecht gegen die Haftpflichtversicherung des Busbetriebes.
4A_602/2017 vom 7.5.2018
Ein Kontaktverbot kann ziemlich umfassend und zeitlich unlimitiert sein, um eine Person vor den Nachstellungen eines ehemaligen Partners zu schützen. Das Schwyzer Obergericht hat einem ehemaligen Freund eines Stalkingopfers unter Androhung von Strafe zu Recht befohlen, jeglichen Kontakt zu seiner einstigen Freundin zu vermeiden, sei es persönlich, per Telefon, per SMS, per E-Mail oder auf andere Weise. Zudem muss sich der Stalker vom Wohnort und vom Arbeitsort der Frau fernhalten. Auch der Kontakt zur Familie und zum beruflichen Umfeld der Frau wurde ihm verboten. Entgegen der Auffassung des betroffenen Mannes erweisen sich diese Schutzmassnahmen trotz fehlender zeitlicher Befristung nicht als unverhältnismässig.
5A_429/2017 vom 13.4.2018
Der Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils gemäss Art. 283 ZPO schliesst einen Teilentscheid im Scheidungspunkt nicht aus. Widersetzt sich ein Ehepartner zwar nicht der Scheidung, wohl aber einem Teilentscheid im Scheidungspunkt, sind die auf dem Spiel stehenden Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen. Mit Rücksicht auf die Interessenlage und aufgrund der Feststellung, dass der Scheidungsgrund gemäss Art. 114 ZGB erfüllt war, entsprach das Bundesgericht im konkreten Fall dem Gesuch des Ehemannes, die Ehe der Parteien durch Teilentscheid zu scheiden. Dieser wollte sich wieder verheiraten und forderte deshalb den sofortigen Teilentscheid im Scheidungspunkt – und damit vor Abschluss des Verfahrens über die Scheidungsfolgen.
5A_623/2017 vom 14.5.2018
Die Verordnung des EJPD über die vom Gläubiger zu stellenden Begehren im Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren (SR 281.311) bestimmt in Art. 2 Abs. 1, dass in einem Betreibungsverfahren höchstens zehn Forderungen geltend gemacht werden können. Diese Bestimmung verstösst gegen Artikel 67 des SchKG und ist deshalb nicht mehr anwendbar. Im konkreten Fall hatte der Kanton Zürich einen Schuldner betrieben und dabei zwölf Gerichtsurteile und einen Verlustschein als Grund angeführt. Das Betreibungsamt wies das Betreibungsbegehren zurück, da mehr als zehn Forderungen aufgeführt waren. Als das Zürcher Obergericht die Beschwerde des Kantons guthiess, rief das EJPD erfolglos das Bundesgericht an.
5A_165/2017 vom 3.5.2018
Strafrecht
Seit Oktober 2016 gilt für Ausländer die obligatorische Landesverweisung bei der Begehung bestimmter Straftaten. Eine obligatorische Landesverweisung bei den im Katalog aufgezählten Straftaten ist auch dann auszusprechen, wenn es bei einem blossen Tatversuch geblieben ist. Dies sieht die Botschaft des Bundesrats ausdrücklich vor. Der konkrete Fall betraf einen Ausländer, der wegen versuchten Diebstahls in Verbindung mit versuchtem Hausfriedensbruch zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden war. Nun wird der Täter für fünf Jahre des Landes verwiesen.
6B_1379/2017 vom 25.4.2018
Ein Jugendlicher war verdächtigt worden, in Basel Motorräder und Fahrräder umgestossen sowie mit Flaschen und Stühlen um sich geworfen zu haben. Der Jugendliche liess sich im polizeilichen Ermittlungsverfahren von einem Anwalt vertreten; später verfügte die Jugendanwaltschaft des Kantons Solothurn, auf die Strafanzeige werde «nicht eingetreten (Nichtanhandnahmeverfügung)» und die Kosten des Verfahrens gingen zulasten des Kantons. Eine Entschädigung wurde dem Jugendlichen bzw. seinem Anwalt nicht zugesprochen. Fünf Monate später reichte der Anwalt seine Kostennote ein. Vergeblich. Der Anwalt hätte gegen die Verfügung der Jugendanwaltschaft den Rechtsmittelweg beschreiten und dort geltend machen müssen, dass ihm keine Entschädigung zugesprochen worden war.
6B_1099/2017 vom 1.5.2018
Im Rahmen des abgekürzten Verfahrens im Strafprozess verständigen sich die beschuldigte Person und die Staatsanwaltschaft über die zur Last gelegten Vorwürfe und das Strafmass. Scheitert das eingeleitete abgekürzte Verfahren, so sind die in diesem Rahmen gemachten Erklärungen der Parteien im nachfolgenden ordentlichen Verfahren nicht verwertbar. Dementsprechend darf die Staatsanwaltschaft eine strengere Strafe fordern als diejenige, die sie der beschuldigten Person im Rahmen eines zuvor erfolglos gebliebenen abgekürzten Verfahrens vorgeschlagen hat. Es liegt kein treuwidriges Verhalten vor, wenn der Staatsanwalt später eine höhere Strafe fordert.
6B_1023/2017 vom 25.4.2018
Sozialversicherungsrecht
Eine IV-Stelle sprach einem Versicherten rückwirkend eine Invalidenrente zu und legte die dem Versicherten direkt zu überweisende Nachzahlung auf über 59 000 Franken fest. Der Versicherte liess die Rentenverfügung anfechten. Als daraufhin die unentgeltliche Rechtsvertreterin des Versicherten der IV-Stelle ein Honorar von gut 2150 Franken in Rechnung stellte, lehnte es die IV-Stelle ab, die Rechnung zu begleichen, weil der Versicherte infolge der Rentennachzahlung nicht (mehr) bedürftig sei. Zu Unrecht. Die Pflicht zur Nachzahlung resp. Rückerstattung der Kosten der unentgeltlichen Vertretung kommt im Grundsatz erst nach Abschluss des Verfahrens zum Tragen.
9C_827/2017 vom 7.5.2018